Hochschulprogramme für Geflüchtete: „Viel geschafft und doch erst am Anfang?“
DAAD/Stefan Zeitz
Es geht nur gemeinsam: Austausch auf der großen DAAD-Konferenz zu den Programmen für geflüchtete Studierende
Die Integration von geflüchteten Studierenden an deutschen Hochschulen ist eine vielschichtige Herausforderung. Der DAAD begegnet ihr unter anderem mit den „Hochschulprogrammen für Flüchtlinge“, die aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden. Auf der Konferenz „Viel geschafft und doch erst am Anfang? Erfolge und Herausforderungen bei der Integration von Geflüchteten ins Studium“ tauschten sich über 400 Teilnehmer über bisherige Entwicklungen und mögliche neue Maßnahmen aus. DAAD Aktuell hat mit drei Hochschulmitarbeiterinnen über ihre Einschätzungen gesprochen.
Luise Haack, Projektleiterin des Refugee Programme an der Universität Passau – auf der DAAD-Konferenz Referentin im Workshop „Kommunikation außerhalb der Hochschule – Modelle für die Kommunikation und den Austausch mit externen Akteuren“.
Notwendig: Gespräche und Austausch mit neuen Partnern
„Die Stadt Passau stand 2015 vor einer besonderen Situation: Tausende von Geflüchteten kamen täglich aus Österreich zu Fuß, mit Bahn oder Bussen über die Grenze. Studierendenorganisationen und Beschäftigte der Universität Passau halfen, und die Uni als Institution wollte sich auch sofort engagieren. Das große Engagement hat unter anderem zur Bewerbung für die schnell aufgelegten DAAD-Programme ‚Integra‘ und ‚Welcome‘ geführt. So konnten wir rasch eine Kombination aus Deutschkurs und Schnupperstudium organisieren, ein Mentoringprogramm für Studienbewerber einführen und studentische Initiativen professionalisieren.
Luise Haack: "Wir müssen vielseitig und übergreifend denken"
Inzwischen haben wir mehr als zwei Jahre Erfahrung in den Programmen und stellen fest, dass wir als Universität im Verlauf der Betreuung mit neuen Partnern kommunizieren müssen. Helferkreise, andere Ansprechpartner bei der Ausländerbehörde, zivilgesellschaftliche Vertreter, Wohnungsgeber oder Jobcenter. Mit einem Jobcenter hatten wir vorher noch nie zu tun, weil Studierende normalerweise kein Geld vom Jobcenter bekommen. Es ist also notwendig, vielseitig und übergreifend zu denken und zu kommunizieren – und dieser wichtige Aspekt wurde auf der intensiven DAAD-Tagung mit ihren vielfältigen Themen sehr gut reflektiert.
DAAD und Mittelgeber hörten sich aufmerksam an, was uns inzwischen beschäftigt. Für die nähere Zukunft muss man zum Beispiel für den Studienerfolg weiterhin das Sprachniveau anheben. Auch bekommen wir nun die Rückmeldungen, wie es den Geflüchteten eigentlich im Studium ergeht. Ihre Probleme unterscheiden sich von denen anderer internationaler Studierender – etwa organisatorisch oder psychisch. Für Studierende, die eine wichtige Prüfung nicht erfolgreich ablegen können, weil ihre Heimatstadt gerade bombardiert wird, greift das Instrumentarium für Internationale Studierende nicht. Hier brauchen wir neue Ideen, viel Kommunikation und die Stärkung der Förderprogramme.“
Katrin Krause, Lektorin für Deutsch als Fremdsprache am Sprachenzentrum der Technischen Universität München (TUM) – auf der DAAD-Konferenz Referentin im Workshop „Interkulturelles Lernen – Verbindlichkeit und Eigenständigkeit schaffen“.
Unverzichtbar: Nachhaltige Stärkung von Selbstständigkeit
„An der TU München haben wir mit DAAD-Förderung und der Hilfe einer privaten Stiftung 2016 ein Gasthörerprogramm für Geflüchtete ins Leben gerufen. Das Interesse wuchs stetig und das Programm zählte zuletzt rund 150 Gasthörer pro Semester. Die Idee war sehr ambitioniert: Die Geflüchteten sollen sich an der Universität orientieren, Kontakte knüpfen, sogar Leistungsnachweise erwerben können, um herauszufinden, ob das Vollstudium an der TUM etwas für sie sein könnte. Wichtiger Bestandteil des Programms ist eine intensive Beratung zum Bewerbungsprozess – zum Umgang mit dem Online-System oder hinsichtlich der Anerkennung von Zeugnissen. Ohne die Unterstützung im DAAD-Programm ‚Integra‘ wäre das für die Geflüchteten eine kaum überwindbare Herausforderung gewesen. Da haben wir viel bewirkt.
Trotzdem waren die Erwartungen möglicherweise mitunter zu hoch gesteckt. Die Aufforderung zur freien Orientierung ist für diese Zielgruppe komplizierter gewesen als vermutet und hat sie vielfach überfordert. Wir müssen uns also fragen: Mit welchen Lernhintergründen kommen die Menschen zu uns? Können sie unsere Erwartung an selbstständiges akademisches Lernen erfüllen? Bis zu welchem Punkt gilt es, sie zu begleiten – und ab wann soll der Einzelne alleine weitermachen können?
Um mehr Selbstständigkeit zu erreichen, stehen wir also jetzt vor einem Spagat: Wir wollen den Geflüchteten keine Schule bieten. Sie sollen lernen, sich selbst zu organisieren, wie es an der Uni gefordert wird. Aber dafür brauchen wir ein Zwischenprogramm – nicht ganz verschult, aber eben auch nicht zu offen. Eine schrittweise Heranführung an freies Lernen an der Uni. Das kreative Engagement des DAAD bleibt dafür eine große Hilfe und ein fantastisches, notwendiges Angebot.“
Maria Cristina Fronterotta, Leiterin des Sprachenzentrums an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim/Holzminden/Göttingen – auf der DAAD-Konferenz Referentin im Workshop „Aktuelle Bedarfe und zukünftige Handlungsfelder für die Integration von Geflüchteten an Hochschulen“.
Beruhigend und überzeugend: Wir brauchen alle dasselbe
„Alle, die Geflüchtete bei der Integration helfen wollen, brauchen ähnliche Unterstützung von der Politik. Das war für mich eine positive Erkenntnis der Konferenz: Denn die Teilnehmer bildeten ja eine sehr bunte Mischung – aus verschiedenen Bundesländern, aus zum Teil sehr unterschiedlichen Hochschulen und Universitäten mit wiederum vielfältigen Institutionen. Alle stehen jedoch vor ähnlichen Herausforderungen und wünschen sich zum Beispiel weitere oder stärkere Förderung im Bereich Deutsch als Fremdsprache und Angebote in interkultureller Kommunikation und Kompetenz. Das sind wichtige Ergebnisse, denn eine solche Einigkeit wirkt überzeugend auf die Politik.
privat
Maria Cristina Fronterotta: "Der Austausch stärkt, bereichert und strukturiert auch die Zusammenarbeit von Hochschuleinrichtungen"
Wichtig war für mich auch die Möglichkeit zur Diskussion mit den Vertretern aus DAAD und Politik. Das offenbar sehr konkrete und gute Zusammenspiel zwischen dem DAAD und den Ministerien hat mich beeindruckt. Wir brauchen den DAAD dringend als Verbindung zwischen Hochschulen und Geldgebern, für eine erfolgreiche Kommunikation unserer Bedürfnisse. Dieser Austausch ist nötig, damit die angebotenen Maßnahmen in der Förderung der Geflüchteten gezielt auf die Herausforderungen bei der Integration reagieren können. Der Austausch stärkt, bereichert und strukturiert nicht zuletzt auch die Zusammenarbeit von Hochschuleinrichtungen und schafft wertvolle Synergien.
Mit den Förderprogrammen konnten wir an der HAWK viel in Bewegung setzen. Zusätzlich zu den Deutschkursen zum Hochschulzugang bieten wir zum Beispiel studienvorbereitende Kurse an, in denen es um Fragen zum wissenschaftlichen Arbeiten, aber auch um Demokratie oder die öffentliche Kritik geht. Wir finanzieren Tutoren und arbeiten an einem erweiterten Trainingsplan für interkulturelle Kommunikation. Darüber hinaus möchten wir die Studierenden, die ja auch potenzielle Fachkräfte sind, künftig stärker mit mittelständischen Unternehmen aus der Region zusammenbringen und Formate für gemeinsame interkulturelle Trainings entwickeln.“
Protokolle: Bettina Mittelstraß (12. April 2018)
Weitere Informationen zur Konferenz
„Viel geschafft und doch erst am Anfang? Erfolge und
Herausforderungen bei der Integration von Geflüchteten ins Studium“
Vom 14. bis 16. März trafen sich in Berlin engagierte Hochschulvertreter aus ganz Deutschland, die sich mit ihrer Arbeit für die Integration von studierfähigen Geflüchteten in die deutschen Hochschulen einsetzen. Dabei haben sie die Ende 2015 aufgelegten DAAD-Programme „Integra“ und „Welcome“ unterstützt, beide gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
An der Berliner Konferenz beteiligten sich zahlreiche Vertreter aus der Politik, unter anderem Peter Greisler, Leiter der Unterabteilung Hochschulen im BMBF, und Heidrun Tempel, Beauftragte für Außenwissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik im Auswärtigen Amt. Anwesend waren auch viele interessierte Abgeordnete des deutschen Bundestags.
Die Konferenzteilnehmer diskutierten über die erkennbaren Erfolge sowie die bleibenden Herausforderungen und steckten zukünftige Handlungsfelder ab. Mehr als 10.000 geflüchtete Studieninteressierte konnten allein 2017 über das Maßnahmenpaket des BMBF an Vorbereitungskursen teilnehmen. Über 600 geförderte studentische Initiativen an den Hochschulen helfen ihnen bundesweit beim erfolgreichen Studieneinstieg.
Jetzt werden die Hochschulprogramme für Flüchtlinge verlängert und berücksichtigen dabei die bisherigen Erfahrungen, so DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel. Sie hebt hervor: „Fragen der optimalen Begleitung während des Studiums, zur Sicherung des Studienerfolgs oder Fragen der akademischen Nachqualifizierung zur optimalen Vorbereitung auf den Übergang in den Arbeitsmarkt werden künftig im Fokus stehen müssen.“
Hochschulen und Universitäten, die an einer Förderung ab 2019 interessiert sind, wenden sich bitte an die fachliche Ansprechpartnerin zu den Flüchtlingsprogrammen im DAAD:
Katharina Fourier
Leiterin des Referats Hochschulprogramme für Flüchtlinge – P15
DAAD – Deutscher Akademischer Austauschdienst
+49 228 882-259
fourier@daad.de