Musik und Internationalisierung: Neue Wege in der Wissenschaft
Markus Lieder
Viele Blicke auf ein Werk: Konzert während der Dresdner Tagung zur Internationalisierung der Musikhochschulen
Musiker bewegen sich seit jeher mit großer Selbstverständlichkeit auf dem internationalen Parkett. Musikhochschulen müssten daher eigentlich Vorreiter der Internationalisierung sein – dennoch haben sie im akademischen Austausch Nachholbedarf. Eine neue Perspektive bietet das innovative Forschungsfeld der Artistic Research. Der Verband der europäischen Musikhochschulen AEC sowie die Musikhochschulen Dresden und Köln widmeten dem hochaktuellen Thema kürzlich eine Tagung in Dresden. DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland hielt den Eröffnungsvortrag. Im Interview spricht sie über die Brücken zwischen Wissenschaft und Kunst.
Frau Dr. Rüland, die deutschen Musikhochschulen ziehen Studierende und Lehrende aus aller Welt an. Warum muss überhaupt über ihre Internationalisierung diskutiert werden?
Dorothea Rüland: Es stimmt zwar, dass die deutschen Musikhochschulen international einen hervorragenden Ruf haben. Ein Ausländeranteil von rund 50 Prozent ist bei ihnen nicht ungewöhnlich. Aber Internationalisierung bedeutet mehr; sie kann alle Bereiche einer Hochschule betreffen. Wir wissen aus den uns vorliegenden Daten und Erhebungen, dass die Musikhochschulen in manchen Bereichen der Internationalisierung durchaus Nachholbedarf haben. Die deutschen Studierenden gehen zum Beispiel vergleichsweise selten für ein oder mehrere Semester ins Ausland.
DAAD/Sebastian Schobbert
Profitieren vom internationalen Austausch: DAAD-Stipendiaten bei einem Konzert in Berlin
Was lässt sich noch verbessern?
Das größte Problem ist vielleicht, dass die deutschen Musikhochschulen relativ wenige Kooperationen mit internationalen Partnerhochschulen betreiben – und dass es dementsprechend nur sehr wenige strukturierte Austauschprogramme gibt. Hinzu kommt, dass sich die administrative Struktur der Musikhochschulen nicht mit der an Universitäten und Fachhochschulen vergleichen lässt. An Musikhochschulen sind Akademische Auslandsämter und International Offices noch nicht im selben Maße etabliert. Es braucht aber Verantwortliche an den Hochschulen, die sich für Hochschulpartnerschaften einsetzen und die Internationalisierung vorantreiben.
DAAD/Thilo Vogel
Dorothea Rüland: "Warum sollten wir den internationalen Trend der Artistic Research nicht nutzen?"
Nun hat der DAAD erst vor Kurzem an der Dresdner Hochschule für Musik ein Symposium zur Internationalisierung gefördert. Dabei wurde das neue Feld der Artistic Research in den Mittelpunkt gestellt. Was verbirgt sich hinter diesem Ansatz?
Wie der Name schon erahnen lässt, verbindet die Artistic Research künstlerisches Schaffen mit akademischer Reflexion: Hier werden Brücken zwischen Kunst und Wissenschaft geschlagen. Künstler suchen schon im schöpferischen Prozess den Dialog mit Wissenschaftlern. Man bereichert sich gegenseitig. Besonders attraktiv ist dies für Persönlichkeiten mit Doppelbegabung, die das eigene künstlerische Tun mit wissenschaftlicher Distanz beobachten und analysieren. Während des Dresdner Symposiums reichten die Beispiele vom erkenntnistheoretischen Austausch bis zu ganz konkreten Anknüpfungspunkten: So sprach etwa der Brite Richard Gwilt, Professor an der Musikhochschule Köln, in seinem Vortrag über die tiefgreifende Veränderung der Geige und ihres Bogens in den Jahren 1600 bis 1800 – und spielte Beispiele vor. Von Musikhistorie bis Materialwissenschaft: All das kann in den Austausch der Artistic Research einfließen.
Markus Lieder
Spannungsbogen: Richard Gwilt im Austausch mit der Bratschistin Pauline Sachse
Ist Artistic Research ein international verbreiteter Trend?
Ja, auch wenn sie in Deutschland noch nicht besonders bekannt ist. In Großbritannien und den skandinavischen Ländern, aber auch in den Niederlanden, der Schweiz und in Österreich beschäftigt man sich bereits intensiv mit Artistic Research. Absolventen musikalischer Promotionsprogramme haben zusätzliche Karrierechancen im In- und Ausland. In vielen Ländern ist der Doktorgrad sogar Voraussetzung für eine Musikprofessur. Warum sollten wir diesen internationalen Trend nicht nutzen, um von den Musikhochschulen Brücken in den übrigen akademischen Bereich zu schlagen? Dort finden wir schließlich zahlreiche Anknüpfungspunkte und Vorbilder, wie sich Internationalisierung strukturiert gestalten lässt. Die Artistic Research bietet den Musikhochschulen eine neue Anschlussfähigkeit für internationale Kooperationen.
Zugleich bleibt sie aber nur eines von mehreren Themen.
Natürlich müssen wir in der Internationalisierung der Musikhochschulen auch darauf achten, dass der Fremdsprachenerwerb gestärkt wird oder dass Fragen des interkulturellen Austauschs im Mittelpunkt stehen. Die Artistic Research zeigt aber beispielhaft, dass in der musikalischen Ausbildung international sehr viel in Bewegung ist. Auch für die hervorragenden deutschen Musikhochschulen liegt in der Offenheit für den Austausch von Wissenschaft und Kunst eine große Chance.
Interview: Johannes Göbel (5. Dezember 2017)