ASEM: Wie Europa und Asien zusammenwachsen
DAAD/Daniel Ziegert
Europäisch-asiatischer Austausch: Gruppenbild zum Asia-Europe Meeting in Hamburg
Das Hamburger Asia-Europe Meeting (ASEM) „An der Schwelle zur Zukunft: ASEM-Hochschulkooperationen stärken – Dialog vertiefen“ war richtungsweisend: für das Treffen der Bildungsminister in Seoul im November – und für die Art und Weise, wie die Vernetzung zwischen Europa und Asien intensiviert werden kann.
Auf den ersten Blick ist es kein guter Tag, um Brücken zu bauen. Draußen wütet Sturm „Xavier“, Wind und Regen peitschen gegen die Fenster, hier in Norddeutschland hat die Bahn den Verkehr vorübergehend eingestellt. Und doch: Es sind an diesem 5. Oktober die richtigen Menschen am richtigen Ort zusammengekommen, um Brücken zu bauen. Dr. Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, steht in einem Saal des Historischen Speicherbodens und begrüßt die Anwesenden: „Wir befinden uns hier in der Speicherstadt der Hansestadt Hamburg, die über Jahrhunderte das Tor zur Welt war“, sagt er. Da passe es ganz hervorragend, dass hier ein Teil der Welt zu Gast sei: die Hochschulwelt von Europa und Asien. Mehr als 70 Vertreter von Universitäten und Fachhochschulen, von Bildungsministerien und Hochschulverbünden aus Asien und Europa sind zusammengekommen, um darüber zu sprechen, was in den nunmehr fast zehn Jahren erreicht wurde, die der Bildungsprozess des Asia-Europe-Meeting, kurz ASEM, bisher besteht – und wie man die Zukunft gestalten möchte.
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Für Weltoffenheit und europäisch-asiatische Zusammenarbeit: Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD
Alles begann 2008. Damals wurde in Berlin bei einer Konferenz der Bildungsminister von 53 Ländern aus der EU und aus Asien der ASEM-Bildungsprozess gestartet: Im Rahmen einer politischen und projektorientierten Zusammenarbeit kooperieren die Mitgliedstaaten seitdem bei Themen der höheren Bildung. Dabei geht es insbesondere um vier Säulen: Qualitätssicherung und Anerkennung, die Stärkung der Verbindung von Wirtschaft und Hochschulen, ausgeglichene Mobilität und das Themenfeld Lebenslanges Lernen und Berufliche Bildung.
Kulturelle Unterschiede
Auf der Konferenz der ASEM-Bildungsminister am 21. und 22. November in Seoul wollen alle Staaten erstmals eine gemeinsame Deklaration abgeben, über deren Details schon im Vorfeld verhandelt wird. Die Hamburger Zusammenkunft soll dazu wichtige Impulse liefern – und so dabei helfen, zwei Welten einander näher zu bringen. Auf deren Unterschiede weist Dr. Christoph Merkelbach, Leiter des Zentrums für Interkulturelle Kommunikation (ZIKK) am Sprachenzentrum der TU Darmstadt, hin.
„In Deutschland heißt es gerne mal: Asiatische Studenten seien zu ruhig, sie würden sich bei Gruppenarbeiten nicht richtig einbringen. Und in Asien sagen manche über deutsche Studenten: Sie stellen immer Fragen und machen damit den Unterricht kaputt“, so Merkelbach. Das sei aber kein Problem, es gebe kein Richtig und kein Falsch: Es sei lediglich ein Aufeinandertreffen von zwei kulturell jeweils angemessenen Verhaltensweisen. „Wer das weiß und berücksichtigt, der umschifft Missverständnisse.“ So sei Asien eher geprägt von einer „high-context culture“, bei der vieles nicht direkt ausgesprochen werde, weil dies als unhöflich gelte, während in Europa eine sogenannte „low-context culture“ vorherrsche, bei der auf direkte Weise kommuniziert werde.
Eine gemeinsame Sprache
Sind die Unterschiede tatsächlich derart eklatant? Diese Ansicht teilen nicht alle Zuhörer. „Ich kenne chinesische Professoren, die bei Vorträgen direkter und kritischer nachfragen, als ich es jemals in Deutschland erlebt habe. Ich habe den Eindruck, gerade in der universitären Welt hat man eine gemeinsame Sprache; die kulturellen Unterschiede sind hier nicht mehr so stark ausgeprägt“, sagt Dr. Wang Yi, die an der Universität Hamburg das Partnerschaftsmanagement für Asien und Ozeanien leitet.
Demgegenüber sieht Enda Wulandari vom Büro für Planung und Internationale Kooperation im indonesischen Ministerium für Bildung und Kultur, welches derzeit auch noch das ASEM-Bildungssekretariat beheimatet, durchaus kulturelle Unterschiede, die im täglichen Umgang für Irritationen, Missverständnisse – und auch für ein Schmunzeln sorgen können: „In Europa wird alles von langer Hand vorbereitet, man bekommt Monate vor einer Tagung eine Einladung und muss rasch bestätigen. In Asien wird das Programm oft erst ein paar Tage vorher zusammengestellt, einmal wurde mein Auftritt als Rednerin sechs Stunden vor Veranstaltungsbeginn bestätigt. Das kann nerven, aber dafür ist man auch flexibler.“
Förderung der Berufsnähe
In einem sind sich in Hamburg alle einig: Europa und Asien sollten mehr zusammenwachsen – und ASEM kann einen Beitrag dazu leisten. In Workshops werden spezielle Fragestellungen zu den vier Säulen von ASEM bearbeitet. Im Vordergrund stehen dabei die Stärkung des kompetenzbasierten Lernens und die Förderung der Berufsnähe in der Hochschulbildung. Auch kommt zum Vorschein, was bereits alles erreicht wurde.
Doch die Herausforderungen beschränken sich nicht auf Mobilitätsfragen oder die Annäherung bei Qualitätsstandards. „Wir müssen auch Grundsätzlicheres berücksichtigen“, sagt zum Beispiel Cristina Macé vom rumänischen Bildungsministerium mit Blick auf technische Innovationen, etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Um sich auf solch fundamentale Veränderungen einzustellen, bedarf es nach Meinung von Magalie Soenen vom Flämischen Bildungsministerium in Belgien einer viel engeren Zusammenarbeit als bisher: „Ich glaube, wir müssen anfangen, konkrete Ziele zu setzen und Roadmaps ins Leben zu rufen, an denen wir uns entlanghangeln können. Ich setze da Hoffnung in die geplante Deklaration in Seoul.“
Diese ist nicht garantiert; eine Einigung wird nicht leicht – alle ASEM-Teilnehmerstaaten müssen allen Punkten zustimmen, damit die Deklaration zustande kommt. ASEM ist keine fest verortete Einrichtung, sondern in erster Linie ein regelmäßiges Treffen bestehender Institutionen, von Ministerien und auch immer mehr Hochschulen. „Das kann man als Nachteil sehen. Es kann aber auch ein großer Vorteil sein, weil ASEM so enorm flexibel bleibt. Es geht automatisch weniger um Posten und Positionen, sondern um Ideen und Inhalte“, sagt Nam Yoonchul vom südkoreanischen Bildungsministerium. Zwei thematische Schwerpunkte will man in Seoul und in den Jahren danach besonders in den Mittelpunkt stellen: die Vernetzung von Menschen aus Europa und Asien („people-to-people connectivity“) und den Arbeitsmarkt für junge Hochqualifizierte.
Ein wichtiger Schritt
Wie das mit der Vernetzung funktioniert, haben die Teilnehmer des Hamburger Treffens einmal mehr gezeigt. Beim Aufstellen für das Gruppenbild am Mittag − alle plauderten und debattierten ausgelassen − waren einige neue Brücken gebaut, andere waren gefestigt. Vieles von diesem Tag wird man mitnehmen nach Seoul, sei es in Form von Bekanntschaften oder in Form von Thesen und Ideen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Zukunft von ASEM ist gegangen.
Christian Heinrich (11. Oktober 2017)