Forderung nach Europäischen Universitäten: Eine Frage der Integration
DAAD/Thilo Vogel
DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland: "Die neuen Europäischen Universitäten können nur ein Erfolg werden, wenn möglichst viele Länder den Vorschlag Macrons proaktiv aufgreifen"
Die von Frankreichs Staatspräsident Macron geforderten „Europäischen Universitäten“ sind eine starke Vision – und eine Herausforderung. DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland spricht im Interview über mögliche Modelle. Seit seiner Gründung vor mehr als 90 Jahren unterstützt der DAAD die Internationalisierung der deutschen Hochschulen und macht ihnen Angebote, wie sie ihre Netzwerke weiter ausbauen können.
Frau Dr. Rüland, mit seiner Rede an der Sorbonne im September 2017 und der Forderung nach „Europäischen Universitäten“ hat der französische Präsident Macron für Aufsehen gesorgt. Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal von dieser Initiative hörten?
Dorothea Rüland: Ich war sehr positiv beeindruckt, dass Macron eine neue Vision für Europa entwickelt. Wir dürfen nicht vergessen: Die Rede beschäftigt sich bei Weitem nicht nur mit Europäischen Universitäten, sondern auch mit vielen anderen Themen. Es war eine europapolitische Rede. Für Macron sind die Europäischen Universitäten ein ganz zentrales Element der Integration Europas. Das finde ich einen grandiosen Ansatz, den der DAAD seit Langem verfolgt.
Welche europäischen Hochschulmodelle sind denn denkbar?
Zum einen grenzüberschreitende Universitätsverbünde wie zum Beispiel der Zusammenschluss Eucor in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, aber auch Modelle, bei denen sich Hochschulen gleichen Typs über größere Distanzen hinweg zusammenschließen. Neben der Hochschulform können thematische Anknüpfungspunkte das verbindende Element für die neuen Europäischen Universitäten sein. Für all diese Varianten unterstützen wir schon jetzt verschiedene Modelle in der Zusammenarbeit der Hochschulen.
DAAD/Felix Kindermann
Von Berlin bis Budapest, von Warschau bis Wien: Vorstellung der Strategischen Partnerschaft "CENTRAL" bei einem Brüsseler Workshop des DAAD
So neu ist die Idee der Europäischen Universitäten also gar nicht?
Es gibt seit einigen Jahren einen weltweiten Trend, dass Hochschulen zunehmend strategischer zusammenarbeiten. Da kommt es dann vor allem auf zielgerichtete Kooperation auf unterschiedlichen Ebenen an, von der Studierendenmobilität bis zu Forschungsprojekten. Der DAAD hat bereits 2012 das Programm „Strategische Partnerschaften und Thematische Netzwerke“ konzipiert und zwei Förderrunden mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ausgeschrieben. Das Programm fördert weltweit zahlreiche, sehr gute Universitätspartnerschaften – unter ihnen einige mit einem starken Europafokus. Das reicht vom U4-Netzwerk der Universitäten in Gent, Göttingen, Groningen und Uppsala bis zur Strategischen Partnerschaft „CENTRAL“ der Berliner Humboldt-Universität mit der Karls-Universität in Prag, der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest sowie den Universitäten Wien und Warschau.
Sind das Vorbilder für die von Macron angesprochenen Europäischen Universitäten?
Einige dieser erfolgreichen europäischen Netzwerke haben wir unlängst auf einem gemeinsamen Workshop des DAAD mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel vorgestellt. Es wurde dabei auch deutlich, wie unterschiedlich die Strukturmodelle sein können. Für die neuen Europäischen Universitäten wird es kein Standardmodell geben. Wir brauchen vor allem Flexibilität und Offenheit, gerade weil wir den strategischen Prozess nachhaltig gestalten wollen. Der DAAD befindet sich im permanenten Austausch mit den deutschen Hochschulen, dem BMBF, aber auch mit den Partnern auf Seiten der EU und in den einzelnen europäischen Staaten.
Welche Themen prägen den Austausch?
Eine zentrale Frage ist, wie wir die verschiedenen Themen gewichten: Wollen wir den Schwerpunkt auf die Exzellenz der Europäischen Universitäten legen? Oder sollte die Förderung der akademischen Mobilität stärker im Vordergrund stehen? Wie schafft man es, sich nicht nur auf einzelne europäische Länder zu fokussieren, sondern die gesamte europäische Gemeinschaft in dem Prozess mitzunehmen? Gerade durch die Konzentration auf fachliche oder thematische Netzwerke ist es leichter, Universitäten oder Hochschulen aus allen europäischen Ländern einzubinden. Eine wesentliche Rolle werden auch virtuelle Elemente des Austauschs spielen. Wenn wir verstärkt multilateral zusammenarbeiten wollen, müssen wir die Digitalisierung der Hochschulen weiter vorantreiben.
DAAD/Felix Kindermann
Teilnehmer des Brüsseler Workshops zu den Europäischen Universitäten (v. l.): Stephan van Galen (Universität Groningen), Hiltraud Casper-Hehne (Universität Göttingen), Anette Pieper (Direktorin der Abteilung Projekte im DAAD), Markus Fischer (Technische Universität Berlin) und Stanisław Rybicki (Technische Universität Krakau)
Was ist die Rolle des DAAD in diesem Prozess?
Das Programm „Strategische Partnerschaften und Thematische Netzwerke“ zeigt beispielhaft, dass der DAAD ein wichtiger Wissensträger ist. Wir haben das Programm wissenschaftlich evaluieren lassen und viel Positives festgestellt: Auch im europäischen Kontext hat sich die akademische Mobilität wesentlich gesteigert, ebenso die Zahl gemeinsamer internationaler Publikationen. Zugleich konnten diese neuen Partnerschaften und Netzwerke zusätzlich zu unserer Förderung weitere Finanzierungsquellen erschließen. Hier liegt ein Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg, den die neuen Europäischen Universitäten ebenfalls benötigen. Der DAAD wird sein Wissen auch weiterhin in den europäischen Austausch einbringen und die enge Zusammenarbeit mit den deutschen Ministerien und europäischen Partnern suchen. Die neuen Europäischen Universitäten können nur ein Erfolg werden, wenn möglichst viele Länder den Vorschlag Macrons proaktiv aufgreifen. Wir werden die deutschen Hochschulen weiterhin dabei unterstützen.
Interview: Johannes Göbel (24. Mai 2018)
Europäische Universitäten
Gemeinsamer Workshop von DAAD, Ständiger Vertretung und HRK in Brüssel
Die Idee des französischen Staatspräsidenten Macron, bis 2024 zwanzig Europäische Universitäten zu gründen, ist zurzeit Top-Thema in Brüssel. Seit November letzten Jahres arbeitet die Europäische Kommission daran, hierfür ein Konzept zu entwickeln. Sie verspricht einen „co-creation process“, an dem die EU-Mitgliedstaaten sowie Vertreter der Hochschulen beteiligt sind.
Der DAAD hat mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU und der Hochschulrektorenkonferenz vor Kurzem einen Workshop in Brüssel ausgerichtet, um zu diesem Prozess beizutragen. Im Rahmen des Workshops hat eine Gruppe aus Ministerialvertretern aus 16 europäischen Staaten, aus den EU-Institutionen, europäischen Hochschulverbünden und weiteren Stakeholdern über das Thema diskutiert.
Zeitplan und Ziele
Auch für das Konzept der Europäischen Universitäten sind Flexibilität und Autonomie für strategische Entscheidungen der antragstellenden Hochschulen von großer Bedeutung. Themen wie Mobilität für alle, gemeinsame Studiengänge mit europäischem Abschluss, vollständige Anerkennung von Studienleistungen im Ausland, innovative Lehrkonzepte, Zusammenarbeit in Forschung und Lehre, das Lernen in verschiedenen Sprachen, die Förderung europäischer Werte sowie die Integration von Strukturen und ein gemeinsamer europäischer Status für die Europäischen Universitäten wurden in der Diskussion zu dem Konzept immer wieder genannt.
Im Herbst 2018 wird die Europäische Kommission im Rahmen des laufenden Erasmus+ Programms eine Pilot-Ausschreibung zu den Europäischen Universitäten veröffentlichen. Ab 2021 soll unter dem Erasmus+ Nachfolgeprogramm eine neue Förderlinie hierzu anlaufen.
Die Workshop-Dokumentation befindet sich auf der Website der DAAD-Außenstelle Brüssel.