Treffen hochrangiger Hochschulvertreter: Für Diversität und Internationalisierung

Norbert Hüttermann/DAAD

Hochschulen, die sich um Diversität bemühen, sind auch für internationale Studierende attraktiv

Die Hochschulen verändern sich. Einerseits kommen immer mehr Studierende und Lehrende aus dem Ausland nach Deutschland. Andererseits wollen die Bildungsinstitutionen auch attraktiv sein für in Deutschland lebende Menschen mit Migrationshintergrund. Wie die Hochschulen agieren können, darüber diskutierten an der Technischen Universität Berlin Vizepräsidenten, Prorektoren und Vertreter verschiedener Institutionen aus ganz Deutschland. Zu dem Workshop „Diversität und Internationalisierung – Vielfalt durch Migration“ hatten die TU Berlin und der DAAD eingeladen.

In früheren Jahren waren Männer aus deutschen Akademikerfamilien in den Hörsälen überrepräsentiert. Inzwischen gibt es unter anderem viel mehr Studentinnen als noch vor 30 Jahren. Die Hochschulen wollen sich zudem stärker öffnen für Gruppen, deren Mitgliedern der Zugang zu akademischer Bildung bislang noch zu häufig versperrt bleibt. Dazu gehören Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderung, Arbeiterkinder und andere. Für die Hochschulen ist diese Diversität ein wertvolles Gut – darin waren sich die Teilnehmenden des Berliner Workshops einig: Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen bereichern nicht nur die Diskussionen in den Seminaren. Doch während in der Wirtschaft und in Bildungseinrichtungen viele den Wunsch hegen, „dass die Globalisierung ein Erfolg wird“, zeigten sich in der Bevölkerung „Ängste vor dem Fremden und der Wunsch nach Abschottung“, beschrieb DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel eine international weit verbreitete Stimmung. „Wie schaffen wir Orte, wo wir Werte der Toleranz vermitteln können?“, fragte sie und erklärte: „Beim DAAD sind wir uns bewusst, dass hier eine erweiterte Aufgabe auf uns zukommt.“

Vielfalt vonnöten – auch bei den Sprachen

Professor Yasemin Karakaşoğlu, Konrektorin für Internationalität und Diversität an der Universität Bremen, beschrieb die derzeitige Situation an vielen Hochschulen: „Die Lehrinhalte sind überwiegend an inländischen Bedürfnissen ausgerichtet. Vor allem in den Bachelorstudiengängen wird auf Deutsch unterrichtet“ ‒ und das, obwohl der Wettbewerb um die Besten längst auf globaler Ebene stattfinde. Zwar würden die Hochschulen Sprachkenntnisse vermitteln, doch in erster Linie Englisch, Deutsch und die Sprachen der bevorzugten Zielländer für Auslandsaufenthalte wie zum Beispiel Chinesisch – kaum aber Sprachen der Migranten wie etwa Arabisch. Wenn sich Studierende mit ausländischen Wurzeln an deutschen Hochschulen einschreiben, treffen sie dort nach den Worten von Yasemin Karakaşoğlu auf bürokratische Abläufe, mit denen viele nicht gut zurechtkommen.

Professor Jeffrey Peck ist für das US-Beratungsunternehmen AKA Strategy als Direktor für Europa tätig und hat zuvor unter anderem in der Leitung des Baruch College der City University of New York gewirkt. In Berlin sagte er, die USA würden in Europa zwar häufig als Vorbild herangezogen, wenn es um Strategien der Diversität geht, „doch erstens können die Konzepte nicht eins zu eins auf hiesige Verhältnisse übertragen werden. Zweitens schauen sich die Experten vor allem Yale, Princeton und Harvard an.“ Diese Universitäten würden jedoch nicht den US-Standard widerspiegeln. Peck berichtete von der City University of New York: Die meisten Studierenden kämen aus Arbeiterfamilien mit Wurzeln in Asien und Lateinamerika. „Sie sind häufig die ersten in ihrer Familie, die an einer Hochschule studieren.“ Wie die Teilnehmenden des Workshops feststellten, trifft das auch in Deutschland auf viele Studierende mit Migrationshintergrund zu. Die Erfahrung, als Erste studieren zu können, sei mindestens ebenso prägend wie der Migrationshintergrund. Es reiche nicht aus, Studierende unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft oder Religion in ein Seminar zu setzen, betonte Jeffrey Peck. Das allein schaffe noch keine Diversität. Vielmehr müsse die Hochschule den Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft organisieren.

Für offenen Austausch

Durch Diversität und Internationalisierung entsteht auch Konfliktpotenzial. Mehrere Hochschullehrer erzählten von Austauschstudierenden, die mit der deutschen Art zu lernen nicht zurechtkamen. Sie schrieben zum Beispiel nur Zitate der Dozentin auf, statt sich mit dem Lehrstoff kritisch auseinanderzusetzen. Ein Teilnehmer erzählte von sunnitischen und schiitischen Studierenden, die sich weigerten, einander die Hand zu geben. Eine Dozentin berichtete von Konfrontationen zwischen Anhängern und Gegnern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf dem Campusgelände. Die Generalsekretärin des DAAD, Dr. Dorothea Rüland, regte an, über die Hintergründe solcher Konflikte in Seminaren zu sprechen – und für die Werte des offenen Austauschs zu streiten.

„Eine Grundsatzaufgabe“

Hochschulen sind nicht nur Orte der Debatte in Seminaren und Hörsälen: Sie haben bereits Institutionen, die Diversität und Internationalisierung befördern. Die International Offices beraten Studierende über Auslandsaufenthalte und kümmern sich an vielen Hochschulen auch um geflüchtete Studierende. Diese Aufgabe übernimmt an anderen Hochschulen das Prorektorat Studium und Lehre. Gleichstellungsbeauftragte setzen sich außerdem für die Chancengleichheit von Frauen ein. Die Anstrengungen der verschiedenen Institutionen seien künftig zu bündeln, stimmten die Teilnehmenden des Workshops überein. „Diversität ist keine zusätzliche Aufgabe für die Hochschulen, sondern eine Grundsatzaufgabe, die in allen Bereichen mitgedacht werden muss“, sagte Yasemin Karakaşoğlu. Professor Angela Ittel, Vizepräsidentin für Internationales und Lehrkräftebildung an der TU Berlin, resümierte: „Die Internationalisierung ist an den Hochschulen bereits angekommen, die Diversität noch nicht ganz – da fehlen uns noch Strategien.“

Wie das verändert werden kann, darüber berieten die Workshop-Teilnehmer in Arbeitsgruppen. Professor Evelyn Ziegler ist Prorektorin für Diversity Management an der Universität Duisburg-Essen. Der Anteil der Studierenden mit Migrationshintergrund liegt dort bei besonders hohen 36 Prozent. Aus einem Elternhaus, in dem noch niemand einen Hochschulabschluss hat, stammen 53 Prozent. Mit einer Umfrage versuchten Mitarbeiter der Universität herauszufinden, warum unter den Studienabbrechern in Duisburg-Essen in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund waren. Nach den Worten von Evelyn Ziegler hatten Studierende und Lehrkräfte zum Teil unterschiedliche Erklärungen dafür. Lehrkräfte benannten unter anderem mangelhafte Deutschkenntnisse. Die Studierenden wiederum vermissten eine gute Betreuung und praktische Tipps, wie sie ihr Studium organisieren können. Die Universität Duisburg-Essen arbeite bereits daran, die Situation zu verbessern – etwa mittels studienbegleitender Tutorien, Mentoringprogrammen und einer Deutschsprechstunde.

Die Teilnehmenden des Workshops wollen auch in Zukunft über solche erfolgreichen Konzepte diskutieren und voneinander lernen. Lehrkräfte, welche Diversität und Internationalisierung an ihrer Hochschule vorantreiben, sollen sich austauschen und weiterbilden können – auch auf Veranstaltungen, die der DAAD ermöglicht. „Wir versuchen herauszufinden, was die Hochschulen brauchen“, bekräftigte in Berlin DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland.

Josefine Janert (12. April 2017)