Deutsch-syrisches Tandemprogramm: Wertvolle Begegnungen
privat
Eines von vielen "Tandems": Alaa und Jacqueline
Seit Anfang 2016 unterstützen der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Studienstiftung des deutschen Volkes Studierende aus Syrien bei der Integration an über 40 deutschen Universitäten und Hochschulen. 81 Tandems aus syrischen DAAD-Stipendiaten und -Stipendiatinnen und Studienstiftlern und Studienstiftlerinnen haben bereits ein reiches Jahr hinter sich: mit viel persönlichem Einsatz, erleichterten Studienstarts, spannenden interkulturellen Dialogen und neuen Freundschaften.
Vor einem Jahr haben sich Alaa und Jacqueline an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen kennengelernt. Alaa Kanaieh, DAAD-Stipendiatin aus Syrien, musste sich gerade auf ein wichtiges Deutschexamen vorbereiten, als ihr Jacqueline Clever, Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes, über das Tandemprogramm der beiden Fördereinrichtungen zur Seite gestellt wurde – als persönliche Ansprechpartnerin für sämtliche Fragen am neuen Studienort. „Ich habe mich damals vor der mündlichen Deutschprüfung gefürchtet und Jacqueline um Hilfe gebeten“, erzählt die syrische Studentin, die im Wintersemester 2015/16 in Aachen einen Masterstudiengang in Softwaretechnik begonnen hat. „Also haben wir uns getroffen und viele spannende Gespräche auf Deutsch über unterschiedliche politische, kulturelle und gesellschaftliche Themen geführt.“
Hilfe und interkultureller Austausch
DAAD und Studienstiftung haben 2016 die enge Zusammenarbeit begonnen, um syrischen Studierenden bei der Eingewöhnung zu helfen und sie schnell in studentische Aktivitäten zu integrieren. „Die Tandempartner trafen sich wöchentlich und die deutschen Stipendiaten waren während dieses Jahres stets in engem Kontakt mit der Studienstiftung“, erklärt Fabian Rausch, Referent im Team Förderung und Kommunikation der Studienstiftung. „Außerdem haben wir die Tandems in die Aktivitäten der Studienstiftung am Hochschulort und in der Region eingebunden.“ Ausflüge, Doktorandenworkshops oder die Teilnahme an stipendiatisch organisierten Seminaren oder Exkursionen standen auf dem Programm.
Das Motiv für die Zusammenarbeit war vor allem der interkulturelle Austausch. Das Stipendienprogramm „Führungskräfte für Syrien / Leadership for Syria“, in dem Alaa vom DAAD gefördert wird, bedeutet für Studierende viel Struktur, viele Verpflichtungen und Termine. „Deshalb wollten wir den jungen Menschen zeitgleich die Chance zu einem individuellen, frei gestaltbaren Kontakt zu deutschen Studierenden bieten“, erklärt Pia Schauerte, die im DAAD das Tandemprogramm mit der Studienstiftung betreut. „Nichts ist so wichtig für den Einstieg am Hochschulort und das Ankommen in einem anderen Land wie persönliche Begegnungen.“ Auf Seiten der Studienstiftung passte die Zusammenarbeit ebenfalls ideal ins Programm. „Wir wollten damit nicht nur die Willkommenskultur an den deutschen Hochschulen unterstützen, sondern auch die interkulturellen Fähigkeiten und die Auseinandersetzung mit Syrien und dem arabischen Raum bei unseren Stipendiaten fördern“, erläutert Fabian Rausch. Deshalb hat die Studienstiftung ein interkulturelles Workshop-Wochenende konzipiert, das insgesamt dreimal stattgefunden hat: Dieses Angebot konnten alle an einem Tandem beteiligten Studienstiftler wahrnehmen. „Der unkomplizierte Austausch mit den syrischen Kommilitonen ermöglicht außerdem interkulturelle Lebenserfahrung schon in Deutschland. Resonanz und Rückmeldung unserer Geförderten waren überwältigend.“
Vielseitige persönliche Begegnungen
Das große gegenseitige Interesse spiegeln Alaa und Jacqueline. Alaa erkundigte sich zum Beispiel nach den deutschen Gebräuchen und nach der Gleichberechtigung von Frauen im hiesigen Arbeitsleben. Schon früh hat sie sich für Computer und Informationstechnologie interessiert, später in diesem Bereich studiert und schließlich in der Telekommunikationsbranche gearbeitet. Das ist kein typischer und kein einfacher Weg für eine junge Frau in Damaskus. Aber die 28-Jährige war überrascht, dass auch in Deutschland relativ wenige Frauen in der IT-Branche Fuß fassen.
Jacqueline erfuhr ihrerseits viel Neues über ein Land, mit dem sie bislang vor allem den jahrelangen Krieg in Verbindung gebracht hatte. Alaa schilderte ihr, wie man dort zuvor in Frieden lebte, studierte, Feste und Feiertage beging. „Auch Alaas offener und unaufgeregter Umgang mit der islamischen Religion war für mich sehr interessant und ich habe ganz neue Einblicke gewonnen“, sagt die Studentin, die bald ihren Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen macht.
Einander beistehen
In den vielseitigen Gesprächen machte Jacqueline die syrische Kommilitonin beiläufig auf grammatikalische Fehler aufmerksam, begleitete sie auch mal zum Zoll und auf Ämter oder stand ihr bei der Korrespondenz mit der Vermieterin und bei ersten Telefonaten mit der Krankenversicherung zur Seite. Alaa erinnert sich: „Immer hat mich Jacqueline darin bestärkt, auch das komplizierte Gespräch zu suchen und zu beginnen.“ Das war der Schlüssel zu einer selbstbewussten Kontaktaufnahme mit der neuen Studienheimat. Alaa Kanaieh hat die Deutschprüfung geschafft und nach einem Jahr, angefüllt mit vielen Treffen und Begegnungen, sind die beiden jungen Frauen längst Freundinnen.
Die schönsten Beobachtungen, die die Verantwortlichen in DAAD und Studienstiftung im vergangenen Jahr in dem Programm gemacht haben, waren die immense Hilfsbereitschaft und das große freiwillige Engagement der Tandempartner. „Jacqueline reagiert immer sofort, wenn ich ihre Hilfe brauche und wir verabreden uns spontan im Café und klären das Problem“, erzählt Alaa. Wie sie denken viele syrische DAAD-Stipendiaten über ihre Tandem-Freunde in Deutschland. Fabian Rausch kamen solche Erlebnisse auch andersherum zu Ohren. Als eine Stipendiatin der Studienstiftung mit einem offiziellen Unternehmen umziehen wollte, schüttelte ihr syrischer Tandempartner energisch den Kopf und organisierte kurzerhand privat einen Transporter sowie eine große Truppe verlässlich zupackender Freunde aus Syrien. „Ihren syrischen Tandempartnern verdanken unsere Stipendiaten wunderbare und prägende Erfahrungen.“
Bettina Mittelstraß (2. Februar 2017)