Jeffrey Yang: Entlang der Seidenstraße durch Berlin
Julia Jürgens
Auf Streifzug: der Lyriker Jeffrey Yang
Berlin ist wie eine große Kreuzung, an der Ideen aus allen Richtungen aufeinandertreffen, sagt Jeffrey Yang. Ein Jahr hat der amerikanische Lyriker als Künstlerstipendiat des DAAD in der Stadt verbracht. Welchen Wegen er gefolgt ist und was er dabei entdeckt hat, hat er kurz vor seiner Rückreise erzählt.
Expeditionen sind oft dann erfolgreich, wenn man Umwege geht und auf diesen etwas entdeckt, das man gar nicht gesucht hat. Jeffrey Yang nennt solche Funde „chance things“, zufällige Dinge. Schätze, für die sich der Lyriker Yang begeistert. Deshalb begab er sich auf seine ganz eigene Expedition, entdeckte seine ganz persönlichen Umwege und an deren Wegesrand sehr brauchbare „chance things“. Yangs Reise begann gewissermaßen, als er sich vor zwei Jahren für das Berliner Künstlerprogramm des DAAD bewarb. „Ein Jahr lang konzentriert an einer Idee arbeiten zu dürfen, ist ein ungeheurer Luxus“, beschreibt er seine Freude über dieses Angebot.
Die Idee, die Yang für sein Jahr in Berlin im Sinn hatte, war gewissermaßen eine Expedition über Expeditionen, seine ganz eigene poetische Annäherung an die Seidenstraße, die Wanderung von Waren und auch von Ideen. Das Medium seiner Annäherung sollten unter anderem über 100 Jahre alte unscheinbare blassrosa Wachszylinder mit feinen Rillen sein, von denen er wusste, dass diese säuberlich katalogisiert und abgelegt in Pappkartons im Phonogramm-Archiv in Dahlem lagerten. Legt man diese Zylinder in einen Phonographen, geben sie leise, schnarrend und klirrend Musik einer längst vergangenen, fernen Welt wieder. So exotische Klänge wie etwa diesen einer zweisaitigen Dutar, einer Langhalslaute, aufgenommen von deutschen Forschungsreisenden 1904 in „Ost-Turkestan“, Zentralasien, abgespielt 2018 für Jeffrey Yang, Jahrgang 1974, gebürtiger Kalifornier, Wohnsitz Beacon, NY, USA, preisgekrönter Lyriker, Lektor, Übersetzer aus dem Chinesischen, seinerseits ebenfalls Forschungsreisender in vielerlei Hinsicht.
Auf der Suche nach den „chance things“
Ein Jahr ist es her, dass er mit seiner Familie von Beacon, New York, nach Berlin gekommen war. Jetzt, eine Woche vor seiner Rückreise in die USA, blickt er entspannt zurück. Seine Expedition ist abgeschlossen. Begonnen hatte sie mit einem Umweg. Denn als Yang vor dem Museum für Asiatische Kunst in Dahlem, zu dessen Herzstücken die Klangwalzensammlung zählt, stand, musste er feststellen, dass das Museum wegen des anstehenden Umzugs in das Humboldt Forum bereits geschlossen war. „Eine Herausforderung“, sagt er und lacht wohlwissend, weil ihn Expedition und Umwege ein Jahr lang quer durch Berlin an fast alle Museen der Stadt geführt haben, und sich dabei sein sorgfältig handgeschriebenes Notizbuch mit gezielten Funden und auch mit den „chance things“ angereichert hat.
Julia Jürgens
Jeffrey Yang: "Die Musikalität eines Gedichts trägt den Leser tief in den Text, anders als jedes sachliche Erklären das könnte"
Ein Gespräch mit Jeffrey Yang ist wie das Lesen seiner Gedichte, und die sind eben auch ein Abbild seiner Expeditionen und von deren Umwegen. Etwa von den detailverliebten barocken Kupferstichen Piranesis zu den Filmen Eisensteins, über die Höhlenmalereien von Kuča bis zu den Galapagos-Inseln. Wenn man nicht wüsste, dass Jeffrey Yang Lyriker ist, man würde beim Beruferaten eher auf Ethnologie oder Kunstgeschichte oder auch Biologie tippen. Man würde jedenfalls nicht darauf kommen, dass die „Projekte“, von denen er spricht, Gedichtzyklen sind. Gedichte, die in die Tiefe der Welt stoßen, und – wie in seinem ersten Buch „Ein Aquarium“ – im sprachlichen Sezieren von Meerestieren das enzyklopädische Wissen des Dichters offenbaren.
Umweg über die Meeresbiologie
Tatsächlich wäre Yang beinahe nicht Dichter geworden, sondern Meeresbiologe. Er hat Tierphysiologie und Literatur studiert. Eine ungewöhnliche Kombination, die er dem freien Geist der University of California, San Diego, verdankt. Dass er doch lieber schreiben als an Protein-Ketten forschen wollte, erkannte er nach einer viermonatigen Schiffsexpedition in die Nähe der Galapagos-Inseln. „Es hat mich verstört, wie die Tiere aus dem Meer gefischt und Teil der Experimente wurden“, sagt er. Von da an war ihm klar: Lieber als mit dem Mikroskop möchte er mit Stift und Notizblock die Welt erkunden. „Ich war immer an sehr vielen Dingen interessiert, aber nie wirklich gut in einer Sache“, sagt Yang und schließt sogleich eine Frage an: „Ist das nicht der beste Ansatz, um Dichter zu werden?“ Ein Gedanke, der geradezu herausfordert, Umwege zu beschreiten.
Dabei ist Yangs poetische Methode der eines Wissenschaftlers verwandt geblieben: Archive sichten und Quellen studieren, Funde betrachten und darüber nachsinnen, seine Beobachtungen, Assoziationen und Ideen mit der Hand in sein Notizbuch schreiben, das er überall mit sich trägt.
In der Schatzkammer der Wörter
Von seinen Expeditionen in die Archive bringt der Lyriker Yang dann, wie die Forschungsreisenden vor über 100 Jahren die Wachswalzen, alte, ihm zunächst unbekannte, unsortierte Funde mit. Bei Yang sind es Wörter, die er in seine Texte einarbeitet. Fachbegriffe, altertümliche Ausdrücke, Wörter, die aus der Mode gekommen scheinen, deren Klänge seinen Gedichten diese besondere Färbung verleihen. „Ich glaube, man muss nicht jedes Detail verstehen. Ein Gedicht hat seine eigene Musikalität, die die Sätze durchströmt. Sie trägt den Leser tief in den Text, anders als jedes sachliche Erklären das könnte.“ Für Yang liegt in der Eigensinnigkeit der Texte der Wert von Poesie. „Lyrik widerstrebt dem heutigen Bedürfnis, alles sofort zu durchdringen.“ Gedichte fordern von ihren Lesern Zeit, man kann sie nicht wie Nachrichten überfliegen. Deshalb nimmt Jeffrey Yang sich Zeit, um sich den Stoff für seine Dichtungen sorgfältig anzueignen.
In Berlin hat Jeffrey Yang dafür die meiste Zeit in den Bibliotheken des Ethnologischen Museums verbracht. Dort und im Phonogramm-Archiv hat er den Stoff gesammelt, der die Grundlage für sein neues „Projekt“ sein wird. Was genau daraus entstehen wird, wenn er zu Hause sein Notizbuch sichtet, vermag er noch nicht zu sagen. Vielleicht werden daraus Gedichte, vielleicht auch Essays. So viel ist jedoch für ihn heute schon sicher: Dreh- und Angelpunkt seiner Gedanken wird die Seidenstraße sein. „Mich fasziniert, wie damals neben Waren auch Ideen über weite Strecken transportiert wurden“, sagt Yang und lacht: „Eigentlich war das dort genau wie heute hier in Berlin.“ Nein, wirklich, so habe er die Stadt empfunden, als einen interkulturellen Ideenraum, „offen und großzügig“. Er möchte so bald wie möglich wiederkommen – spätestens dann, wenn das Humboldt Forum eröffnet.
Julia Jürgens (2. August 2018)