Zentren für Deutschland- und Europastudien: Premiere in Brasilien
PUCRS/Bruno Todeschini
Mit der Gründungsplakette des neuen Zentrums für Deutschland- und Europastudien CDEA (v. l.): Evilázio Teixeira, Rektor der Pontifícia Universidade Católica do Rio Grande do Sul (PUCRS), die Leiterin des CDEA Claudia Lima Marques, DAAD-Vizepräsident Joybrato Mukherjee, Rui Vicente Oppermann, Rektor der Universidade Federal do Rio Grande do Sul (UFRGS), der deutsche Botschafter Georg Witschel und Draiton Gonzaga de Souza, stellvertretender Leiter des CDEA
Das vom DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amts geförderte Netzwerk der Zentren für Deutschland- und Europastudien ist um einen Standort reicher: Das Centro de Estudos Europeus e Alemães (CDEA) in Porto Alegre ist das erste Zentrum der südlichen Hemisphäre.
Martin Luther ist 2017 in Deutschland in aller Munde. Doch auch in Brasilien weckt das Reformationsjubiläum Interesse – so sehr, dass das Anfang April gegründete Zentrum für Deutschland- und Europastudien Centro de Estudos Europeus e Alemães (CDEA) in Porto Alegre Luther im November eine dreitägige wissenschaftliche Konferenz zum Thema 500 Jahre Reformation widmet. Dort sollen Theologen, Juristen, Philosophen und andere Geisteswissenschaftler aus Lateinamerika und Deutschland über die aktuellen Folgen der Reformation diskutieren.
Die Luther-Konferenz ist typisch für den Anspruch des Zentrums. „Wir wollen interdisziplinär zu aktuellen Themen der kulturellen Diversität, der Nachhaltigkeit und der Globalisierung forschen und dabei insbesondere Wissenschaftler aus den Bereichen Jura, Philosophie, Soziologie und Politik einbinden“, sagt Professor Claudia Lima Marques, Leiterin des CDEA. Die Rechtswissenschaftlerin forscht an der Bundesuniversität Universidade Federal do Rio Grande do Sul (UFRGS). Die UFRGS trägt gemeinsam mit der päpstlich-katholischen Pontifícia Universidade Católica do Rio Grande do Sul (PUCRS) und dem DAAD das Zentrum im Süden Brasiliens.
Enger Austausch mit Kollegen in Deutschland
Claudia Marques kooperiert seit vielen Jahren mit Kollegen in Deutschland, etwa an den Universitäten Heidelberg und Gießen. Enge Kontakte mit Wissenschaftlern an den Universitäten Hamburg, Kiel oder Gießen pflegt auch der Philosophieprofessor Draiton Gonzaga de Souza, stellvertretender CDEA-Leiter. „Mit dem neuen Zentrum haben wir die Möglichkeit, die partnerschaftlichen Beziehungen mit Geistes- und Sozialwissenschaftlern auf eine sichere Basis zu stellen“, sagt der PUCRS-Wissenschaftler. Dies sei die Krönung der bisherigen Forschungskooperation mit Deutschland.
Auch DAAD-Vizepräsident Professor Joybrato Mukherjee betonte bei der Eröffnungsveranstaltung in Porto Alegre die besondere Bedeutung des neuen Zentrumsstandorts: „Als erstes Zentrum seiner Art – nicht nur in Brasilien, sondern in der südlichen Hemisphäre – wird das CDEA die interdisziplinären Deutschland- und Europastudien in Forschung und Lehre um Blickwinkel einer bedeutenden Region bereichern, indem es das an den beiden brasilianischen Trägeruniversitäten und darüber hinaus vorhandene Deutschlandwissen bündelt, um neue Erkenntnisse erweitert und nicht zuletzt auch durch öffentliche Veranstaltungen und Vorträge einem breiteren Publikum näherbringt.“ Bereits im Zuge der ersten deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen im Jahr 2015 sei eine Absichtserklärung zur bilateralen Zusammenarbeit unterzeichnet worden, in der unter anderem explizit die Einrichtung eines Zentrums für Deutschland- und Europastudien vereinbart wurde. Auch Dr. Martina Schulze, Leiterin der DAAD-Außenstelle Rio de Janeiro, findet die Wahl folgerichtig. „Geistes- und Sozialwissenschaften sind in Brasilien stark vertreten“, sagt sie. Zudem sei es von den beiden Universitäten angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Rezession ein starkes Zeichen, trotz der staatlichen Einsparungen in der Wissenschaft in ein solches Zentrum zu investieren. „Die für die Innovation eines Landes wichtige Internationalisierung leidet unter den Kürzungen“, sagt Martina Schulze. Das Zentrum biete aber eine herausragende Möglichkeit, den Kontakt mit Deutschland und Europa aufrechtzuerhalten und auszubauen.
Überzeugt vom Standort Porto Alegre
Die Millionen-Stadt Porto Alegre und der Bundesstaat Rio Grande do Sul gelten mit ihren zahlreichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen als einer der wichtigsten Wissenschaftsstandorte in Brasilien – und als naheliegende Wahl für ein solches interdisziplinäres Zentrum. „Die fachliche Qualität und das Engagement der Hochschulleitungen an den beiden Universitäten haben die Gutachter vom Standort Porto Alegre überzeugt“, sagt Christian Strowa, beim DAAD Teamleiter für die Zentren für Deutschland- und Europastudien. So liegt die UFRGS im landesweiten Hochschulranking auf Platz vier, die PUCRS auf Platz zehn. Hinzu kommt eine besondere historische Verbundenheit, da die Region im 19. Jahrhundert ein Ziel für viele deutsche Auswanderer war. Heute leben in Rio Grande do Sul Schätzungen zufolge rund drei Millionen Brasilianer mit deutschen Wurzeln. „Die Sprachkompetenz ist auch deshalb hoch“, sagt Strowa.
Hoch ist auch das Tempo, mit dem das CDEA startet: Schon einige Tage vor der offiziellen Eröffnung begann zum Beispiel ein Masterkurs zum deutschen und europäischen Recht. Geplant sind neben zahlreichen Konferenzen, etwa zum Verbraucherschutzrecht oder zu Fragen der Nachhaltigkeit, auch weitere wissenschaftliche Treffen, Masterstudiengänge, eine Graduiertenschule, Austauschprogramme sowie eine Winter School für Nachwuchswissenschaftler. Punkten will das Zentrum zudem mit einem erweiterten regionalen Fokus. „Wir wollen Professoren, Nachwuchswissenschaftler und Studierende aus ganz Lateinamerika einladen“, sagt Claudia Marques. „Wir kooperieren viel mit Kollegen etwa aus Argentinien, Uruguay oder Chile“, sagt Draiton de Souza. Diese Zusammenarbeit könne man über das neue Zentrum nun vertiefen.
Doch der Blick der Zentrumsleiter geht auch über Lateinamerika hinaus, schließlich reiht sich das CDEA ein in das etablierte DAAD-Zentrennetzwerk, das Deutschland- und Europa-Experten aus nun insgesamt 20 Zentren in Amerika, Europa, Ostasien, Russland und Israel verknüpft. „Wir wollen in das Netzwerk die lateinamerikanische Perspektive einbauen“, betont Claudia Marques, die gemeinsam mit Draiton de Souza im vorigen Dezember an der großen Zentrenkonferenz am BMW Center for German and European Studies in Washington, D. C., teilnahm. „Eine Idee wäre, gemeinsam mit den Zentren in den USA und Kanada in der Forschung und beim Austausch von Studierenden eng zu kooperieren“, sagt Marques. Ein Anfang ist bereits gemacht: Im Mai besuchte ein brasilianischer Wissenschaftler des CDEA das Center for European Studies der Harvard University. Weitere solche Besuche, zum Beispiel des Center for German and European Studies in Berkeley, sind geplant.
Benjamin Haerdle (12. Mai 2017)
Weitere Informationen
Der DAAD fördert das CDEA aus Mitteln des Auswärtigen Amts für die kommenden fünf Jahre mit bis zu 250.000 Euro jährlich. Dazu kommen Mittel der Universidade Federal do Rio Grande do Sul (UFRGS) und der Pontifícia Universidade Católica do Rio Grande do Sul (PUCRS) in insgesamt mindestens der gleichen Höhe.
Leiterin des CDEA ist die Rechtswissenschaftlerin Professor Claudia Lima Marques (UFRGS). Sie hat unter anderem an der Universität Tübingen und am Europa-Institut in Saarbrücken studiert und an der Universität Heidelberg promoviert. Der stellvertretende Leiter, der Philosophieprofessor Draiton Gonzaga de Souza, hat unter anderem an der Universität Kassel promoviert und als Postdoc an der Universität Bochum geforscht.
58 Wissenschaftler aus 20 unterschiedlichen Promotions- und Masterprogrammen zählen derzeit zum CDEA. Ein Beratungsgremium und ein wissenschaftlicher Beirat sollen noch gegründet werden.