"It's not going to be a smooth ride"
Nina Lemmens
Protestmärsche in New York City - Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen kamen auf die Straße und läuteten eine neue Ära friedlichen Bürgerprotests ein
Die Leiterin der DAAD-Außenstelle in New York, Frau Dr. Nina Lemmens, schildert uns ihre Eindrücke von der derzeitigen Situation in den USA.
"Der Wahlausgang am 8. November schlug in den ganzen USA wie eine Bombe ein – ganz besonders bei den Hochschulen des Landes. Man kann wohl sagen, dass der weithin unerwartete Ausgang der Präsidentenwahl die academia zwischen Ost- und Westküste bis ins Mark erschütterte. Vielerorts wurde berichtet, dass die Studenten – die häufig zum ersten Mal in ihrem Leben gewählt hatten – völlig verunsichert reagierten. Von Tränen wurde berichtet, von Verzweiflung, von Angst – nicht nur bei denjenigen Studierenden, die von der aggressiven Rhetorik des nunmehr seit wenigen Tagen vereidigten Präsidenten ins Kreuzfeuer genommen werden wie Muslime, Einwanderer und Mitglieder der LGBT-Gemeinde. Auch die Wissenschaftler landauf, landab sind besorgt, und zwar um die wissenschaftliche Freiheit und um die Kriterien, die ab jetzt bei der Vergabe von Forschungsgeldern angelegt werden. Eine der ersten Aktionen der neuen Regierung gleich nach dem Amtsantritt Präsident Trumps gibt dazu reichlich Anlass: Noch am Tag der Vereidigung wurden mehrere offizielle Internetseiten des Weißen Hauses vom Netz genommen, so auch die zum Thema „Climate Change“. In Kombination mit der Berufung des ehemaligen Exxon-Chefs Rex Tillerson zum Außenminister und des ehemaligen texanischen Gouverneurs Rick Perry zum Energieminister – beide haben in der Vergangenheit den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel weitgehend geleugnet – lässt dies nicht nur bei Naturwissenschaftlern alle Alarmglocken schrillen.
Sehr beunruhigt ist die amerikanische Bildungsschicht ganz allgemein darüber, dass wissenschaftliche Ergebnisse und akademisches Expertentum von vielen konservativen Kreisen pauschal als unwichtig, falsch oder vernachlässigenswert abgetan werden. An den Hochschulen setzen sie diesem Klima der Angst und Sorge nun das entgegen, was universitären Geist ausmacht: Aufklärung durch zahlreiche Veranstaltungen und Vorlesungsreihen, Gespräche mit den Studierenden, besonnener, aber entschlossener Umgang mit dem an einigen Stellen aufflammenden Gewaltpotential, das sich zum Beispiel auch in Hakenkreuzschmierereien und handgreiflichen Übergriffen auf „andersartige“ Kommilitonen Bahn bricht. Ein Blick auf die Webseite der New School for Social Reserach in New York zum Beispiel zeigt die Einladung zu einem öffentlichen Seminar mit dem Titel „Land of the Free… to Pick Your Own Reality. How the Left and the Right Select Their Own Facts” oder auch die Ankündigung einer Debatte mit der Überschrift “Trumpism – how should the left respond?”. An der New School fühlt man sich der kritischen Auseinandersetzung mit der – politischen – Welt besonders verpflichtet, hatten doch hier in den 30er Jahren zahlreiche Intellektuelle, die dem Naziregime in Deutschland entflohen waren, die „University in Exile“ gegründet.
Ganz besonders wichtig ist für die Hochschulen auch der enge Kontakt zu ihren Partnern im Ausland – schon allein, um einen breiten intellektuellen Diskurs aufrecht zu erhalten. Der DAAD wird dazu, wo immer es geht, seinen Beitrag leisten und im Rahmen unserer Möglichkeiten Unterstützung anbieten. Inwieweit die Studierenden hüben wie drüben auf die neue Realität reagieren werden, kann man aus Sicht des DAAD in New York nur schwer absehen. Wenn man allerdings die aktuelle Lage mit einer früheren Krise – den Anschlägen vom 11. September und der darauf erfolgten Verschärfung der Visa-Regeln durch die US-Regierung – vergleicht, könnte es durchaus sein, dass deutsche Studierende sich nach Alternativen zu einem Studium in den USA umsehen. Kanada ist da ein ganz besonders verlockender Gastgeber mit weit geöffneten Armen.
Gerade nach dem überwältigenden Erfolg der „Women’s Marches“, die am 21. Januar, dem Tag 1 im neuen Trump-Land in zahlreichen amerikanischen Großstädten weit über eine Million Menschen – Frauen, Männer, Kinder aus allen Gesellschaftsschichten und jeder Altersgruppe - auf die Straße brachten und eine neue Ära des friedlichen Bürgerprotest einläuteten, ist zu erwarten, dass sich der politische Aktivismus, der schon 2016 an vielen Orten akademischen Lebens zu beobachten war, auch 2017 fortsetzt. Abzuwarten bleibt, wie sich ganz allgemein das Verhältnis von Regierung und Wissenschaft entwickelt. Aber eines scheint jetzt schon klar: It’s not going to be a smooth ride!"