„Das Theologische Studienjahr verändert Biografien“
Theologisches Studienjahr Jerusalem
Aktuelle Absolventen: gemeinsames Gruppenbild der Studierenden des 44. Theologischen Studienjahrs Jerusalem mit der Studienleitung
Ein aktuelles Programm mit großer Tradition: Das vom DAAD geförderte und seit mehr als 40 Jahren bestehende Theologische Studienjahr in Jerusalem prägt Studierende der katholischen und evangelischen Theologie nachhaltig. An der deutschen Benediktinerabtei Dormitio auf dem Berg Zion erleben sie auf einzigartige Weise die Begegnung mit Judentum und Islam.
„Normalität in Jerusalem bedeutet, dass immer eine religiös aufgeheizte Atmosphäre herrscht“, sagt Bruder Simeon Gloger OSB. Er ist Erster Kantor, Organist sowie Bibliothekar der Benediktinerabtei Dormitio – und seit drei Jahren Studienpräfekt auf dem Zion. Sein eigenes Studium dort, er ist Jahrgang 1988, liegt nicht lange zurück.
Die Dormitio liegt am Fuße der Jerusalemer Altstadt. Näher kann man dem Nahost-Konflikt kaum sein. Zugleich zieht Jerusalem Christen, Juden und Muslime seit Jahrtausenden an. Exkursionen zu den religiös und archäologisch bedeutsamen Stätten im Heiligen Land sind daher neben Vorlesungen und Seminaren fester Bestandteil des Theologischen Studienjahrs.
Muslimisch-christliche Werkwochen
Seit dem 38. Studienjahr bloggen die angehenden Theologinnen und Theologen über ihre Erfahrungen an der Dormitio. Vor allem die Begegnungen mit Angehörigen anderer Religionen hinterlassen einen tiefen Eindruck. Die muslimisch-christlichen Werkwochen sind dafür ein gutes Beispiel: Studierende der islamischen Theologie an deutschen Universitäten besuchen das Theologische Studienjahr und erleben Unterricht mit den christlichen Kommilitoninnen und Kommilitonen − eine Möglichkeit, sich gegenseitig besser kennenzulernen, die intensiv genutzt wird. Das bestätigt ein Eintrag im Gemeinschaftsblog des jüngsten Jahrgangs 2017/2018: „An einem Abend bekommen wir Christen eine Erklärung zum muslimischen Ritualgebet. Wie läuft das ab, gibt es auch so etwas wie freies Gebet? Über die rituelle Waschung haben wir uns lange unterhalten, haben die Bedeutung, die Unterschiede in verschiedenen Rechtsschulen des Islam diskutiert. Unser Interesse ist so groß, unsere Nachfragen sind so zahlreich und die Offenheit und Bereitschaft, auf all unsere Fragen zu antworten, ist seitens unserer muslimischen Freunde so groß, dass wir kaum bis zum eigentlichen Ablauf des Gebets kommen.“
Forum Studienjahr Jerusalem e.V.
Ein besonderer Ort: Blick auf die Benediktinerabtei Dormitio
Lebensnaher kann der Dialog zwischen Christentum und Islam kaum geführt werden. Das sieht auch Professor Ulrich Winkler so, Studiendekan und derzeitiger Inhaber des Laurentius-Klein-Lehrstuhls, benannt nach dem Begründer des Theologischen Studienjahrs: „Christentum und Islam mögen im Hinblick auf Tradition, Ethik und Glauben sehr unterschiedliche Antworten geben. Aber wir stellen alle ganz ähnliche Fragen. Dieses Erlebnis während der drei Wochen gemeinsamer christlich-muslimischer Lehrveranstaltungen hat mich sehr berührt.“ Wissen, und damit auch der Wissenstransfer, den das Theologische Studienjahr leiste, sei stets der Schlüssel zu einem besseren Verständnis auch der Religionen untereinander.
Außergewöhnlich hohe Bewerberzahlen
Das Theologische Studienjahr Jerusalem ist eine anhaltende Erfolgsgeschichte. Die Bewerberzahlen sind außergewöhnlich hoch; der besondere Anspruch des Programms schreckt offenbar nicht ab. Für das Auswahlverfahren beim DAAD spielen bisherige Studienleistungen eine wichtige Rolle, hebräische und griechische Sprachkenntnisse werden geprüft, und man sollte Vorlesungen in englischer Sprache folgen können. Auch von der Leistungsbereitschaft der Bewerberinnen und Bewerber macht sich das Auswahlgremium im Bewerbungsverfahren ein gründliches Bild.
Dafür erleben die Studierenden dann auch Theologie auf höchstem Niveau, unterrichtet von renommierten Dozentinnen und Dozenten aus der ganzen Welt: Katholische, evangelische, christlich-orthodoxe, jüdische, muslimische und auch atheistische Lehrende sind an der Dormitio zu Gast. Zum Lehrplan gehören Archäologie, Bibelexegese, Ostkirchenkunde, Ökumene, nahöstliche Kirchen- und Zeitgeschichte, Judaistik, Islamwissenschaft sowie der interreligiöse und interkulturelle Dialog. Jedes Studienjahr hat ein Jahresthema. Für das kommende 45. Theologische Studienjahr 2018/2019 liegt für Professor Winkler der Bezug zu ökonomisch-theologischen Fragen auf der Hand. Die Gottesrede im Spannungsfeld von Tausch und Gabe wird im Mittelpunkt des Jahresthemas stehen, das mit einem Bibelvers aus dem Buch Jesaja überschrieben ist: „Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser! / Die ihr kein Geld habt, kommt, / kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld, / und ohne Bezahlung Wein und Milch!“
Neue Karrierewege
Mehr als eintausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben das Theologische Studienjahr bisher absolviert, viele Ehemalige in Wissenschaft und Bildung, in den Kirchen, in der Politik oder in den Medien Karriere gemacht. „Das Theologische Studienjahr verändert Biografien“, sagt Pater Nikodemus C. Schnabel OSB, dazu zählten auch radikale Konfessions- oder Berufswechsel. „Man lernt multipolar zu denken“, fasst er die im Studienjahr zu erwerbende Kern-Kompetenz zusammen. Bis Anfang 2018 stand Pater Nikodemus der Abtei Dormitio als Prior-Administrator vor. Derzeit befindet er sich in einem Sabbatical, ist aber weiterhin für das Studienjahr zuständig.
FAZIT Communication GmbH/Claudia Wallendorf
Pater Nikodemus: gefragter Experte, geschätzter Ansprechpartner
Der promovierte Theologe ist Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft, Dozent für Ostkirchenkunde am Theologischen Studienjahr Jerusalem und zugleich einer der bekanntesten Absolventen des Theologischen Studienjahrs. Auch in den Medien ist er ein geschätzter Ansprechpartner. In der Diskussion um die Bedeutung Jerusalems für Israelis und Palästinenser sowie für die verschiedenen Religionen antwortete er Ende 2017 in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“: „Jerusalem hat eine lange, hochkomplizierte Geschichte, wegen der sie gleich drei Weltreligionen heilig ist. Die Verhältnisse dort sind wie ein ganz feines, sensibles Spinnengewebe, das mit sehr viel historischem und religiösem Fingerspitzengefühl betrachtet werden muss.“ Die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt durch die USA betrachtet Pater Nikodemus „mit großer Skepsis“.
„Bis in die deutsche Gesellschaft“
Sensibilität in oft besonders umstrittenen Fragen – unter anderem diese Kompetenz macht für den DAAD den Mehrwert des Theologischen Studienjahrs aus. Dr. Christian Hülshörster, Leiter der Stipendienprogramme Süd in der Abteilung Stipendien des DAAD, betont: „Das Theologische Studienjahr strahlt aus bis in die deutsche Gesellschaft.“ Gerade in aktuellen Diskussionen im Spannungsfeld der Religionen benötige man in Deutschland Theologinnen und Theologen, die in Dialog oder auch Trialog erfahren seien. Denn Jerusalem, der wichtigste Ort für Christentum, Islam und Judentum, ermögliche die theologische Reflexion gesellschaftlicher Realität, so Hülshörster. „Das erst befähigt zum Entwickeln einer Streitkultur, die von Wissen und Respekt geprägt ist.“
Insofern könne man das Theologische Studienjahr auch als Friedensprojekt bezeichnen, dessen Ziel die Vermittlung zwischen den Religionen ist. Hinzu komme weiteres Engagement der Studierenden: „Sie können ein Sozialpraktikum machen und sich in einer diakonischen oder pastoralen Einrichtung engagieren“, erläutert Hülshörster. Auch dadurch ist das Theologische Studienjahr Jerusalem der vollkommene Gegenentwurf zum akademischen Elfenbeinturm. „Ich glaube“, sagt Hülshörster, „kaum ein anderes unserer Programme ist so herausfordernd für einen jungen Menschen wie dieses.“
Claudia Wallendorf (6. Juni 2018)