DAAD-Programm Ostpartnerschaften: Gewachsene Verbindungen
DAAD/Katrina Friese
Joybrato Mukherjee, Präsident der Universität Gießen und DAAD-Vizepräsident, lobte das DAAD-Programm Ostpartnerschaften als wichtigen Beitrag zur Internationalisierung der deutschen und ausländischen Hochschulen
Ein traditionsreicher Austausch, dessen Wert sich auch aktuell besonders deutlich zeigt: Das 1973 zwischen Auswärtigem Amt und DAAD vereinbarte und im Folgejahr gestartete Programm der Ostpartnerschaften verbindet deutsche Hochschulen mit osteuropäischen Universitäten, aber auch mit zentralasiatischen Partnern. Eine Tagung an der Universität Gießen zeigte erst kürzlich die Vielfalt der Kooperationsmöglichkeiten – und dass der Austausch auch künftig wachsen soll.
Rund 800 Kilometer liegen zwischen dem hessischen Gießen und Łódź, der drittgrößten Stadt Polens. Doch die Bande, die Wissenschaftler der beiden Hochschulen seit 40 Jahren miteinander geknüpft haben, sind eng: Wirtschaftswissenschaftler, Biologen, Soziologen, Geschichts- und Kulturwissenschaftler, das Gießener Zentrum Östliches Europa, aber auch die Universitätsbibliotheken und Teile der zentralen Verwaltung arbeiten grenzüberschreitend. Sie forschen gemeinsam, etwa zu Literatur im Nationalsozialismus und zur Geschichte der Stadt Łódź, und arbeiten über Sommerschulen, Studierendenkonferenzen oder Strategietreffen im DAAD-Netzwerk „Kulturelle Kontakt- und Konfliktzonen im östlichen Europa“ zusammen. „Die Partnerschaft zu Łódź ist bei uns ein Tanker der internationalen Hochschulzusammenarbeit. Sie wird von sehr vielen Fachbereichen und der Hochschulleitung schon seit mehreren Jahrzehnten getragen“, sagt Julia Volz, Leiterin des Akademischen Auslandsamts der Universität Gießen.
Die Zusammenarbeit mit der Industriestadt Łódź ist eine von sechs Gießener Hochschulkooperationen, die der DAAD über das Programm Ostpartnerschaften fördert. Seinen Ursprung hat das Programm im Jahr 1973, als die deutschen Hochschulen ihre Beziehungen zur Sowjetunion und zu den Ostblockstaaten ausbauen wollten. Das Auswärtige Amt erklärte sich bereit, ein neuartiges Hochschulkooperationsprogramm zu finanzieren, das der DAAD durchführen sollte. Eine der Stärken des Programms, das sich mittlerweile auf 29 Staaten Osteuropas, des Kaukasus und Zentralasiens ausdehnt, ist die Flexibilität, mit der die Hochschulen die Zusammenarbeit mit Leben füllen können. Die Förderung ist fächerübergreifend und reicht von den Agrarwissenschaften über den Bergbau bis hin zu Physik oder Medizin.
Interessierte Zuhörer bei der Tagung an der Universität Gießen
„Mit dem Programm ,Ostpartnerschaften‘ fördert der DAAD die deutschen Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen zu einem Zeitpunkt, da die Rahmenbedingungen hierfür nicht einfach sind. Die gegenseitige Annäherung durch den wissenschaftlichen Austausch ist heute ebenso nötig wie zu Beginn des Programms vor mehr als vierzig Jahren“, betonte DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel kürzlich anlässlich einer Projektleitertagung zu den Ostpartnerschaften an der Universität Gießen. Über die Jahrzehnte seien intensive und vielseitige Partnerschaften entstanden, an denen viele Personengruppen teilnehmen können.
Attraktiver Austausch
Die Hochschulen können das Programm nutzen, indem sie etwa Studierende, Graduierte oder Wissenschaftler austauschen. Sie forschen zusammen, entwickeln gemeinsam Lehrprogramme – und werden so auch besonders attraktiv für qualifizierte Nachwuchswissenschaftler. Dementsprechend groß ist das Interesse am Programm Ostpartnerschaften: „Gegenwärtig kooperieren rund 90 deutsche Hochschulen mit etwa 290 Partnern in Osteuropa“, berichtet Dr. Peter Hiller, der beim DAAD für das Programm zuständig ist. Im Schnitt nehmen rund 4.500 Personen jährlich an Austauschprogrammen teil. Allein seit 1992 hätten mehr als 100.000 Studierende, Graduierte und Wissenschaftler die jeweilige Partneruniversität besucht.
Eine weitere über das DAAD-Programm geförderte Partnerschaft verbindet die Universität Gießen schon seit 1989 mit der Kasaner Föderalen Universität (KFU) in Tatarstan, einer Teilrepublik im Südwesten Russlands. „Die Kooperation mit Kasan ist ähnlich intensiv wie mit Łódź, fast alle Fachbereiche nehmen daran teil“, erzählt Julia Volz. Im akademischen Jahr 2016/2017 nutzten beispielsweise mehr als 54 Personen aus Gießen und 41 Personen aus Kasan die Gelegenheit für Aufenthalte beim jeweiligen Partner.
Das Baltikum im Blick
Die Beziehungen zum Baltikum stärkt derweil eine Ostpartnerschaft der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg – und das schon seit Mitte der 1990er-Jahre, als noch wenige deutsche Hochschulen die unabhängigen baltischen Staaten in den Blick nahmen. Die PH kooperiert mit der Lithuanian University of Educational Sciences (LEU), einer bildungswissenschaftlichen Universität in der litauischen Hauptstadt Vilnius.
„Das war damals noch recht weit weg – dafür war es umso wichtiger, sich dort auch vor dem Hintergrund der Völkerverständigung und der Friedenssicherung einzubringen“, sagt Henrike Schön, die das Akademische Auslandsamt der PH Heidelberg leitet. Es habe sich eine sehr intensive akademische Freundschaft mit regelmäßigen Besuchen entwickelt, die Modellcharakter hat. So absolvieren Studierende beispielsweise ein mehrwöchiges Deutsch-als-Fremdsprache-Praktikum in Vilnius, Heidelberger Professoren beteiligen sich an der Doktorandenausbildung in der litauischen Hauptstadt und Nachwuchswissenschaftler aus Heidelberg freuen sich über Einladungen an die LEU, um dort auf Konferenzen ihre Forschungsergebnisse präsentieren zu können.
Stärkung der strategischen Partnerschaften
Doch kein Programm ist so gut, dass es nicht noch weiter verbessert werden kann. „Das DAAD-Ostpartnerschaftsprogramm leistet einen wichtigen Beitrag zur Internationalisierung der deutschen und ausländischen Hochschulen“, hob Professor Joybrato Mukherjee, Präsident der Universität Gießen und DAAD-Vizepräsident, auf der Tagung zu den Ostpartnerschaften hervor. Nun komme es darauf an, der Bedeutung der Internationalisierung noch besser gerecht zu werden und internationale Forschungskooperationen mit strategischen Partnern voranzutreiben. Dafür, das wurde in Gießen deutlich, müsse auch das Programm angepasst werden.
Ein Beispiel: Bislang gilt, dass die Hochschule, die Personal oder Studierende an die Partnereinrichtung entsendet, deren Reisekosten übernimmt – und die aufnehmende Seite deren Aufenthaltskosten. „Viele ausländische Hochschulen sind aber nicht in der Lage, diese Aufenthaltskosten komplett zu decken“, kommentiert DAAD-Experte Peter Hiller Rückmeldungen aus den Hochschulen. Eine Bitte sei deswegen, diese Finanzierungsmodalität zu flexibilisieren. Deutschen Hochschulen sollte es künftig möglich sein, Studierende oder Wissenschaftler zu entsenden und deren Aufenthalt zu bezahlen. Darüber, sagt Hiller, werde sich der DAAD mit dem Auswärtigen Amt abstimmen.
Von derlei finanziellen Sorgen ist die Partnerschaft zwischen Gießen und Łódź weitgehend unbelastet. 2018 wird das 40-jährige Bestehen der deutsch-polnischen Kooperation gefeiert. So soll es im Mai in Łódź ein interdisziplinäres Kolloquium unter dem Titel „Wissenschaftskooperation der Universitäten Łódź – Gießen: Projekte und Perspektiven“ geben. Und selbst in einer so vielfältigen und langjährigen Partnerschaft gibt es noch neue Wege: Erstmals besuchen sich dieses Jahr auch die Mathematiker beider Universitäten gegenseitig.
Benjamin Haerdle (29. März 2018)