Von der Hoffnung, Syrien eines Tages wieder aufzubauen
Universität Konstanz/Holthof
Zusammen lernen und sich vernetzen: Studierende des „Führungskräfte für Syrien“-Programms beim Begleitprogramm in Konstanz
Das Stipendienprogramm „Führungskräfte für Syrien“, das der DAAD im Auftrag des Auswärtigen Amts umsetzt, ermöglicht 221 Syrerinnen und Syrern ein Studium in Deutschland. Nun ist das Begleitprogramm zu Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung angelaufen.
Als Hasan Idrees Anfang Januar 2017 vom extremen Wassermangel in Syrien erfuhr, setzte er sich sofort an seinen Computer und begann zu recherchieren. „Wasser ist ein Riesenthema, gerade im Nahen Osten“, erklärt der 24-jährige syrische Student. „In Friedenszeiten hat jedes Haus in Syrien seinen eigenen Wassertank auf dem Dach – aber jetzt sind die Quellen verschmutzt, die Dämme beschädigt und die Tanks leer. Die Menschen müssen das Wasser für viel Geld von Tanklastern kaufen.“ Das Thema Wasser beschäftigt Hasan Idrees seit vielen Jahren. In der syrischen Stadt Homs studierte er Bauingenieurwesen mit Schwerpunkt Umwelt. Vor eineinhalb Jahren bekam Idrees dann eine große Chance: Er wurde als Stipendiat des Programms „Führungskräfte für Syrien“ (Leadership for Syria – LfS) ausgewählt, das der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) aus Mitteln des Auswärtigen Amts und des Landes Nordrhein-Westfalen seit dem Wintersemester 2015/2016 für 221 syrische Stipendiatinnen und Stipendiaten organisiert.
Seit einem Jahr lernt Hasan Idrees im Masterstudiengang „Management and Technology of Water and Wastewater Treatment“ an der Universität Duisburg-Essen alles über Wassergewinnung und Wasseraufbereitung sowie Abwasserreinigung. „Ich habe hier die Chance, mir ein neues Leben aufzubauen“, sagt Idrees. Seine Leistungen in Deutschland sind so gut, dass er im Oktober 2016 mit dem Studienpreis der Sparkasse Duisburg ausgezeichnet worden ist. „Das war eine große Ehre – ich habe die 1.000 Euro Preisgeld an meine Familie geschickt, damit auch meine Schwestern, die noch in Syrien sind, ihr Studium fortsetzen können“, erzählt er.
Hasan Idrees (rechts) hat gemeinsam mit seinen beiden Freuden Basel Ajoub (links) und Bashar Ashur (Mitte) das schwierige Auswahlverfahren gemeistert. Nun studieren die drei gemeinsam an der Universität Duisburg-Essen und sind jeden Tag zusammen
Sein ganzes Leben hatte Idrees in Syrien gelebt – doch dann wurde der Krieg immer unerträglicher. „Man konnte kaum noch in die Uni gehen, alles wurde unglaublich teuer“, erzählt er. „Ohne das Stipendium wäre meine akademische Laufbahn eine Katastrophe.“ Inzwischen hat er Deutsch gelernt und forscht neben seinem Studium ehrenamtlich in einem Projekt, das auch den Menschen in Syrien eines Tages nützen könnte: „Wasserreinigung durch Pulver-Aktivkohle und Membranen“. „Ich möchte irgendwann zurückkehren, aber momentan ist das Leben in Syrien nicht sicher“, sagt Idrees.
Ein einzigartiges Programm
Aus 5.000 Bewerbern wählte eine Expertenkommission aus Professoren deutscher Hochschulen im März 2015 die Stipendiaten aus. Die Bewerbungsgespräche fanden in Beirut, Erbil, Istanbul, Kairo, Amman und Bonn statt. „Das Programm ist einzigartig in seiner Form und Umsetzung“, sagt Janina Ackermann, Teamleiterin „Führungskräfte für Syrien“ im Referat „Stipendienprogramme Nahost, Nordafrika“ des DAAD. Es kombiniert ein Fachstudium mit einem vom DAAD initiierten Begleitprogramm zu Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung an der Universität Konstanz. „Die Stipendiaten brennen dafür, ihr Land wieder aufzubauen und sind enorm engagiert“, sagt Ackermann. Das Begleitprogramm, das im November 2016 angelaufen ist, vermittelt ihnen wichtige Kompetenzen in den Feldern Gesellschaft, Politik, Wissenschaft, Ökonomie und Recht, die sie in späteren Führungspositionen nutzen können: Wie lässt sich Korruption bekämpfen? Wie geht man mit möglicherweise traumatisierten Mitarbeitern um? Wie baut man wirtschaftliche Kooperationen auf?
Wolfgang Seibel ist an der Universität Konstanz der Projektverantwortliche für das LfS-Begleitprogramm
„Es sind Fragen, die Sinn machen, wenn es darum geht, Syrien eines Tages wieder aufzubauen“, sagt Professor Wolfgang Seibel, Inhaber des Lehrstuhls „Innenpolitik und öffentliche Verwaltung“ an der Universität Konstanz und Projektverantwortlicher für das LfS-Begleitprogramm. Dabei sind die Themen nicht speziell auf Syrien zugeschnitten, sondern vermitteln theoretische Grundlagen, wie beispielsweise zu den verschiedenen Möglichkeiten eines Gesundheitssystems. „Wir sind beeindruckt, wie gebildet und brillant die jungen Menschen sind – sie leisten den Transfer, die Theorie auf die Praxis anzuwenden, mit Leichtigkeit.“
Etwas zum Wiederaufbau Syriens beitragen
Nach ihrer Ankunft in Deutschland hatten die Stipendiaten zuerst vier Monate gemeinsam einen Sprachkurs in Marburg und ein Orientierungsseminar besucht, bevor sie an mehr als 60 Hochschulen in ganz Deutschland ihr Studium aufnahmen. In einer ersten Präsenzphase des Begleitprogramms im November 2016 trafen sie sich in Konstanz wieder und vernetzten sich dort mit wichtigen Führungskräften. Die Kinderrechtsorganisation „Save the Children“ war ebenso vertreten wie ein ehemaliger hoher UNO-Beamter und ein ehemaliger deutscher Botschafter. „Wir wollten den Stipendiaten die Möglichkeit geben, Netzwerke aufzubauen, von denen sie später profitieren können“, sagt Seibel. Neben drei Präsenzphasen laufen die Seminare für die Stipendiaten via E-Learning ab. „Wir haben uns für dieses Projekt mit unserer Akademie für Wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Konstanz und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zusammengetan“, sagt Seibel. Dass seine Hochschule den Zuschlag im Bewerbungsprozess bekommen hat, erfüllt ihn mit Stolz. „Das ist unser Beitrag zu der verschärften Flüchtlingssituation und unsere Hoffnung, etwas zum Wiederaufbau Syriens beitragen zu können.“
Exzellente Leistung: Haidara Al-Mansour hat im Oktober 2016 den DAAD-Preis der Hochschule Anhalt erhalten
Zu den Menschen, die etwas verändern möchten, zählt auch der „Führungskräfte für Syrien“-Stipendiat Haidara Al-Mansour. Er ist Mediziner und schreibt gerade seine Masterarbeit über die Wirbelsäule am Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie („Spine Center“) des Universitätsklinikums Heidelberg. Später möchte er seine Doktorarbeit anschließen. Al-Mansour gehört zu den besten Studierenden seines Jahrgangs, er hat einen Einser-Durchschnitt. Neben seinem Studiengang an der Hochschule Anhalt hat er ein Spiel in Virtueller Realität entworfen, in dem Menschen lernen, eine Prothese zu benutzen, wenn sie beispielsweise einen Arm oder eine Hand verloren haben. „Yad“ heißt das Programm, das arabische Wort für Hand. Es ist eine Thematik, die in Syrien leider sehr aktuell ist. Tausende Menschen haben bei Granatenexplosionen Extremitäten verloren, vor allem viele Kinder. Während einer Hospitanz im Krankenhaus in Köthen hat Al-Mansour für arabischsprachige Patienten übersetzt und engagierte sich zudem an Schulen und an der Hochschule für ausländische Studierende. Für seine akademischen Leistungen und sein ehrenamtliches Engagement wurde er im Oktober 2016 mit dem DAAD-Preis der Hochschule ausgezeichnet. „Ich bin sehr froh, dass ich jetzt in Deutschland sein kann“, sagt Al-Mansour. „Eines Tages würde ich gerne wieder zurück nach Syrien, doch wir müssen realistisch sein: Die Zukunft ist nicht absehbar.“
Sarah Kanning (24. Januar 2017)
Weiterführende Links
Hochschulprogramme für Flüchtlinge: Die Zukunft nach der Flucht
Gemeinsam eine Zukunft schaffen – das HOPES-Programm
DAAD und europäische Partner eröffnen neue Perspektiven für syrische Studierende
„Führungskräfte für Syrien“: Konferenz im Auswärtigen Amt
„Führungskräfte für Syrien“: Stipendiatin Mounera Jbara im Porträt
„Ich möchte diese Chance nutzen“: Das Stipendienprogramm „Führungskräfte für Syrien“