DAAD-Wahlbeobachterreise 2017: „Eine führende Demokratie in Europa“
DAAD/Stefan Zeitz
Offen für den Austausch: ein Teil der Gruppe internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die vom DAAD zur Bundestagswahl 2017 eingeladen wurden
Wie nehmen internationale Experten die deutsche Politik und den Bundestagswahlkampf wahr? Welche Themen bewegen sie besonders? Auch 2017 war die Wahlbeobachterreise des DAAD voller außergewöhnlicher Begegnungen.
Die heiße Wahlkampfphase in Deutschland kennenzulernen: Das ermöglichte der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) einer Gruppe ausgewählter, internationaler Deutschlandexperten vom 15. bis zum 25. September. Die 18 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 16 verschiedenen Ländern erlebten die Woche vor der Bundestagswahl sowie den Wahlabend hautnah auf Wahlkampfterminen, Podiumsdiskussionen und anderen Veranstaltungen mit. „Ziel der Reise, die der DAAD seit fast 50 Jahren durchführt, ist es, den Wahlbeobachtern einen differenzierten Blick auf die Wahlen in Deutschland zu vermitteln“, betonte DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland beim Eröffnungsabend der Reise in Bonn. Die Teilnehmer kamen 2017 aus Ägypten, Brasilien, Frankreich, Griechenland, Indien, Indonesien, Israel, Japan, Mexiko, den Niederlanden, Polen, Russland, Spanien, der Türkei, der Ukraine und den USA.
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Wahlkampf hautnah: Auch das gehörte zur DAAD-Wahlbeobachterreise 2017
Das Programm war vielfältig und gab der internationalen Gruppe aus den Bereichen Politikwissenschaften sowie Deutschland- und Europastudien die Möglichkeit, unterschiedliche Facetten des Wahlkampfs mitzuerleben. „Die Kombination aus der Beobachtung des Straßenwahlkampfes, der Teilnahme an Kundgebungen und der Wahrnehmung der Kollegen aus den anderen Ländern war praktisch und inhaltlich sehr reichhaltig“, bilanzierte zum Beispiel Dr. Maksym Yakovlyev, Projektkoordinator für Deutschland- und Europastudien an der Nationalen Universität „Kiewer Mohyla Akademie“. Nach dem Auftakt in Bonn und Köln reisten die Wahlbeobachter nach Frankfurt, Halle und Leipzig. Für die letzten Tage ging es dann weiter nach Berlin.
Was bedeutet soziale Gerechtigkeit?
Neben dem Straßenwahlkampf in Nordrhein-Westfalen besuchte die Gruppe Wahlkampfveranstaltungen der Spitzenkandidaten Christan Lindner (FDP) und Martin Schulz (SPD) in Frankfurt und Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) in Berlin. Außerdem standen Diskussionsrunden mit Experten und Spitzenvertretern aus Politik, Wissenschaft, Medien und Kultur auf dem zehntägigen Programm. Schwerpunkt waren Themen, die Deutschland vor der Wahl besonders beschäftigten, zum Beispiel sozialer Zusammenhalt und Chancengleichheit in der Gesellschaft. „Ich glaube, weil Deutschland eine führende Demokratie in Europa ist, werden hier in naher Zukunft Lösungen verbreitet, die auch für Griechenland relevant sein werden“, erklärte Professor Konstantina Botsiou von der Universität der Peloponnes in Griechenland. Die Direktorin des Zentrums für europäische Studien im israelischen Herzliya, Dr. Esther Lopatin, sieht Parallelen zu ihrem Heimatland: „Es hat mich überrascht, wie ähnlich es in Israel ist. Ich sehe in Israel gleiche Dynamiken in der Abwanderung wie bei der Arbeiterpartei in Deutschland: Die SPD spricht auch über soziale Gerechtigkeit, gute Bildung für alle, Rente, Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern, aber letztendlich verliert die SPD, weil sie nicht über die wichtigen Themen für Deutschland gesprochen hat, wie innere Sicherheit und sichere Grenzen. Das ist schade, aber Realität.“
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Wie steht es um die Chancengleichheit? Gerechtigkeitsfragen bewegten auch die internationalen Wahlbeobachter
Als äußerst spannend wurde auch der Besuch beim stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag, Dr. Karamba Diaby (SPD), in Halle wahrgenommen. Er zeigte seine Sicht auf den Wahlkampf in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie auf die Probleme in seiner Stadt und den beiden Bundesländern. Diaby ging außerdem darauf ein, inwieweit sich die SPD, die Linkspartei und die Grünen voneinander unterscheiden. Hierzu erläuterte er den Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachtern, welche bildungs- und sozialpolitischen Aspekte seine Partei für die unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft anbietet. „Ich habe mich sehr über diese Veranstaltung gefreut, und es war für mich auch sehr erfrischend, unterschiedliche Meinungen und Perspektiven von Menschen aus dem Ausland über die deutsche Politik und den Wahlkampf zu hören“, sagte Karamba Diaby nach der Veranstaltung.
Deutschlands Potenzial in Europa
Nicht nur in Halle ging es um größere Perspektiven auf Deutschland und seine Politik. Während ihrer Reise sprach die internationale Gruppe bei einer Diskussionsrunde in Berlin auch über die Rolle Deutschlands in der globalen Außenpolitik und im internationalen Wirtschaftssystem. Professor Jeff Anderson, Wahlbeobachter von der Georgetown University in Washington, sieht für Deutschland die Herausforderung, internationale Allianzen in der Zukunft aufrechtzuerhalten: „Im Osten haben wir Wladimir Putin und seit Januar im Westen Donald Trump. Es kann sein, dass sich die Deutschen in naher Zukunft entscheiden werden, dass sie sich nicht mehr auf die USA verlassen können.“ Eine Tendenz, die Anderson sehr bedauert. Potenzial sieht er allerdings in der engeren Zusammenarbeit innerhalb Europas, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich. Überrascht nahm die Wahlbeobachterin aus Russland, Dr. Natalia Toganowa, wahr, dass sehr viel über die Differenzen zwischen West- und Ostdeutschland gesprochen wurde: „In den letzten Jahren war das ein Tabuthema, jetzt ist es wieder da.“
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Kundgebung mit Kanzlerkandidat Martin Schulz: Europa vor Augen
Weitere Termine zu wichtigen Wahlkampfthemen wie Digitalisierung und Innovation sowie der Herausforderung des wachsenden Rechtsrucks in Europa folgten. Zu Letzterem äußerten sich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer besorgt und stuften den Einzug der AfD in den Bundestag als sehr kritisch ein: „Der deutsche Rechtspopulismus wird in Frankreich beunruhigend wahrgenommen. Solange sich der Rechtspopulismus nicht klar vom Neonazismus abgrenzt, stellt er eine Gefahr dar“, erklärte Professor Hans Stark von der Université Paris-Sorbonne nach einer Veranstaltung in Bonn zum Thema „Rechtsruck in Europa“. Die Präsidentin des DAAD, Professor Margret Wintermantel, betonte allerdings gleichzeitig, dass trotz aller Sorgen Vertrauen in die Demokratie gesetzt wird – das sei durch die Gespräche mit den Wahlbeobachtern deutlich geworden: „Es wurde zum Ausdruck gebracht, wie sehr man schätzt, dass in Deutschland demokratische Verhältnisse herrschen und man darauf vertraut, dass es auch so bleibt“, erklärte Wintermantel zum Abschluss einer vom DAAD organisierten Podiumsdiskussion in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zum Thema: „Deutschland vor der Wahl: Einschätzungen aus dem Ausland“.
Bildungsthemen im Blick
Auch das deutsche Bildungssystem wurde thematisiert, denn Politik und Bildungsinstitutionen sehen sich in Zukunft auf diesem Gebiet mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Lehrermangel, die Ausstattung von Schulen, Inklusion und soziale Gerechtigkeit in der Bildung waren deshalb die zentralen Themen bei einer Runde in Berlin am Freitag vor der Wahl. Die Diskussion moderierte Dr. Michael Harms, Direktor der Abteilung Kommunikation des DAAD. Er betonte, wie wesentlich es sei, Bildungsthemen auch global zu denken und nicht nur auf nationale Bildungssysteme zu schauen: „Es ist wichtig, auch gespiegelt zu bekommen, wie das in anderen Ländern funktioniert, wo Sachen gut laufen und wie man auch voneinander lernen kann.“
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Analytischer Blick: die Gruppe der Wahlbeobachter bei einer ihrer Diskussionsrunden
Am Ende der Reise hieß es dann mitfiebern: Zusammen mit den Spitzenkandidaten der Parteien verfolgten die Wahlbeobachter auf unterschiedlichen Wahlpartys den Abend in Berlin, von der ersten Hochrechnung bis zum endgültigen Wahlergebnis. Trotz vollgepackter Tage und kurzer Nächte fiel der Abschied am nächsten Mittag allen Teilnehmern schwer. „Es war eine ganz wunderbare Reise, die es mir möglich macht, viel informierter über die deutsche Politik zu sprechen, wenn ich nach Mexiko zurückkehre“, erklärte Dr. Nitzan Shoshan, Wahlbeobachter aus Mexiko. Auch Jeff Anderson aus den USA freut sich schon darauf, an seiner Universität in Washington von seinen Erfahrungen zu berichten: „Ich habe viele neue Ansichten erhalten und nun ein viel besseres Gefühl für die Wahlkampagnen in Deutschland.“ Auch Esther Lopatin aus Israel ist dankbar für die Einladung des DAAD: „Ich habe viel gelernt über die deutsche Politik, die Spaltung innerhalb der Gesellschaft, über die Themen, die für die verschiedenen Wähler wichtig sind und was die Politik für die Zukunft Deutschlands anstrebt.“
Christina Storz/dpa-Custom Content (29. September 2017)
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Großes daad.de-Spezial zur Wahlbeobachterreise 2017: Die Reise nacherleben