Berliner Künstlerprogramm des DAAD: „Wir brauchen neue Konzepte“
Stephanie Pilick
Silvia Fehrmann hat im Januar 2018 die Leitung des Berliner Künstlerprogramms des DAAD übernommen
Seit Jahresbeginn leitet die Deutsch-Argentinierin Silvia Fehrmann das Berliner Künstlerprogramm des DAAD, das in seiner Geschichte viele Weltstars und renommierte Preisträger der Kunst zu Gast hatte – und immer wieder neue Perspektiven eröffnete. Ein Interview über den Austausch von Kunst und Wissenschaft, Berlin als Bastion der Freiheit und den Wert des Blicks über Grenzen.
Frau Fehrmann, über „Aquaria“, die aktuelle Gruppenausstellung des Berliner Künstlerprogramms in der daadgalerie, schrieb die taz, sie sei ein „kontrolliertes Biotop voller Gedankenanstöße und Wahrnehmungserfahrungen“. Gleicht vielleicht das ganze Berliner Künstlerprogramm einem Biotop?
Silvia Fehrmann: Durchaus, ein Biotop ist ja eine Gemeinschaft auf begrenztem Raum. Im Unterschied zu einem Aquarium passiert bei uns aber viel Unerwartetes. Was das Berliner Künstlerprogramm im Laufe seiner Geschichte stark gemacht hat, ist, dass es vom Kunstwerk her denkt, von der künstlerischen Praxis und den aktuellen Fragestellungen seiner Gäste. Zur Praxis herausragender Künstler gehören immer Selbstreflexion und Selbstkritik, Kunstinstitutionen sollten das ebenso tun. Für das erste spartenübergreifende Projekt im Jahr 2018 war es uns wichtig, von solchen Fragestellungen in Bildender Kunst, Literatur, Musik und Film auszugehen. Das Berliner Künstlerprogramm lädt Künstler dazu ein, sich auf einen Ausnahmezustand einzulassen: auf ein Jahr der Unterbrechung, ein Jahr in einem neuen Land, ein Jahr unter ganz neuen Beziehungen und Verhältnissen, eine Gemeinschaft auf Zeit.
Wie zeigt sich das mit Blick auf die Ausstellung „Aquaria“?
Es war uns wichtig, kein Thema vorzugeben, sondern ein Thema gemeinsam mit den Künstlern zu erforschen. Ausgangspunkt war der Gedichtband „An Aquarium“ von Jeffrey Yang, der 2017 unser Gast war. Seine Gedichte sind wunderbar bildhaft, so ließen sich viele Anknüpfungspunkte zu Arbeiten anderer Gäste finden. Ein Beispiel: In Jeffrey Yangs Gedichtband geht es immer wieder um die Interaktion zwischen terrestrischen Lebewesen wie auch wir es sind und aquatischen Lebewesen.
Timo Ohler
In der daadgalerie: Blick auf Shimabukus Performance-Video "Then, I decided to give a tour of Tokyo to the octopus from Akashi"
Wie lässt sich das von einem anderen Künstler aufgreifen?
Wir zeigen in der Ausstellung zum Beispiel das Video einer großartigen Performance von Shimabuku; er war 2004 Gast des Berliner Künstlerprogramms. Shimabuku hat mit einem lebenden Oktopus Tokio bereist – und auch den Fischmarkt besucht. Die Passanten und Bahnfahrer sehen in dem Oktopus vielleicht vor allem die Vorstufe eines Snacks, Shimabuku aber lässt ihn, nach dieser Reiseerfahrung, schließlich wieder im Meer frei. Betrachter der Performance können in dem Oktopus ein entwurzeltes Wesen sehen. Solche Interaktionen zwischen Lebewesen haben die Künstler in „Aquaria“ ergründet. Nicht, weil wir es beauftragt haben, sondern weil diese Fragen sie ohnehin beschäftigen. Wir versuchen, die Arbeiten der Künstler so in Beziehung zu setzen, dass etwas herausgelesen werden kann.
Vor Ihrem Wechsel zum Berliner Künstlerprogramm waren Sie stellvertretende Intendantin des Hauses der Kulturen der Welt. Ähnelt die Arbeit beider Institutionen einander mit Blick auf die Interdisziplinarität?
Ich hatte das Glück, bei all meinen bisherigen Stationen in Institutionen zu arbeiten, die spartenübergreifend handeln. Das hat mich bereichert und ich kann meine Erfahrungen nun für das Berliner Künstlerprogramm einbringen. Das Haus der Kulturen der Welt hat auch durch seine Verankerung in Berlin sehr viele Gemeinsamkeiten mit dem Künstlerprogramm. Es ist ein Privileg dieser Stadt, dass es ein Publikum und kulturelle Akteure gibt, die mit großem Vorwissen und mit großer Neugier bereit sind, sich auf Experimente einzulassen.
Krzysztof Zieliński
Silvia Fehrmann in der daadgalerie: "Ein Publikum wie in Berlin gibt es nur in wenigen anderen Städten"
Sie haben zum Antritt Ihrer Amtszeit die Besonderheit Berlins betont. Wie prägt diese Stadt die Arbeit des Künstlerprogramms?
Unsere Gäste, ob sie nun aus dem globalen Süden, den USA oder aus Osteuropa kommen, haben besondere Erwartungen an Berlin. Sie sehen die Stadt nicht nur als Kulturmetropole, sondern als eine Bastion der Meinungsfreiheit; das gilt für die künstlerische Freiheit wie für die Freiheit der Wissenschaft. Die Stadt ist ein hervorragender Resonanzraum für Ideen. Man weiß, dass Berlin nicht nur extrem spannende Künstler, sondern auch Wissenschaftler anzieht, mit seinen vielen Universitäten und Exzellenzclustern. Ein Publikum wie in Berlin gibt es nur in wenigen anderen Städten. Ein Kooperationspartner aus Frankreich sagte mir, wenn man in Paris Veranstaltungen macht, kommen die Studenten nicht in das Stadtzentrum. Sie wohnen mittlerweile so weit außerhalb, dass sie die Kulturorte gar nicht mehr beleben können. Berlin hat noch einen sehr starken öffentlichen Raum. Die Künstler wissen: Hier gibt es ein extrem anspruchsvolles Publikum und eine starke Debattenkultur.
Sie sprechen von der „Bastion der Freiheit“. Wie politisch ist die Arbeit des Berliner Künstlerprogramms?
Maßstab unserer institutionellen Arbeit ist die Kunst – ihre Autonomie ist heute notwendiger denn je. In Deutschland sind Kunst- und Wissenschaftsfreiheit Werte, die das öffentliche Handeln bestimmen. Viele von uns hätten nicht gedacht, dass solche Werte heute in Ländern angegriffen werden, die eigentlich eine rechtsstaatliche Tradition haben. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, einen Freiraum zu schaffen, in dem zum Beispiel nationale Geschichtsschreibung zurückgewiesen wird. Viele unserer Gäste interessieren sich für transnationale Geschichtsschreibung, aber auch für globale Lebensbedingungen oder die Pluralität von Genderfragen. Das kommt alles in der Arbeit unserer Künstler vor, auf höchstem Niveau und mit höchster Qualität. Sie werden nicht wegen ihrer Themen eingeladen, sondern weil sie hervorragende Künstler sind. Dieses Denken aus der Kunst heraus ist heute ein Wert für sich.
Es gibt also aus Ihrer Sicht zahlreiche Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft?
Das Selbstverständnis vieler Künstler hat sich verändert. Sie verstehen ihr Handeln stark als Forschen, als Produktion von Wissen. Viele Künstler haben das Gefühl, dass wir neue Sprachen, Begriffe und Konzepte brauchen, um die gegenwärtigen globalen Umwälzungen zu verstehen. Die Arbeit an den Schnittstellen zwischen den Künsten und der Wissenschaft fördern wir auch konkret über Stipendien. Mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung verbindet uns schon lange eine Partnerschaft, auch haben wir ein Programm für internationale Kuratoren in Kooperation mit der KfW Stiftung. Im Rahmen von „Aquaria“ haben wir zum Beispiel für eine Veranstaltung einen Ozeanografen, einen Soundkünstler und eine Kuratorin und Aktivistin zusammengebracht, um über künstlerische und wissenschaftliche Strategien im Umgang mit dem Klimawandel zu sprechen. So entstehen sehr produktive Situationen, die wir in den kommenden Jahren sicher noch ausbauen werden.
Interview: Johannes Göbel (28. März 2018)