GAIN-Jahrestagung in San Francisco: „Den freien Geist kann niemand vertreiben“
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Kultur des Austauschs: Die Teilnehmer der GAIN-Jahrestagung nutzten die vielfältigen Dialogformate
Auf der 17. Jahrestagung des German Academic International Network (GAIN) vom 25. bis 27. August 2017 haben sich in San Francisco mehr als 550 Wissenschaftler aus aller Welt über Forschungsmöglichkeiten in Deutschland informiert. Auch bei Akademikern aus Drittländern ist das Interesse groß; das Klima unter der Trump-Regierung verunsichert viele.
Zielstrebig bahnt sich Ragwa Elsayed einen Weg durch die Reihen der Aussteller, die um ihre Aufmerksamkeit wetteifern. Die Sporthochschule Köln hat ein Tischtennisfeld aufgebaut, die Universität Frankfurt lockt mit Goethe-Stofftaschen, überall gibt es Kaffee. Bei der FU Berlin bleibt sie stehen. „Gibt es in Berlin Möglichkeiten in der Nierenforschung?“, fragt Elsayed auf Englisch. Die Mitarbeiterin notiert sich ihre E-Mail-Adresse und verspricht, sie mit der Medizinischen Fakultät in Kontakt zu bringen.
Mit ihrem roten Kopftuch fällt die 28-Jährige auf. Die Ägypterin macht derzeit ihren zweiten Master an der San José State University und hält schon nach einer Doktorandenstelle in Deutschland Ausschau. „Seit US-Präsident Donald Trump gegen Muslime hetzt, gibt es in San José Menschen, die sich uns gegenüber feindselig verhalten“, erzählt sie. Einige ihrer Freunde sind zudem vom Einreiseverbot für Muslime betroffen. „Zum Glück pendle ich von San Francisco zur Uni. Hier fühle ich mich respektiert – doch in vielen Gegenden der USA ist die Stimmung schlecht.“
Zusammen mit Ragwa Elsayed sind mehr als 550 deutsche und internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Jahrestagung des German Academic International Network (GAIN) nach San Francisco gekommen, um sich drei Tage lang über Perspektiven am Wissenschaftsstandort Deutschland zu informieren. Im legendären Westin St. Francis-Hotel, in dem schon fast alle US-Präsidenten übernachtet haben, tauschen sie sich in Podiumsdiskussionen, Arbeitsgruppen und auf der Karrieremesse Talent Fair aus.
Deutschland im Blick
„Ich mag die europäische Gesellschaft noch mehr als die US-amerikanische“, erzählt Elsayed. „In den USA habe ich theoretisch zwar alle Möglichkeiten der Welt, aber dafür arbeite ich zwölf bis 14 Stunden am Tag.“ Um ihren Master zu finanzieren, jobbt Elsayed für einen Medizintechnik-Konzern und als Assistentin am Lehrstuhl. Von Deutschland erhofft sie sich mehr: eine Karriere in der Wissenschaft, eine offenere Gesellschaft – und ein bisschen Freizeit.
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Zeit für Gespräche: Die GAIN-Jahrestagung pflegt den Erfahrungsaustausch
„In vielen Ländern werden Forscher zunehmend diskreditiert. Deutschland bringt der Wissenschaft zum Glück nach wie vor eine hohe Wertschätzung entgegen“, erinnert DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel in ihrer Begrüßungsansprache. Der DAAD richtet die Jahrestagung gemeinsam mit der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aus. Wintermantel verweist auch auf das Erasmus-Austauschprogramm, das in 30 Jahren bereits 4,4 Millionen Studierende zu erfahrenen Europäern gemacht habe. Solche Begegnungen prägten ein Leben lang, sagt Wintermantel. „Wissenschaft kann Nationalismus und Populismus nicht verhindern, doch sie kann diesen Strömungen mit einer Haltung der Offenheit und des kritischen Denkens entgegenwirken.“ Deshalb sei es wichtig, die transatlantischen Austauschbeziehungen auch in schwierigen Zeiten weiterzuentwickeln. „Den freien und kritischen Geist an den US-Spitzenuniversitäten kann niemand vertreiben.“
Kooperation mit US-Unis noch verstärken
Zwar haben sich in diesem Jahr deutlich weniger Deutsche um ein DAAD-Jahresstipendium in den USA beworben, doch die Leiterin der DAAD-Außenstelle New York, Dr. Nina Lemmens, sieht keinen Grund zur Sorge. „Wir kennen das schon: Als die USA nach 9/11 ihre Visapolitik verschärften, brachen die Bewerbungen ebenfalls ein – deutsche Studierende stimmen eben mit den Füßen ab, wenn ihnen die politische Situation nicht gefällt“, erzählt Lemmens. „Doch wir werden uns hüten, aggressiv Wissenschaftler aus den USA abzuwerben. Das wäre zynisch und kurzsichtig: Niemandem ist damit geholfen, wenn das stärkste Forschungsland der Welt geschwächt wird und es zu Brüchen bei Austauschbeziehungen kommt. Im Gegenteil: Der DAAD wird seine Kooperation mit US-Unis noch intensivieren.“
Dr. Jens Bauer gehört zu Tausenden von Forschern, die von dieser Zusammenarbeit profitieren. Für seinen Postdoc ging der 31-jährige Materialwissenschaftler vom Karlsruher Institut für Technologie an die UC Irvine in Südkalifornien. Er schwärmt von der „lockeren Arbeitskultur“ und den „flachen Hierarchien“. Und doch: Dass er nach Deutschland zurückkehren wird, steht für ihn fest – nicht zuletzt seiner Frau zuliebe. „Uns geht es wie so vielen Expat-Paaren: Für mich ist hier alles geregelt, aber meine Frau muss ganz neu anfangen. Sie hat nach langen Monaten des Wartens zwar eine Arbeitsgenehmigung für die USA, doch ihr Job lässt sich nicht so einfach übertragen: In Deutschland war sie Ausbildungsleiterin im Personalmanagement, aber in den USA gibt es keine Ausbildungsberufe. Meine Frau musste also umsatteln und arbeitet gerade als Eventplanerin in Teilzeit“, erzählt Bauer am Rande der Talent Fair.
Weiche Faktoren sprechen für Deutschland
Ute Mai, die als Geschäftsführerin der Bauhaus Research School in Weimar Postdocs unterstützt, kennt das Problem. „Ich treffe viele Deutsche, die zurückkehren wollen. An der Bezahlung liegt es nicht – da können deutsche Unis nicht mit der amerikanischen Ivy League mithalten“, sagt sie am Messestand der Universität Weimar. „Aber der Lebensstandard im Ganzen ist in Deutschland besser: Die Partner der Wissenschaftler finden leichter gute Jobs, das Gesundheitssystem ist bezahlbar und Uni-Kitas helfen bei der Vereinbarung von Familie und Beruf.“
Doch nach mehreren Jahren im Ausland verlieren deutsche Wissenschaftler schnell den Überblick über Karrierewege und Möglichkeiten in Deutschland, betont GAIN-Programmleiter Dr. Gerrit Rößler. „Und genau dafür gibt es unser Netzwerk. Wir halten deutsche Forscher in Nordamerika über aktuelle Entwicklungen in der deutschen Wissenschaftslandschaft auf dem Laufenden und vernetzen sie untereinander.“ GAIN wird von der Alexander von Humboldt-Stiftung, dem DAAD und der DFG getragen und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. In über 50 Städten in den USA und Kanada gebe es bereits GAIN-Stammtische, erzählt Rößler.
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An zahlreichen Infoständen konnten sich die Tagungsteilnehmer über ihre Karriereoptionen in Deutschland informieren
Am Stand der Universität Göttingen gibt Dr. Marion Silies Nachwuchswissenschaftlern wie Jens Bauer und Ragwa Elsayed Tipps für die Bewerbung an einer deutschen Hochschule. Silies war für ihren Postdoc selbst fünf Jahre lang an der Stanford University. „Damals hat mir die GAIN-Tagung klar gemacht, welche Möglichkeiten es in Deutschland gibt und welche Deadlines es zu beachten gilt, wenn ich wieder zurückkehren möchte“, erzählt sie. Die entscheidenden Kontakte knüpfte sie dann direkt in Deutschland: „Während eines Heimaturlaubs habe ich Vorträge an allen Standorten gehalten, die mich interessierten.“ Vor drei Jahren kehrte sie zurück – als Gruppenleiterin am European Neuroscience Institute Göttingen.
Indien, Brasilien, USA, Deutschland?
Neben deutschen Rückkehrern interessieren sich auch internationale Forscher für die Möglichkeiten in Deutschland. Es seien fast 100 Anmeldungen von Wissenschaftlern aus Drittländern eingegangen, die derzeit in den USA arbeiten, erzählt Rößler. „Wir sind froh, dass hier alles an einem Ort ist und wir die Institutionen nicht einzeln finden müssen“, sagt Priyanka Joshi, die mit ihrem Mann Niravkumar auf der Talent Fair von Stand zu Stand schlendert. Die 27-jährige Pharmazeutin hat ihren Job bei einem multinationalen Konzern in Indien aufgegeben, um ihrem Mann erst nach Brasilien und dann nach Kalifornien zu folgen. „Doch wenn wir eines Tages nach Deutschland gehen, dann ist das unser gemeinsamer Plan. Deshalb suchen wir hier beide nach Jobs, für jeden von uns.“
Dr. Niravkumar Joshi entwickelt Gassensoren, die Industrie-Arbeiter an ihrer Kleidung tragen und die sie bei zu hohen Gaswerten alarmieren. „Deutschland ist für mich ideal, weil dort sehr anwendungsorientiert geforscht wird“, erzählt er. „Ich will Produkte entwickeln, die in der Industrie eingesetzt werden und nützlich für die Gesellschaft sind.“ Wegen eines erneuten Umzugs machen sich die beiden keine Sorge. „Sprachen sind kein Problem“, wirft Priyanka Joshi ein. „Wir sprechen schon Gujarati, Hindi, Englisch und Portugiesisch – da schaffen wir Deutsch auch noch.“
Christina Felschen (8. September 2017)