30 Jahre Erasmus: Ein hochaktuelles Programm für Europa
DAAD/Stefan Zeitz
DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel, Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, und sein Amtsvorgänger Siegbert Wuttig im Gespräch über das europäische Erfolgsprogramm Erasmus
Auf Einladung des DAAD, der seit 1987 als Nationale Agentur für das Austauschprogramm Erasmus im Hochschulbereich wirkt, diskutierten in Berlin Programmverantwortliche und Studierende über europäische Identität und die „Generation Erasmus“.
Seit 30 Jahren ermöglicht das Erasmus-Austauschprogramm jungen Menschen Studienaufenthalte im europäischen Ausland. Bislang nahmen rund 4,4 Millionen Studierende an Erasmus teil, darunter etwa 651.000 aus Deutschland. Hinzu kommen tausende Jugendliche, Azubis, Schüler und weitere Angehörige von Bildungseinrichtungen. 1987 startete Erasmus mit elf Mitgliedsländern, heute sind es 33. Inzwischen werden auch Praktika, Arbeitsaufenthalte und Lehrveranstaltungen gefördert. Erasmus+, so der Programmname seit 2014, ist eine europäische Erfolgsgeschichte, die am 16. März auf Einladung des DAAD auch mit einer Diskussionsrunde und der Vorstellung einer Jubiläumsschrift im WissenschaftsForum Berlin gewürdigt wurde.
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Margret Wintermantel: "Wir müssen Erasmus für alle Bevölkerungsschichten weiter öffnen"
Allein mit Erfolgsmeldungen möchte sich der DAAD aber nicht begnügen – sondern vielmehr den Dialog über den europäischen Austausch weiter befördern. DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel, die die Berliner Diskussionsrunde moderierte, sprach denn auch Vorurteile gegenüber Erasmus+ an. Dass Teilnehmer des Programms mehr an einem Pluspunkt in ihrem Lebenslauf als an ihrem Gastland interessiert seien, wurde während der Veranstaltung überzeugend widerlegt. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Erasmus-Teilnehmer vor allem aus bildungsnahen, finanziell gut ausgestatteten Elternhäusern stammten. „Wir müssen Erasmus für alle Bevölkerungsschichten weiter öffnen“, betonte die DAAD-Präsidentin. Das Erasmus-Programm habe dazu beigetragen, Werte wie Frieden, Völkerverständigung, Toleranz, Diversität und Rechtsstaatlichkeit in Europa zu verankern. Das sei gerade in Zeiten aufkommender nationalistischer Strömungen wertvoll. „Wir wollen dieses Europa, das seit vielen Jahren ohne Krieg ist, und das eine starke wirtschaftliche Kraft entwickelt hat“, hob Margret Wintermantel hervor.
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Hanns Sylvester: zupackende, gefragte "Generation Erasmus"
Aktive „Generation Erasmus“
Laut einer Studie berichten 93 Prozent der Erasmus-Studierenden, dass sie durch ihren Auslandsaufenthalt gelernt hätten, den Wert unterschiedlicher Kulturen zu schätzen. Viele von ihnen haben dank Erasmus bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, haben im Ausland Netzwerke und Freundschaften geknüpft, von denen sie ihr Leben lang profitieren. Von einer „Generation Erasmus, die sehr aktiv in ihrem Umfeld wirkt“, sprach in Berlin der Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, Dr. Hanns Sylvester. Er sagte auch: „Wir hören von Arbeitgebern, dass sie eher eine Person mit Auslandserfahrung einstellen wollen als eine, welche die Regelstudienzeit eingehalten hat.“
Historischer Erfolg
Dr. Siegbert Wuttig, von 1989 bis 2014 Leiter der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, erinnerte an den historischen Erfolg des Erasmus-Programms. Als es entstand, habe sich Europa in einer schwierigen Phase befunden, sagte er. In vielen Staaten hätten sich die Folgen von Wirtschaftskrisen bemerkbar gemacht. Die künftigen Erasmus-Partnerländer hätten zudem unterschiedliche Erwartungen an das Programm gehabt, über dessen Ausgestaltung sie sich erst hätten einig werden müssen. Das sei schließlich auch deshalb gelungen, weil die Verantwortlichen die Notwendigkeit erkannt hätten, dass man den Austausch zwischen den Europäern erleichtern, die Bürger Europas zusammenbringen müsse.
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Frank Wittmann: Einsatz für "Europa macht Schule"
Um so wichtiger sei es nun, dass Erasmus über die Zielgruppen in Schule, Hochschule, Berufs- und Erwachsenenbildung sowie Jugendarbeit hinaus wirke, betonten mehrere Redner – dazu müssten auch die Erfahrungen der Erasmus-Alumni stärker genutzt werden. Frank Wittmann ist einer von ihnen. Er war als Erasmus-Student in Wales und 2006 einer der Mitbegründer des Vereins „Europa macht Schule“, dessen Vorsitzender er inzwischen ist. Der Verein unterstützt deutsche Schulen dabei, Kontakte zu ausländischen Erasmus-Teilnehmern zu knüpfen und Schüler und Lehrer in einen Austausch mit diesen Gästen zu bringen. Davon profitieren beide Seiten: Wittmann berichtete zum Beispiel von einer polnischen Studentin, die mit Gymnasiasten den Essay eines polnischen Autors über Luxus analysierte, oder von einer französischen Studentin, die sich mit Grundschülern über Grimms Märchen unterhielt. Eine weitere Französin habe den Austausch über die Gebärdensprachen befördert, die in Frankreich und Deutschland gesprochen werden. „Inzwischen haben wir fast 40.000 Schüler in Deutschland in Kontakt mit Erasmus-Teilnehmern gebracht“, sagte Frank Wittmann. „An 30 Hochschulstandorten organisieren wir pro Jahr bis zu 200 Projekte.“
Engagierte Erasmus-Alumni
Von ihren guten Erfahrungen mit Erasmus berichteten auch drei Studierende. Der Bonner Jurastudent Patrick Wüstefeld war mit Erasmus in Wrocław (deutsch: Breslau). Dort freundete er sich nicht nur mit polnischen Studierenden an, sondern auch mit Austauschstudierenden aus Südeuropa. Für ihn sei es wichtig gewesen, seine von der deutschen Kultur geprägten Vorstellungen vom alltäglichen Umgang miteinander zu relativieren, erzählte er. Die Jurastudentin Emese Pásztélyi aus Budapest studiert derzeit an der Berliner Humboldt-Universität. Der Austausch gebe ihr die Möglichkeit, verschiedene Rechtssysteme miteinander zu vergleichen, sagte die Ungarin: „Da existieren einige Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten, die auf unsere gemeinsame europäische Geschichte zurückzuführen sind.“ Der Auslandsaufenthalt habe sie selbstbewusster gemacht und ihre Unabhängigkeit gestärkt.
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Emese Pásztélyi: Glaube an europäische Gemeinsamkeiten
Die spanische Doktorandin Rita Mercedes Begines Cid war als Erasmus-Studentin in London und als Erasmus-Praktikantin an der Universität Bonn. Künftig wird sie an ihrer Heimatuniversität in Sevilla Austauschstudierende als Mentorin betreuen. Sie betonte, dass Erasmus die Jobperspektiven junger Spanier verbessere: „Die Zahl der Bewerber ist konstant.“ Für Studierende aus Deutschland ist Spanien das beliebteste Erasmus-Zielland, gefolgt von Frankreich und Großbritannien, das wiederum für Erasmus-geförderte Praktika das wichtigste Zielland ist. Dass Großbritannien trotz Brexit ein engagierter Partner im Erasmus-Austausch bleibt, darauf arbeiten nach den Worten von DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel Bildungsmanager überall in Europa hin, auch im Vereinigten Königreich selbst. Denn auch an den britischen Hochschulen wisse man den außergewöhnlichen Wert des Austauschprogramms zu schätzen.
Josefine Janert (21. März 2017)