Wege in die Welt: Studierende mobiler machen
DAAD/Uta Konopka
Miteinander und nicht übereinander zu diskutieren, war dem DAAD ein großes Anliegen bei der Tagung in Essen
Gemeinsam zum Ziel: Zwei Tage lang haben in Essen Studierende, Verantwortliche des DAAD und Vertreter von Hochschulen, Initiativen und der Politik darüber diskutiert, wie sich die studentische Auslandsmobilität erhöhen lässt. Ihr Ergebnis: Eine Zeit im Ausland lohnt sich für jeden Studierenden. Doch für Lehramtsstudierende, Studierende mit Kind, Erstakademiker und Studierende mit Beeinträchtigungen gibt es in Bezug auf Motivation, Unterstützung und Anerkennung noch viel zu tun.
Kann ich mit Kind ins Ausland gehen? Welche Hochschule ist barrierefrei? Und: Lohnt sich für mich ein Auslandsaufenthalt, auch wenn ich später als Grundschullehrer arbeiten werde? Um sich über diese und ähnliche Fragen auszutauschen, hat der DAAD etwa hundert Studierende, Hochschulmitarbeiter und Entscheider zur Tagung „Studentische Auslandsmobilität erhöhen! Soziale Diversität und Lehramtsstudium als Herausforderung und Chance“ nach Essen eingeladen. Zwei Tage lang diskutierten sie darüber, wie sich die Chancen und Möglichkeiten eines Auslandsaufenthalts für Lehramtsstudierende, Erstakademiker, Studierende mit psychischen oder physischen Beeinträchtigungen sowie Studierende mit Kind erhöhen lassen. „Wir wollen reden über Wege in die Welt“, brachte es der Moderator der Veranstaltung, der Wissenschaftsjournalist Armin Himmelrath, auf den Punkt.
DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland sprach zum Einstieg mit Ministerialdirigent Peter Greisler, der im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Abteilung Hochschulen zuständig ist, über eigene Auslandserfahrungen. Für sie seien das die spannendsten Jahre gewesen, erzählte Rüland: „Man lernt viel über ein anderes Land, aber noch mehr über sich selbst.“ Die Aufgabe sei, herauszufinden, aus welchen Gründen sich jemand gegen die Auslandszeit entscheide. Deshalb solle in Essen „mit den Betroffenen – und nicht über sie“ gesprochen werden. Der DAAD hat sich das Ziel gesetzt, 50 Prozent aller Studierenden für einen Auslandsaufenthalt zu begeistern. Aktuell liegt der Anteil bei 37 bis 38 Prozent, so Dorothea Rüland.
Konkrete Handlungsempfehlungen
Peter Greisler stellte fest, dass sich die Politik durch den offeneren Blick derer, die in anderen Ländern gelebt hätten, positiv beeinflussen lasse. Besonders wichtig seien die Auslandserfahrungen für Pädagogen: „Lehrer müssen Kindern die Welt erklären“, so Greisler. „Dann sollten sie auch etwas davon gesehen haben.“
Um möglichst konkrete Handlungsempfehlungen aus den Inhalten der Tagung mitnehmen zu können, nutzte der DAAD für die Veranstaltungen ein neues Format, das den Studierenden viel Raum für persönlichen Austausch und eigene Vorschläge ließ. In jedem der vier Bereiche (Lehramt, Erstakademiker, Beeinträchtigte und Studierende mit Kind) leitete ein Themenpate aus Hochschule oder auch Zivilgesellschaft die Diskussionen und sammelte die Ergebnisse der Arbeitsgruppen, um sie gemeinsam mit studentischen Themenpaten später im Plenum vorzustellen und diskutieren zu lassen. Unter dem Hashtag #DiskutiereMit teilten die Teilnehmer Eindrücke und Ergebnisse auf Instagram. Die dadurch entstandene „Social Wall“ können Interessierte auch nach Abschluss der Tagung besuchen und sich auf https://walls.io/DiskutiereMit Eindrücke aus erster Hand verschaffen.
Überzeugungsstrategien und Ideen
Intensiv wurde in der Gruppe der Lehramtsstudierenden die Frage diskutiert, wie sich angehende Lehrer noch stärker für einen Auslandsaufenthalt motivieren lassen und wie sich die häufig noch schwierige Anerkennung von Studienleistungen im Ausland besser umsetzen lassen könnte. Zwar geht auch knapp jeder dritte Lehramtsstudierende ins Ausland. Doch innerhalb dieser Gruppe bestehen große Unterschiede: Unter den Fremdsprachen-Studierenden wagen mehr als 60 Prozent den Schritt in ein anderes Land, in Fächern wie Mathematik oder Physik sind es gerade einmal elf beziehungsweise sechs Prozent. Auch die Schulart ist entscheidend: Nur 15 Prozent der zukünftigen Grund- und Sonderschullehrer gehen ins Ausland, im Gymnasial- und Berufsschulbereich sind es immerhin 38 Prozent.
Engagierte Diskussionen zwischen Studierenden, Hochschulvertretern und Verantwortlichen aus Politik und Institutionen
Das Studium in einer Art Klassenverband, starre Kursmodule und die Annahme, dass ihnen ein Auslandsaufenthalt später nicht von Nutzen sein werde, hielten ihre Kommilitonen davon ab, eine Auslandserfahrung zu wagen, erzählten die Teilnehmer. In Gruppen erarbeiteten sie Überzeugungsstrategien und Ideen, wie die Studienstruktur angepasst werden könnte, um den Aufenthalt einfacher zu integrieren.
Versagensängste der Erstakademiker
In der Sektion der Erstakademiker trafen sich etwa 30 Studierende, in deren Familien es bisher keine oder kaum Studienabschlüsse gab. Sie widmeten sich der Frage, was sich ändern muss, damit mehr Studierende der ersten Generation Chancen auf einen Auslandsaufenthalt haben. Dabei spielten nicht nur naheliegende Probleme wie die Finanzierung eine Rolle, sondern auch Faktoren wie Versagensängste und fehlender familiärer Rückhalt. Eine Teilnehmerin erzählte von der Besorgnis ihrer Eltern vor ihrem ersten Auslandsaufenthalt, andere von dem langen Atem, den sie brauchten, bis sie die Förderung eines Studienwerks erhielten.
Über das neue Bundesteilhabegesetz diskutierten etwa 15 Studierende mit psychischen und physischen Beschwerden. Besonders gingen die Teilnehmer auf die Schwierigkeit ein, mit einer Beeinträchtigung die Bestnoten zu erzielen, auf die es für die Bewerbung um ein Stipendium ankommt. Eine gute Möglichkeit, mit einer Behinderung im Ausland zu studieren, ist nach Einschätzung der Arbeitsgruppe die Erasmus+ Förderung: Die Hürden seien niedrig und die Chancen auf den höchsten Fördersatz gut. Einig war sich die Gruppe darin, dass Lehramtsstudierende auf die Aufgaben der Inklusion besser vorbereitet werden müssten.
Projektübergreifender Austausch
Die Studierenden mit Kind setzten sich damit auseinander, dass ihre Bedürfnisse und Probleme selten im Fokus von Veranstaltungen und Angeboten rund um die Auslandsmobilität stehen. Es fehle an Leitfäden für die Auslandszeit mit Kind, urteilten die Teilnehmer. Die finanzielle Unterstützung sei besonders wichtig, weil die Kosten für ein Leben mit Kind im Ausland deutlich höher ausfielen als bei kinderlosen Kommilitonen. Auch der persönliche Druck spiele eine wichtige Rolle: Wegen der Doppelbelastung sei es wichtig, sich dem leistungsorientierten Studiengeschehen gelegentlich entziehen zu können. Eine Teilnehmerin erzählte, sie sei nach ihrem Auslandsaufenthalt nicht nach Deutschland zurückgekommen, weil die Rückkehr Studierender mit Kind nicht ausreichend unterstützt werde.
In den Plenumsveranstaltungen am Nachmittag hatten die Teilnehmer Gelegenheit, sich gruppenübergreifend auszutauschen. Dabei wurde deutlich, dass sich viele Hürden unabhängig von der individuellen Situation ähneln. Sich begleitet zu fühlen, Ängste abbauen zu können und zu erfahren, wie es andere geschafft haben, sei bei einem Schritt ins Ausland unverzichtbar, stellten die Studierenden fest. Einig waren sich die Teilnehmer auch darüber, dass die Suche nach Stipendien und weiteren Finanzierungsmöglichkeiten oft aufwendig und frustrierend ist. Deshalb lohne es sich, den Austausch zu fördern, andere Stimmen zu hören und Verbesserungsvorschläge zu sammeln: Die Probleme, die andere bereits gelöst haben, müsse man schließlich nicht noch einmal lösen.
Elena Witzeck (22. Juni 2017)