30 Jahre Erasmus: Ein Erfolgsmodell, das Europa gerade jetzt braucht
Annegret Hultsch Fotografie
Bundesbildungsministerin Wanka: "Es ist wichtig, dass gerade junge Menschen erleben können, was Europa ist"
Erasmus und Erasmus+ stehen für Bildungsaustausch, der viel bewirken kann. Bei der großen Berliner Festveranstaltung zu Beginn des Erasmus-Jubiläumsjahres würdigten unter anderen Bundeskanzlerin Merkel und die Bundesministerinnen Wanka und Schwesig das erfolgreiche Programm.
Allein aus Deutschland haben seit 1987 mehr als 650.000 Studierende am Erasmus-Programm teilgenommen. Vertreter aus Politik, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zogen auf der Berliner Festveranstaltung eine positive Bilanz. Erasmus und das für den Zeitraum 2014 bis 2020 mit einem Budget von 14,8 Milliarden Euro aufgelegte Nachfolgeprogramm Erasmus+ seien ein Beitrag zu Frieden und Stabilität in Europa, stellten sie fest.
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Der DAAD war unter anderem mit einem eigenen Stand auf der Erasmus-Festveranstaltung vertreten
Das 1987 begonnene Austauschprogramm mit anfangs elf und heute 33 teilnehmenden Staaten erleichtert den Blick über den Tellerrand. Ein Semester in Porto, Istanbul, Krakau oder Reykjavík ist heutzutage fast eine Selbstverständlichkeit. 37 Prozent der Bachelorstudierenden in Deutschland gehen mittlerweile ins Ausland. In den USA sind es hingegen nur zehn Prozent der Studierenden. Auch hat das Programm bis heute zahlreichen Hochschulangehörigen den europäischen Austausch ermöglicht. Unter dem Dach von Erasmus+ sind seit 2014 die verschiedenen Austauschprogramme für Schüler, Auszubildende, junge Freiwillige und Lehrende sowie Kooperationsprogramme für Bildungseinrichtungen zusammengefasst. Dank Erasmus „wird die Vielfalt Europas auch zu einem persönlichen Gewinn“, sagte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in einer Videobotschaft an die Teilnehmer der Festveranstaltung. „Europa lebt vom Miteinander.“ Einen Auslandsaufenthalt einzuplanen, erfordere erst einmal Mut, doch dieser würde sich auszahlen.
Frieden braucht Bildung für alle
Die Abkürzung Erasmus steht für „European Community action scheme for the mobility of university students“. Dass der Name gleichzeitig an den bedeutenden Gelehrten und Humanisten Erasmus von Rotterdam erinnert, war von den Gründern durchaus gewollt. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wies in ihrer Rede auf eine Schrift von Erasmus von Rotterdam aus dem Jahr 1517 hin: „Die Klage des Friedens“. Darin schrieb der Niederländer, dass Frieden mehr sei als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Um ihn aufrecht zu erhalten, bedürfe es auch Wohlstand, Gerechtigkeit und Bildung für alle. Diese Werte spiegeln sich nach Schwesigs Ansicht in den Programmen Erasmus und Erasmus+ wider. Angesichts der aktuellen Entwicklung in der Welt sei für sie klar, „dass man Bildung nicht gegen Verteidigung ausspielen kann. Frieden stiftet man nicht durch Waffen, sondern durch ein Miteinander“.
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Erfreut über das Jubiläum (v. l.): die Bundesministerinnen Schwesig und Wanka sowie Susanne Eisenmann, Präsidentin der Kultusministerkonferenz
Auch Bundesbildungsministerin Professor Johanna Wanka sieht in Erasmus „eine Erfolgsgeschichte“. 1987, als die Erasmus-Zusammenarbeit begann, sei es ihr und den anderen DDR-Bürgern nicht möglich gewesen, für einen Studienaufenthalt nach Westeuropa zu gehen. Um so erfreulicher sei es, dass heute Menschen aus Osteuropa in Frankreich oder Spanien studieren könnten, wenn sie es wollten. „Es ist wichtig, dass gerade junge Menschen erleben können, was Europa ist“, sagte Wanka. So könnten sie den gemeinsamen Wertekanon erfahren, zu dem die Ministerin Frieden, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit zählt.
Identifikation mit Europa
Der ungarische EU-Kommissar Dr. Tibor Navracsics sprach von einer „Erasmus-Generation“, die seit 1987 entstanden sei. Dazu zählt er Menschen, „die sich nicht nur mit ihrer Stadt und ihrem Land identifizieren, sondern mit Europa“. Dass sie dank Erasmus gut ausgebildet seien, komme der Wirtschaft und der Gesellschaft zugute. Erasmus+ sei ein wirksames Mittel gegen Jugendarbeitslosigkeit und dagegen, dass Menschen sich ins soziale Abseits gestellt fühlten.
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Auch sie feierten das Erasmus-Jubiläum (v. l.): Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland und Susanne Burger und Henk van Liempt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
In mehreren Reden und in Gesprächen am Rande der Veranstaltung kamen der Brexit und die populistischen Kräfte zur Sprache, die in verschiedenen europäischen Staaten am Werke sind. Es sei nötig, die Erfolge von Erasmus wirksamer darzustellen, betonte Dr. Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). „Wenn der Neffe, die Enkelin oder die Schwester mit Erasmus in Spanien oder Litauen waren und daheim darüber berichten, bekommt das Land eine positive Konnotation und wirkt nicht mehr so fremd“, sagte er, auch vor dem Hintergrund zu beobachtender fremdenfeindlicher Tendenzen in Europa.
Eine lohnende Zeit
Sylvester richtete den Blick auch auf andere Herausforderungen: So würden bislang in Deutschland vor allem Studierende der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ins Ausland gehen. Künftig müssten angehende Naturwissenschaftler und Ingenieure noch stärker von der Notwendigkeit eines Auslandsaufenthalts für ihre spätere Berufskarriere überzeugt werden. Mediziner, Juristen und Pädagogen könnten ebenfalls vermehrt diese Auslandserfahrungen machen, wenn in ihren anders strukturierten Studiengängen zumindest Mobilitätsfenster angeboten würden. „Für eine angehende Lehrerin, die später viele Kinder mit Migrationshintergrund unterrichten wird, ist es sinnvoll, andere Kulturen zu erfahren“, hob er als ein Beispiel hervor.
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Mit Blick in die Zukunft: Europa braucht auch die nächste "Generation Erasmus"
Dass Erasmus die Teilnehmer in ihrer Persönlichkeitsentwicklung voranbringt, berichteten auf der Festveranstaltung mehrere Ehemalige. Sie erzählten von Freundschaften, die sie im Ausland geknüpft haben, und davon, dass sie dank Erasmus jetzt mehr Verständnis für fremde Sichtweisen hätten. Dr. Susanne Eisenmann, Kultusministerin von Baden-Württemberg und derzeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz, bestätigte das: „Erasmus fördert nicht nur den Spracherwerb, sondern auch den interkulturellen Austausch.“
Johanna Mogwitz kam drei Jahre nach der Wende in der DDR in Dresden zur Welt. „Ich interessiere mich für slawische Sprachen, und meine Großeltern stammen aus Schlesien“, erzählte sie von ihrer Motivation zu einem Erasmus-Aufenthalt in der polnischen Stadt Breslau. Sie belegte dort das Fach European Studies. „Meine Eltern sagten: Nutze die Möglichkeiten, die wir in der DDR nicht hatten“, berichtete die junge Frau. „Ich wünsche mir, dass künftig noch mehr Menschen von Erasmus+ profitieren.“
Josefine Janert (27. Januar 2017)