Europäische Hochschulen: Für neuen Zusammenhalt
The Guild of European Research-Intensive Universities
Hiltraud Casper-Hehne (5. v. l.), Vizepräsidentin für Internationales der Universität Göttingen, auf einer Veranstaltung des Landes Niedersachsen zu Europäischen Universitäten in Brüssel am 24. Mai 2018
Professor Hiltraud Casper-Hehne, Vizepräsidentin für Internationales der Universität Göttingen, blickt in einem Gastbeitrag für DAAD Aktuell auf das Potenzial der Europäischen Hochschulen – und auf Herausforderungen, etwa angesichts der geografischen Balance und der Frage der Effzienz der neuen Netzwerke.
Europäische Universitäten werden große Chancen für die Hochschulbildung in Europa bieten. Dies betont der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zur Internationalisierung vom 6. Juli. Auch die Universität Göttingen begrüßt als international renommierte Universität diese Initiative, zusammen mit ihren Partnerhochschulen im europäischen Netzwerk U4: Gent, Groningen, Uppsala und Tartu.
Aus der Erfahrung unseres Netzwerks U4 heraus wird der Aufbau von Europäischen Hochschulen mit Sicherheit die europäische Einheit und die Kollaboration von akademischen Institutionen vertiefen. Zudem wird diese visionäre Idee durch den Austausch von Personen, Wissen und Ideen die Exzellenz unter den Europäischen Hochschulen fördern. Die Europäischen Hochschulen haben aus unserer Sicht das Potenzial, wirkliche Leuchttürme in der europäischen Hochschullandschaft zu entwickeln.
Die beteiligten Hochschulen werden beim Aufbau der Europäischen Universitäten aber auch vor große Herausforderungen gestellt.
Frage der richtigen Größe
Die erste große Herausforderung, um diese Leuchttürme zu entwickeln, ist die Frage des Vertrauens, der Effizienz und der Nachhaltigkeit in den Netzwerken. Dies kann nur gelingen, wenn man auf kleinere, bestehende Netzwerke aufbaut, die in einer langjährigen Partnerschaft eine vertrauensvolle Kooperation ausgebildet haben und in die die gesamte Institution involviert ist, vom Studierenden über den Mitarbeiter in Wissenschaft und Verwaltung bis zur Professur.
Deshalb unterstützen wir als Teil des U4-Netzwerks auch die Empfehlung, nicht mehr als sechs Hochschulen in diese Netzwerke zu integrieren. Das ist eine Größe, in der ein wirklicher internationaler Austausch, gegenseitiges Vertrauen, Effizienz und Nachhaltigkeit geschaffen werden können. Zudem sollte man auf vorhandenen Netzwerken aufbauen, weil sonst keine wirklichen Leuchttürme entstehen werden. Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, zu der der DAAD gehört, hat in ihrem Papier vom 26. Juni zum 9. Forschungsrahmenprogramm betont, dass Europäische Universitäten auf der Basis von bereits existierenden universitären Partnerschaften und Netzwerken gebildet werden müssten.
Mobilität im Wandel?
Die zweite große Herausforderung der Bildung Europäischer Universitäten ist die Mobilität. Wir wollen und wir benötigen mehr Studierende, die ins Ausland gehen, und wir begrüßen auch die Europäische Initiative, dies zu verstärken. Wissend aber, dass derzeit durchschnittlich über ganz Europa nur 6 Prozent der Studierenden am Erasmus-Programm teilnehmen (10 Prozent, wenn wir andere Mobilitätsprogramme mit einrechnen) stellt sich die Frage, wie sich die Erasmus-Mobilität verdrei- oder vervierfachen kann. Die empirische Evidenz zeigt, dass wir vorsichtig sein sollten, zu große Erwartungen zu wecken. Wenn wir also die Mobilität in den Europäischen Universitäten auf bis zu 50 Prozent steigern wollen, müssen wir uns gut überlegen, wie wir das erreichen können.
Universität Göttingen/Christoph Mischke
Hiltraud Casper-Hehne: "Wir müssen uns auch fragen, was Mobilität eigentlich bewirkt"
Um die Mobilität zu fördern, sollten wir darüber nachdenken, wie wir Gruppen in die Netzwerke integrieren, die bisher in den Mobilitätsprogrammen unterrepräsentiert waren: Studierende aus sozial schwachen, bildungsfernen Schichten, die „first generation“-Akademiker sowie die Migrantinnen und Migranten.
Und wir müssen uns auch fragen, was Mobilität eigentlich bewirkt. Haben wir wirklich bewiesen, dass Mobilität allein einen Europäischen Geist, kulturelles Verständnis, Unternehmertum oder soziales Engagement fördert? Das heißt, wir müssen uns nicht nur fragen, wie wir die Zahl der Mobilität erhöhen, sondern auch, wie wir den Impact solcher Mobilität erhöhen können.
Forschung fördern!
Die dritte große Herausforderung, die auf uns zukommt, ist der Forschungskontext. Das Europäische Forschungsrahmenprogramm hat immer drei Linien bedient: die Exzellenz in der Forschung und programmatische sowie anwendungsorientierte Forschung. Diese Trias sollte auch in den Europäischen Universitäten zum Tragen kommen. Forschung sollte in ihnen nicht einseitig auf programmatische Forschung beschränkt bleiben, also auf Forschung zu den globalen europäischen Herausforderungen. Denn Wissenschaftskooperation bildet sich bottom-up, auf der Basis der Forschungsagenda der Forschenden; und diese sollten frei sein, zu wählen.
Diese Erfahrungen haben wir auch im U4-Netzwerk gemacht. Nur auf diese Weise kann man die Forschenden in die Netzwerkaktivitäten wirklich nachhaltig integrieren. Und das ist aus unserer Sicht eine zentrale Aufgabe. Die Universität Göttingen und ihre Partner im U4-Netzwerk verstehen sich als forschungsintensive Universitäten: Forschung ist ein integraler Teil des Profils des Netzwerks. Und so sollte es auch für die Europäischen Universitäten gelten. Denn diese Integration von Forschung in die Europäischen Universitäten ist eine große Chance. Die zunehmende Komplexität und multidisziplinäre Natur der Fragestellungen, zum Beispiel bei großen gesellschaftlichen Herausforderungen, erfordert divers und international zusammengesetzte Forschergruppen und den Einbezug unterschiedlicher Perspektiven, um innovative und tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Dies hat der Wissenschaftsrat in seinen jüngst erschienenen Empfehlungen zur Internationalisierung auch deutlich gemacht.
Internationale Kooperation ist zudem für die Wissenschaft ein Mittel zur Sicherstellung und Erhöhung der Qualität von Forschung und Lehre: Durch den internationalen Austausch und Diskurs können Methoden und Theorien erweitert sowie Forschungsergebnisse abgesichert werden. Dies sind klare Chancen, die uns die Europäischen Universitäten bieten können.
Für die Antragstellung als Europäische Universität besteht die Herausforderung nun darin, dass die Forschung generell integriert wird, dass sie in ihrer Vielfalt integriert wird und dass sie finanziert wird. Denn derzeit stehen in der Initiative nur Mittel für die Lehre zur Verfügung. Die DG Research sollte aus diesem Grund intensiv in die Aktivitäten zur Einrichtung von Europäischen Universitäten integriert werden.
Unzureichende Finanzierung
Bleibt die letzte Herausforderung: die Finanzierung. Die Europäische Kommission will 30 Millionen Euro für drei Jahre in der ersten Ausschreibung der Pilotphase 2019 bereitstellen. Das könnten ca. 500.000 Euro pro Jahr pro Universität sein, je nach Netzwerkgröße. Dies ist eindeutig nicht ausreichend, um die anvisierten ambitionierten Ziele der Initiative zu erreichen. Dies sieht auch die Hochschulrektorenkonferenz so, die in ihrem Brief an die EU- Kommission vom 2. Juli 2018 zum Pilot Call betont, dass die geplante Finanzierung nicht ausreichend sei und deshalb zum einen die Förderung erhöht werden, zum anderen der Bund sich auch an der Initiative beteiligen solle.
Geografische Balance
Damit komme ich zu meinen abschließenden Punkt: der geografischen Balance. Sie kann kein Auswahlkriterium für die Bewilligung von Netzwerken sein. Sicherlich sollte die ganze European Higher Education Area von der Initiative profitieren und so sollten wir auch geografische Balance im Blick behalten. Aber es sollte, so auch die HRK in ihrem Schreiben vom 2. Juli an Sophia Eriksson-Waterschoot, Direktorin für Jugend, Bildung Erasmus +, kein Auswahlkriterium für jedes Netzwerk sein; und es sollte kein alleinstehendes Auswahlkriterium sein, das mit gesonderten Punkten bewertet wird. Denn bei den Europäischen Universitäten geht es um Exzellenz und Qualität in Forschung, Lehre und Innovation, und diese sollten im Mittelpunkt der Bewertung stehen.
Last but not least ein letzter Blick auf die geografische Balance und den Einbezug Europas: Es sollten auch assoziierte EU-Partnerländer in die Initiative integriert werden, denn ohne etwa die Schweiz, Norwegen oder die UK wären die Netzwerke sehr viel ärmer. Und dies gilt auch für Europa.
Prof. Dr. Hiltraud Casper-Hehne, Vizepräsidentin für Internationales der Universität Göttingen (19. Juli 2018)
Weitere Informationen zum U4-Netzwerk finden Sie hier>>
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