IAESTE: Praxis, die begeistert
DAAD/Andreas Paasch
Gute Stimmung: Zahlreiche Gäste kamen zur großen Jubiläumsfeier der International Association for the Exchange of Students for Technical Experience (IAESTE)
So lässt sich weltoffen und lebensnah studieren: Die International Association for the Exchange of Students for Technical Experience (IAESTE) hat seit 1948 über 350.000 Studierenden Praktika in mehr als 85 Staaten vermittelt. Den 70. IAESTE-Geburtstag feierten vom 19. bis 25. Januar rund 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Tagung in Berlin. Eindrücke und Stimmen zu einem besonderen Austauschprogramm.
Veronica Aguirre erzählt immer noch gern von ihrem Praktikum in der brasilianischen Stadt Recife, obwohl es zehn Jahre zurückliegt. „Die größte Gefahr für die Bewohner von Elendsvierteln sind Erdrutsche“, sagt die Bau- und Umweltingenieurin: Da die Häuser nicht stabil gebaut sind, können sie zusammenbrechen, vor allem bei Regen. Das Unternehmen, für das Aguirre 2008 zwei Monate lang tätig war, arbeitete mit den Bewohnern der Favelas daran, die Infrastruktur zu verbessern. Häuser wurden befestigt, Straßen angelegt, sanitäre Anlagen gebaut. Aguirre fertigte Skizzen der Gebäude und des Viertels an. „Bis dahin kannte ich Favelas nur von Fotos“, sagt die US-Amerikanerin. „In meinen Kursen an der Universität von Kalifornien in San Diego hatte ich mich in der Theorie damit beschäftigt.“ In Recife lernte sie jeden Tag etwas Neues, davon profitiert sie noch heute in ihrer Arbeit für eine Stiftung in San Francisco.
Veronica Aguirre ist zu Gast bei der Jahrestagung der International Association for the Exchange of Students for Technical Experience (IAESTE), die ihr seinerzeit das Praktikum vermittelt hatte. Etwa 350 Studierende, Forschende, Berufstätige und Bildungsmanager aus aller Welt sind nach Berlin gekommen. Sie feiern einen runden Geburtstag: den 70.
Weltweite Erfolgsgeschichte
Die IAESTE wurde 1948 in London gegründet und hat seitdem 350.000 Studierenden der Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie der Land- und Forstwirtschaften Praktika in mehr als 85 Staaten vermittelt. Kooperationspartner sind Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, welche die Plätze anbieten. Deutschland ist seit 1950 dabei. Die IAESTE unterhält in jedem Land ein Nationalkomitee. In Deutschland ist es in einem Referat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) angesiedelt, das das IAESTE-Programm verwaltet, koordiniert und weiterentwickelt.
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"Dialog am Leben halten": DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel (mit der Medaille der Ehrenpräsidentin der IAESTE-Jahreskonferenz)
Die Nationalkomitees der IAESTE wählen die Studierenden aus, die eines der vergüteten, zumeist acht- bis zwölfwöchigen Praktika antreten können. Es gibt sogar längere IAESTE-Praktika, die bis zu einem Jahr dauern können. Die Bereitschaft von Studierenden aus Deutschland, Praktika im Ausland anzutreten, stagnierte zuletzt, doch das Interesse ausländischer Studierender an einem IAESTE-Aufenthalt in Deutschland ist deutlich gewachsen.
Gemeinsam für internationale Mobilität
In Deutschland werden die Kosten des IAESTE-Programms vom Auswärtigen Amt getragen. Dessen Vertreterin Heidrun Tempel, die Beauftragte für Außenwissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik sowie Auswärtige Kulturpolitik, nennt auf der Jahrestagung sowohl den DAAD als auch die IAESTE „Champions“. Beide Organisationen würden für internationale Mobilität und einen fachlichen Austausch auf hohem Niveau sorgen sowie einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Wirtschaft leisten. Angesichts des Klimawandels und der politischen Krisen der Gegenwart ist der internationale Erfahrungsaustausch wichtiger denn je. „Wenn in Zeiten der Krise die Kommunikation über die offiziellen Kanäle der Politik scheitert, helfen wir, den Dialog am Leben zu halten“, sagt Professor Margret Wintermantel, Präsidentin des DAAD.
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Respekt und Freundschaft: IAESTE-Präsident Bernard Baeyens
Professor Bernard Baeyens, Präsident der IAESTE, erinnert daran, dass die Gründung der Organisation 1948 eine Antwort auf die Konflikte vorangegangener Jahre war. Schon die ersten zehn Mitgliedsländer hätten sich auf gemeinsame Werte wie Respekt und Freundschaft verständigt. Baeyens liest auch einen Glückwunsch von António Guterres vor, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen. Dieser dankt der IAESTE für den geleisteten „Beitrag zur weltweiten Verständigung“.
Bis nach Nordkorea
Die IAESTE hat in den vergangenen 70 Jahren stets auf ihre politische Unabhängigkeit gepocht. So hat die Organisation Kontakte über viele Grenzen hinweg aufbauen können, selbst nach Nordkorea. Im unter Krieg und Terror leidenden Syrien setzen derweil nach Einschätzung von DAAD-Alumnus Dr. Fadi Younis die Menschen an den Hochschulen ihre Hoffnungen auf die Wiederaufnahme von internationalen Kooperationen – auch über die IAESTE. Younis ist Chemiker und stammt aus Damaskus. 2010 trat er seine IAESTE-Praktikumsstelle an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena an. „Wenn ich eine Frage hatte, bekam ich sofort Hilfe von anderen Studierenden“, erzählt er.
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Starke Gemeinschaft: großes Gruppenbild (Ausschnitt) zum IAESTE-Jubiläum
Dass IAESTE-Teilnehmer von Kommilitonen ehrenamtlich betreut werden, ist eine Besonderheit, die sowohl von Alumni als auch von Vertretern der Wirtschaft geschätzt wird. Die Praktikanten erhalten zudem Einladungen zu Kulturprogrammen und Ausflügen – niemand soll sich alleingelassen fühlen. Allen, die am IAESTE-Austausch teilnehmen, wird vor Ort eine Unterkunft zur Verfügung gestellt.
Sein Jenaer Professor war von Fadi Younis‘ Arbeit so begeistert, dass er ihm anbot, gleich nach dem Bachelor zu promovieren. Dafür erhielt er ein DAAD-Stipendium. Auf dem Arbeitsmarkt hat er dank seiner Meriten gute Chancen. „In jedem Vorstellungsgespräch, das ich hatte, kamen bislang Fragen zur IAESTE. Dass ich Berufserfahrungen in einem anderen Land gesammelt habe, hat die Personalverantwortlichen überzeugt.“ Inzwischen ist Fadi Younis bei einem Unternehmen in Jena tätig und engagiert sich auch für die Bürgerstiftung der Stadt.
Tunnelbau auf Island
Während sich Studierende heute im Internet über die IAESTE informieren, fand Michael Werwigk 1992 noch einen Zettel am Schwarzen Brett seiner Uni. Bald darauf brach er nach Island auf – und wurde gleich nach seiner Ankunft auf die größte Baustelle des Landes geschickt. Vor den Toren der Hauptstadt entstand ein neun Kilometer langer Tunnel, für den Bauingenieur-Studenten aus Deutschland eine fachliche Herausforderung. In Reykjavík bezog er eine Wohngemeinschaft mit Kanadiern und Ungarn. „Wir waren eine große Familie und ich habe schon eine Träne verdrückt, als wir uns wieder trennen mussten.“
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Wertvolle Erfahrungen: Maitê Thomaz und Michael Werwigk
Im Stuttgarter Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner, wo er heute tätig ist, sorgt er mit dafür, dass jedes Jahr mindestens ein IAESTE-Teilnehmer einen Praktikumsplatz erhält. „Das passt gut zu uns, denn wir sind ein internationales Team“, so Werwigk. Ähnlich argumentiert in Berlin der chinesische Manager Xin Li: „Die Wanhua Chemical Group möchte als leistungsfähiges Unternehmen auf dem globalen Markt bestehen. Die IAESTE ist eine gute Plattform, um unser Team mit internationalen Talenten zu bereichern.“
Für Weltoffenheit – gegen Stereotype
Professor Ulrich Panne, Präsident der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), lobt, dass die IAESTE in seinem Haus „zur Internationalisierung nach innen“ beitrage. Seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern würde es Freude bereiten, sich um Studierende aus dem Ausland zu kümmern. „Als Einrichtung, die mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, sehen wir es als Teil unserer Aufgabe an, Wissen in die Welt zu bringen.“ Maitê Thomaz hat im Januar ihr Praktikum beim BAM angetreten. Sie studiert Bau- und Umweltingenieurwesen in Brasilien. „Bei uns gibt es das Stereotyp, dass Deutsche unterkühlt seien“, sagt sie. „Nach meinem Eindruck sind sie zwar erst einmal etwas distanziert, wenn man sie trifft. Aber jeder, den ich bislang getroffen habe, war freundlich und hilfsbereit.“
Josefine Janert (25. Januar 2018)