„DAAD-Lektoren berichten aus…“: Cali und Medellín – ein Doppelinterview

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Andreas Hetzer ist DAAD-Lektor in Cali; seine Kollegin Jessica Böcker arbeitet in Medellín

In Cali und Medellín lernen die DAAD-Lektoren Dr. Andreas Hetzer und Jessica Böcker Kolumbien auf besondere Weise kennen. Ihnen begegnen viele junge, engagierte Menschen mit großem Interesse an der deutschen Sprache, aber auch an Denkern wie Max Weber und Karl Marx.

Frau Böcker, Herr Dr. Hetzer, wie sind Sie nach Kolumbien gekommen?

Jessica Böcker: Ich habe an der Ruhr-Universität Bochum das Fach Sprachlehrforschung studiert. Während und nach meinem Studium war ich mehrere Male im Ausland, unter anderem für ein DAAD-gefördertes Praktikum in der jordanischen Hauptstadt Amman. 2016 las ich die Ausschreibung für das DAAD-Lektorat an der Universidad de Antioquia in Medellín und dachte: Die Stelle passt perfekt! Der Zeitpunkt ist günstig. Jetzt oder nie! An einem Abend im August 2016 landete ich auf dem Flughafen außerhalb der 2,4-Millionen-Einwohner-Stadt. Ich fuhr mit dem Bus durch die Berge nach Medellín und dachte: Wann komme ich endlich an? Ich will die Stadt sehen.

Andreas Hetzer: Ich habe an der Uni Siegen Medienwissenschaft studiert, habe als Dozent und nebenbei als Journalist und für Nichtregierungsorganisationen gearbeitet. 2010 war ich mit einem DAAD-Stipendium in Bolivien, um für meine Promotion zu recherchieren. Sie behandelt die Beziehungen zwischen den Medien und der Politik in diesem Land. Vor vier Jahren entdeckte ich zwei Ausschreibungen des DAAD – eine für Bolivien, die andere für das DAAD-Lektorat in der Stadt Cali im Südwesten Kolumbiens. Gesucht wurde eine Person mit sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt. Obwohl ich zunächst wieder nach Bolivien wollte, stellte ich im Gespräch mit dem DAAD fest, dass die Stelle in Cali wie für mich gemacht ist.

DAAD-Lektoren berichten aus: Kolumbien – Cali, Medellín

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Unterwegs in Cali: eine Seminargruppe von Andreas Hetzer im Viertel Siloé

Das bedeutet, dass Sie zufrieden sind?

Hetzer: Ja, absolut. Acht Stunden pro Woche unterrichte ich an der Universidad del Valle Deutsch als Fremdsprache (DaF) bis zu einem Niveau A2 für Hörer aller Fakultäten. Außerdem halte ich auf Spanisch Blockseminare im Masterstudiengang Europäisch-Lateinamerikanische Beziehungen. Viele Studierende haben schon Berufserfahrungen bei sozialen Bewegungen und in der öffentlichen Verwaltung gesammelt und widmen sich nun mit Leidenschaft der Soziologie. Nicht nur in meinen Kursen, auch in selbst organisierten Gesprächsrunden diskutieren sie über die Texte von Durkheim, Weber, Adorno, Marx und natürlich über lateinamerikanische Autoren. Wir gehen auch raus, in die Stadt hinein. Ein besonders schönes Beispiel war ein Seminar, das uns nach Siloé, ein Viertel von Cali, geführt hat. Die Bewohner sind sozial benachteiligt und werden extrem stigmatisiert. Wir tauschten uns mit Aktivisten aus Frauen- und anderen sozialen Bewegungen aus, organisierten mit ihnen Kulturveranstaltungen. Schließlich zeigten wir an der Uni eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten aus dem Kurs. Die Kindermusikgruppe Tambores de Siloé trat an der Uni auf und begeisterte mit ihren Instrumenten aus Plastikeimern und -rohren. Viele Studierende haben bis heute gute Kontakte in das Viertel.

Böcker: Auch ich freue mich über das Engagement der Studierenden. Kürzlich war ich Erstgutachterin einer Masterarbeit. Die Autorin unterrichtet Mathematik an der hiesigen Deutschen Schule – auf Deutsch. In ihrer Masterarbeit schrieb sie über didaktische Fragen im Mathematikunterricht – auch auf Deutsch. Die Arbeit war so gut, dass ihr eine Doktorandenstelle in Deutschland angeboten wurde. Das ist nicht nur ein großer Erfolg für sie, sondern auch für den hiesigen Studiengang DaF, in dem künftige Deutschlehrer ausgebildet werden. Es besteht eine Germanistische Institutspartnerschaft mit der Uni Freiburg: Studierende gehen für ein Semester ins jeweils andere Land und erwerben den Masterabschluss beider Unis. Neben der Betreuung für angehende Deutschlehrer gebe ich klassischen Sprachunterricht für Hörer aller Fakultäten. In diesen Kursen sitzen viele künftige Ingenieure und Naturwissenschaftler, die in Deutschland studieren oder arbeiten wollen.

Wie ist das Deutschlandbild dieser Studierenden?

Böcker: Deutschland ist hier bekannt für seine exzellente akademische Ausbildung. In Kolumbien, wo selbst an staatlichen Unis Studiengebühren anfallen, staunt man immer wieder darüber, dass der Besuch einer Hochschule in Deutschland kostenlos ist.

Hetzer: Das kann ich bestätigen. Das Interesse an Deutschland wächst, und es fehlt in Kolumbien an Deutschlehrern. Zwar sind die Deutschen in Cali eine eher kleine Gruppe. Doch die Deutsche Schule, das Deutsche Kulturinstitut und die Freiwilligen aus Deutschland, die sich etwa über das „weltwärts“-Programm in sozialen Projekten engagieren, sind in der Stadt sehr präsent.

Kolumbien litt jahrzehntelang unter einem Bürgerkrieg zwischen dem Militär, der Guerilla und weiteren bewaffneten Gruppen. Im Herbst 2016 hat der kolumbianische Kongress dem mit der Farc, der größten Guerillagruppe, ausgehandelten Friedensvertrag zugestimmt. Der DAAD fördert das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut (DKFI), das den Friedensprozess begleiten will. Wie erleben Sie die Situation?

Hetzer: Immer wieder höre ich, dass Aktivisten Morddrohungen von paramilitärischen Gruppen erhalten – auch jetzt, nachdem der Friedensvertrag unterzeichnet ist. Die Morde haben nach der Unterzeichnung sogar zugenommen. Dazu muss man verstehen, dass die Gewalt das Land jahrzehntelang geprägt hat. Sie hat komplexe Ursachen, die nicht von einem Tag auf den nächsten aus der Welt zu schaffen sind. Es geht nicht nur um die konkreten Auseinandersetzungen mit der Guerilla, sondern auch um ethnische und soziale Spannungen, Umweltprobleme, Konflikte um Land und Bodenschätze und vieles mehr. Es ist wichtig, dass das Friedensinstitut nicht nur an seinem Sitz in der Hauptstadt Bogotá wirkt, sondern auch in die Regionen hinein. Mediationen, Workshops über Friedenspädagogik und andere Angebote könnten den Kolumbianern ganz praktisch dabei helfen, den Frieden im Alltag zu leben. Ich wünsche mir eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die besonders den bereits vorhandenen Erfahrungsschatz in Kolumbien berücksichtigt.

Interview: Josefine Janert (8. März 2017)

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