Forschung zu Rechtsextremismus: Aus der Geschichte lernen

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Luisa Hulsrøj: "Es ist besser, die Leute nicht einfach abzustempeln"

An der University of Cambridge initiierte die Doktorandin Luisa Hulsrøj mit Unterstützung des DAAD einen Workshop zur Frage, wie deutsche, amerikanische und britische Gesellschaften mit rechtsradikalen Tendenzen umgehen sollten. Der Blick über die Grenze prägt den Lebenslauf der Historikerin: Die 24-Jährige hat dänische Wurzeln, wurde in Deutschland geboren, wuchs in Wien auf und studierte in Stanford.

Frau Hulsrøj, wie kamen Sie auf die Idee, einen Workshop zum Umgang mit der extremen Rechten zu organisieren?

Luisa Hulsrøj: Im Sommer 2017 las ich für meine Studien gerade eine Sammlung autobiografischer Texte von Nationalsozialisten, als es zu den Ausschreitungen im amerikanischen Charlottesville kam: Im Anschluss an eine Demonstration von Neonazis starben dort mehrere Menschen. Eine amerikanische Freundin fragte mich, was ich von den militanten Praktiken der Antifa in der Weimarer Republik hielte. Ich sagte ihr, dass ich in 600 autobiografischen Texten keinen einzigen Hinweis darauf gefunden hätte, dass sich jemand vom Nationalsozialismus abwandte, nachdem er zusammengeschlagen oder bedroht worden war. Im Gegenteil: Die Extremisten fühlten sich dann in ihrer Opferrolle bestätigt. Wir dachten über alternative Strategien nach – so entstand die Idee zu einem Workshop.

Wen konnten Sie als Referenten gewinnen?

Unter den Rednern waren der amerikanische Politikwissenschaftler Ira Katznelson und der britische Anti-Terror-Fachmann Craig McCann, die Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates von der Universität Leipzig und die Soziologin Anna-Lena Herkenhoff. Sie berät im Regierungsbezirk Münster Menschen, die mit Rechtsextremismus konfrontiert sind. Es hat sich gezeigt, dass die Gründe, die vor 80 Jahren den Aufstieg des Nationalsozialismus befördert haben, auch heute wieder eine Rolle spielen – dass sich zum Beispiel Menschen benachteiligt fühlen, die es tatsächlich gar nicht sind. Nationalsozialistisch wählten früher weniger die Arbeitslosen, sondern diejenigen, die Angst davor hatten, ihre Jobs zu verlieren. Das ist heute mit den Rechtspopulisten ganz ähnlich.

Können Amerikaner, Briten und Deutsche bei der Bekämpfung des Extremismus voneinander lernen?

Die Bedingungen sind sehr unterschiedlich. So hat Deutschland ein kompliziertes Verhältnis zum Begriff der Nation, was es der AfD leicht macht, ihn zu besetzen. In Großbritannien und den USA hingegen ist Patriotismus gesellschaftlich breit verankert. Alle Redner waren sich aber einig, dass es besser ist, Leute, die sich zum Rechtsextremismus hingezogen fühlen, nicht einfach abzustempeln und auszuschließen. Man sollte die Gründe für ihre Einstellung ernst nehmen. Politisch, indem man Armut und Benachteiligung reduziert. Auf persönlicher Ebene, indem man versucht, mit ihnen zu reden, ohne ihre Ideologie zu akzeptieren. Das ist eine schwierige Gratwanderung – in allen Ländern.

Das Thema Nationalsozialismus beschäftigt Sie schon lange. Ihre Bachelorarbeit schrieben Sie über Volksdeutsche in Dänemark.

Anders als im Sudetenland wurde die dänische Grenzregion vom Deutschen Reich nie formal annektiert. Sie blieb Teil eines selbstständigen dänischen Staates. Doch selbst als offensichtlich war, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, blieben die Volksdeutschen in Dänemark glühende Anhänger des Nationalsozialismus. Noch im März 1945 meldeten sich Freiwillige zur Waffen-SS.

Greifen Sie das Thema auch in Ihrer Doktorarbeit auf?

Ja, ich beschäftige mich mit dem Nationalsozialismus zwischen 1930 und 1933 in Grenzregionen, unter anderem auf der deutschen Seite der dänischen Grenze. Meine These ist, dass die Angst um den Bestand der Grenze und das Erstarken des Nationalsozialismus Hand in Hand gingen. Viele Deutsche – zum Beispiel auch in Ostpreußen – fürchteten, einem Nachbarstaat angegliedert zu werden, nachdem Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Gebiete hatte abtreten müssen.

Der DAAD-University of Cambridge Research Hub for German Studies hat Ihren Workshop gefördert. Eine gute Erfahrung?

Die Unterstützung war sehr wertvoll, auch mit Blick auf die Konzeption des Workshops. Ich hatte einen Vortrag von Chris Young, einem von zwei Direktoren des Research Hubs, gehört. Er ermutigte Doktoranden, mit Ideen für Veranstaltungen auf ihn zuzukommen. Der andere Direktor des Hubs ist mein Doktorvater Christopher Clark, der durch das Buch „Die Schlafwandler“ über den Ersten Weltkrieg auch weit über die Fachgrenzen hinaus bekannt wurde. Er ist DAAD-Alumnus und hat mich bestärkt, die Hilfe des Hubs in Anspruch zu nehmen. Ohne sie wäre die Veranstaltung nicht zustande gekommen. Die Fakultät hätte sie nicht fördern können, weil sie nicht unmittelbar mit meiner Forschung zu tun hatte, aber der DAAD war ganz offen dafür.

Interview: Christine Mattauch (15. März 2018)