Europas Herausforderungen gemeinsam begegnen
DAAD/Andreas Paasch
Diskutierten über Europa (v. l.): Rosa Velázquez Álvarez, Hanns Sylvester, Eszter Pászti-Márkus, Agnieszka Łada und Nicholas Martin
Gegen Isolation und gesellschaftliche Spaltung: Mit der Veranstaltung „Botschaften der EU-Länder im Dialog mit dem DAAD“ hat der Deutsche Akademische Austauschdienst seine Reihe zum politisch-akademischen Dialog fortgesetzt.
Die internationale Hochschulzusammenarbeit ist ein bedeutendes Gegengewicht zu den Tendenzen der Abschottung, die es aktuell in einigen EU-Ländern gibt. Zu diesem Schluss kamen die Teilnehmer der Berliner Veranstaltung „Botschaften der EU-Länder im Dialog mit dem DAAD“ am 11. Oktober 2017. Das Dialogformat setzte eine Veranstaltungsreihe fort, die den Wert des internationalen Austauschs ausdrücklich betont.
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Offener Austausch: Zum Dialogformat des DAAD kamen Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
„Wissenschaft nur auf nationaler Ebene zu betreiben – das ist nicht möglich“, sagt Daniel Zimmermann, Leiter des Hauptstadtbüros des DAAD. „Die Themen und Probleme, die Forscherinnen und Forscher behandeln, sind grenzüberschreitend.“ Um den Austausch mit Diplomaten, Hochschulvertretern und Bildungsmanagern einer Weltregion zu fördern, hat der DAAD 2015 das Format „Botschaften im Dialog mit dem DAAD“ ins Leben gerufen. Nach zwei Veranstaltungen zu den Regionen Subsahara-Afrika und Lateinamerika folgte nun die Europäische Union. „Wir möchten unsere Partnerinnen und Partner auf die regionalen Kompetenzen des DAAD aufmerksam machen“, hebt Daniel Zimmermann hervor. Außerdem könnten die Vertreter der einzelnen Staaten von Erfahrungen aus ihren Nachbarländern profitieren, etwa wenn es darum gehe, mit dem DAAD ein Stipendienprogramm aufzulegen. Über aktuelle Trends und Perspektiven der Förderinstrumente der EU und des DAAD für den akademischen Austausch wurde in Berlin ebenso informiert wie über einzelne Programmlinien.
Gegen nationalistische Ressentiments
Andreas Vasilache, Professor für Sozialwissenschaftliche Europaforschung an der Universität Bielefeld, gab in seinem Impulsvortrag einen Überblick über die aktuelle Lage der EU. Dabei benannte er zentrale Problemfelder: Die EU leide unter einer ökonomischen Krise, unter dem Brexit und dem transnationalen Terrorismus. Ferner wirkten sich die anhaltenden Schwierigkeiten mit Russland und der Türkei sowie offene Fragen in der Flüchtlingspolitik aus. „Den hohen Kosten für die Bewältigung dieser Krisen stehen noch höhere Kosten bei ihrer Nicht-Bewältigung gegenüber“, betonte Vasilache, der auch Direktor des Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der Staatlichen Universität St. Petersburg ist. Die „Uneinigkeit Europas“ drücke sich nicht nur in Differenzen zwischen EU-Mitgliedern aus, sondern auch durch Entwicklungen innerhalb der Staaten. „Gesellschaftliche Spaltungsdynamiken“ seien daran erkennbar, dass „ganze soziale Milieus in die Systemopposition abwandern“. Dort würden sie nationalistische Ressentiments pflegen.
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Andreas Vasilache: Europas Probleme müssen angegangen werden
Was kann die europäische Wissenschaftsgemeinschaft diesen Trends entgegensetzen? In einer Podiumsdiskussion suchten Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Länder nach Antworten. Mit dem Publikum in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften waren sie sich einig darin, dass die Kooperation von Hochschulen wichtiger sei als je zuvor – und dass die Öffentlichkeit stärker daran teilhaben müsse, was Wissenschaftler für die Gesellschaft leisten.
Europabegeisterung fördern
Den Wert des akademischen Austauschs unterstrich Dr. Marjorie Berthomier, Stellvertretende Generalsekretärin der Deutsch-Französischen Hochschule. Nach einem Auslandsaufenthalt seien die Studierenden „absolute Europäer“, sagte sie und forderte, dass sie neben Englisch eine weitere Fremdsprache lernen – auch wenn sie ein technisches Fach belegt haben. Für den Spracherwerb müssten genügend finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Berthomier setzte sich für Mentoringprogramme ein, die internationalen Studierenden, auch Geflüchteteten, die Ankunft in der akademischen Welt des Gastlandes erleichtern.
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Marjorie Berthomier (M.): Sprachen als Schlüssel
„Austausch fördern, Austausch fördern, Austausch fördern“, schloss sich Dr. Agnieszka Łada an. Sie ist Direktorin des Europa-Programms des Warschauer Institute of Public Affairs (Instytut Spraw Pubilcznych, ISP). Sie berichtete allerdings auch, dass viele polnische Studierende sich nicht für einen Aufenthalt im Ausland interessierten. „Dafür müssten sie ihren Nebenjob aufgeben“, nannte sie als einen wichtigen Grund. Außerdem reichten die Fremdsprachenkenntnisse zum Teil nicht aus, und vielen Studierenden sei nicht klar, was ihnen ein Semester in einem anderen Land bringen könne. Offenbar muss der europäische Dialog zum akademischen Austausch noch mehr Strahlkraft entwickeln.
Forderungen an die Politik
Wie ungarische Hochschulen in die Gesellschaft hineinwirken, schilderte Dr. Eszter Pászti-Márkus, Attachée für Wissenschaft und Technologie der Botschaft der Republik Ungarn. Forschungseinrichtungen, Museen und Archive würden sich in „Langen Nächten der Wissenschaft“ dem Publikum öffnen. In mehreren Städten hätten Forscher zusammen mit Partnern aus der Industrie Lehrstühle eröffnet. Die Diplomatin forderte, dass die Politik die Bemühungen der Wissenschaft stärker würdigt.
Von einem Gegenakzent zur aktuellen Politik der britischen Regierung berichtete auf dem Podium Professor Nicholas Martin, Direktor des Instituts für Deutschlandstudien an der University of Birmingham. Die Universität habe sich in den vergangenen Monaten zu einem Refugium für Bürgerinnen und Bürger entwickelt, die den Brexit ablehnen. Die Wissenschaftler würden sich mit zahlreichen, auch öffentlichen Veranstaltungen dafür einsetzen, dass „deutsche und europäische Kulturgeschichte erlebbar wird“. Das reiche von einer Diskussion zur Bundestagswahl über Deutschkurse bis zur Beteiligung an einem deutschen Weihnachtsmarkt in Birmingham – all dies stoße innerhalb und außerhalb der Universität auf großes Interesse.
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Rosa Velázquez Álvarez (M.): „Ich bin trotz der enormen Unsicherheit optimistisch“
Hoffnung für Europa vermittelte auch Dr. Rosa Velázquez Álvarez, Leiterin der Abteilung für Wissenschaft und Kultur der Botschaft des Königreichs Spanien, das zurzeit mit den Diskussionen um die Unabhängigkeit Kataloniens eine schwere Bewährungsprobe erlebt. „Ich bin trotz der enormen Unsicherheit optimistisch“, betonte Velázquez mit Blick auf den Zusammenhalt in Europa. Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren, so führte sie aus, habe es in Europa Rechts- und Linkspopulismus gegeben. Die Gesellschaft habe dies überwunden. Die Diplomatin verwies auch auf die Erfolge europäischer Bildungskooperation: „Als ich mit Erasmus ins Ausland ging, war ich eine Ausnahme. Heute ist das für spanische Studenten selbstverständlich.“
„Stille Diplomatie“
Wie bereichernd ein Auslandsaufenthalt sein kann, darüber berichten Alumni auch auf den Websites des DAAD und anderer europäischer Institutionen. Dr. Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, hofft, dass diese Aussagen als Gegengewicht zu nationalistischen Ressentiments wirken. Darüber hinaus setzt er auf die vielen Kommunikationskanäle der internationalen Hochschulkooperation: Diese langjährigen und stabilen Partnerschaften würden eine „stille Diplomatie“ ermöglichen. Sylvester betont: „Die stille Diplomatie funktioniert auch dann, wenn die politische Situation schwierig ist.“
Josefine Janert (18. Oktober 2017)