„Zukunftswege“: Von Neuanfängen nach der Flucht

DAAD/Dörthe Hagenguth

Der DAAD engagiert sich vielfältig für die Integration geflüchteter Studierender an deutschen Hochschulen

Die neue DAAD-Publikation „Zukunftswege – Erfolge und Herausforderungen bei der Integration von Geflüchteten ins Studium“ zeigt in Interviews und Porträts, wie der DAAD mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Integration von Geflüchteten an deutschen Hochschulen ermöglicht. So auch bei der Informatikstudentin Manar Alabdullah, die im Interview über ihr Leben in Tübingen und das Potenzial der Digitalisierung spricht.

Vergnügt kräht der kleine Bebars auf dem Arm seiner Mutter Manar Alabdullah. Die junge Frau hat im Sommersemester 2017 ihr Studium der Informatik an der Eberhard Karls Universität in Tübingen begonnen.

Niedlich, der Kleine.

Manar Alabdullah (strahlt): Ja, Bebars ist in unserer Familie der erste gebürtige Tübinger. Er ist letztes Jahr hier zur Welt gekommen.

Sie selbst stammen aus Syrien?

Genau, ich bin in Damaskus geboren und aufgewachsen. Dort habe ich mein Abitur gemacht und zwei Semester an der Universität studiert, ehe mein Mann und ich 2014 das Land verlassen haben. Zuerst sind wir in die Türkei gegangen, im Sommer 2015 hat sich mein Mann auf den Weg nach Deutschland gemacht. Ich durfte ihm 2016 folgen.

Waren Sie in Damaskus schon Informatikstudentin?

Nein. Ich habe dort Wirtschaftswissenschaften studiert. Aber schon als Kind faszinierten mich Mathematik und Computer. Die Computertechnologie erfasst zunehmend alle Lebensbereiche. Das hat seine Risiken, aber für mich vor allem das Potenzial, das Leben der Menschen zu verbessern. Und die digitale Welt von morgen will ich mitgestalten. Es war daher mein Traum, Informatik zu studieren.

Kann eine digitale Technik Menschen auch bei der Integration helfen?

Natürlich. Denken Sie neben der Kommunikation nur einmal an die Daten von Einwohnermeldeämtern, Schulen oder Hochschulen. Die sind in meinem Heimatland Syrien nicht einheitlich und umfassend erfasst worden, zudem ist etliches zerstört und verloren gegangen. Durch eine effiziente digitale Datenverwaltung und dezentrale Speichertechnik könnten Menschen ihre Identitäten und Qualifikationen immer eindeutig nachweisen, egal in welchem Land.

DAAD-Publikation "Zukunftswege": Interview mit Manar Alabdullah

DAAD

Manar Alabdullah: "Es ist mir sehr wichtig, nach dem Studium mein eigenes Geld zu verdienen"

Und wie sieht es mit digitalen Lernangeboten wie zum Beispiel Online-Sprachkursen aus? Können die bei der Studienvorbereitung und -begleitung hilfreich sein?

Auf jeden Fall. Ich habe bisher noch kein solches Angebot genutzt, aber werde bald einen Online-Englischkurs anfangen. Und natürlich können viele, die neu hier sind, auf diesem Wege auch Deutsch lernen. Die vorhandenen E-Learning-Angebote für Geflüchtete sind gut, aber am Ende muss jeder Einzelne sie auch diszipliniert nutzen. Was noch besser gemacht werden kann, ist die digitale Aufbereitung und Verbreitung von Informationen rund ums Studium in Deutschland. Die online vorhandenen Infos sind fast nur auf Deutsch verfügbar. Viele Geflohene, die bereits studieren, geben ihre Erfahrungen und Praxistipps an jene weiter, die neu ankommen, beispielsweise in Welcome-Programmen. Aber so müssen sie immer dasselbe erzählen und erreichen nur wenige. Über eine zentrale mehrsprachige Onlineplattform könnten wichtige Informationen strukturiert und wirkungsvoll geteilt werden. Außerdem wären sie für die Nutzer schon vor der Ankunft in Deutschland verfügbar.

Dass junge Frauen vom Informatikstudium träumen, ist ja eher selten – ein höherer Studentinnenanteil in den MINT-Fächern wäre wünschenswert.

Ich finde es auch schade, dass überwiegend Männer das studieren. Deshalb empfehle ich meiner Schwester, die gerade in München den C1-Kurs besucht, auch mit Informatik anzufangen. Informatik ist nicht nur ein spannendes Fach: Das Studium eröffnet auch gute berufliche Chancen. Es ist mir sehr wichtig, nach dem Studium eine gute Arbeitsstelle zu finden und mein eigenes Geld zu verdienen.

Sie sind an der Universität angekommen. Ist Ihnen das leichtgefallen?

Auf jeden Fall bin ich hier gut aufgenommen und unterstützt worden. Ich habe gleich angefangen, die neue Sprache zu lernen und habe am Refugee-Programm der Uni (ein aus Integra-Mitteln gefördertes Vorstudium für Geflüchtete) teilgenommen. Das war wirklich sehr hilfreich. Neben der sprachlichen und fachlichen Vorbereitung gab es jede Menge Aktivitäten: Wir haben uns regelmäßig zu Stammtischen getroffen und Ausflüge und Exkursionen unternommen. Und über das Buddy-Programm mit deutschen Studenten haben wir das Tübinger Studentenleben kennengelernt, bevor wir überhaupt Studenten waren. Was hier ganz anders ist als in Damaskus: Es ist viel einfacher, mit einem kleinen Kind zu studieren. Wer in Syrien sein Kind nicht von Verwandten betreuen lassen kann, kann frühestens studieren, wenn es vier Jahre alt ist. Hier konnte ich Bebars in den ersten drei Monaten mitnehmen, seitdem bringe ich ihn zu einer Tagesmutter. Und ab zwei Jahren können die Kinder hier in die Uni-Kita gehen.

Sie sind aus einer Millionenstadt ins eher beschauliche Tübingen gekommen. War das für Sie ein kleiner Kulturschock?

Nein, nicht wirklich, und es gefällt mir hier gut. Das Leben in Tübingen ist ein bisschen wie auf dem Dorf und ein bisschen wie in der Stadt. Es gibt hier zum Beispiel keine U-Bahn wie in den großen Städten in Deutschland, aber mehr Möglichkeiten und Abwechslung als auf dem Land. Und manchmal erinnert mich Tübingen sogar ein bisschen an Damaskus.

Was gefällt Ihnen hier besonders?

Wir leben mit unserem Kind in einem friedlichen Land. Unser Sohn soll niemals Krieg erleben und erleiden. Viele andere Menschen aus Syrien konnten diesen Weg nicht gehen.

Manar Alabdullah kam aus der syrischen Hauptstadt Damaskus über die Türkei nach Baden-Württemberg. An einer der ältesten Universitäten Deutschlands studiert die 24-jährige ein zukunftsträchtiges Fach.

Das Interview mit Manar Alabdullah ist zuerst erschienen in der Publikation „Zukunftswege – Erfolge und Herausforderungen bei der Integration von Geflüchteten ins Studium“.