Himalaya: Enklave zwischen Tradition und Moderne
Kevin Bubriski
Abhimanyu Pandey: "Im Spiti-Tal lebten die Menschen bis vor drei Jahrzehnten geografisch sehr isoliert"
Der indische Anthropologe Abhimanyu Pandey erforscht im Himalaya, wie die Anbindung an Straßen und elektronische Medien eine abgelegene Gemeinschaft transformiert. Seine Doktorarbeit schreibt er als DAAD-Stipendiat an der Universität Heidelberg.
Abhimanyu Pandey sitzt am Wegesrand und schaut den Straßenarbeiten zu. Er beobachtet die Menschen, die kommen und gehen. Er stellt Fragen wie ein neugieriger Besucher. „In der ersten Phase meiner Feldarbeit versuche ich, in die Gemeinschaft einzutauchen, die hier lebt“, erzählt der Anthropologe von seiner Forschung in einem abgelegenen indischen Tal auf 4.000 Metern Höhe im Himalaya an der Grenze zu China und Tibet. „Im Spiti-Tal lebten die Menschen bis vor drei Jahrzehnten geografisch sehr isoliert. Bevor die indische Regierung das strenge Reiseverbot nach Spiti für alle Außenstehenden aufhob, lebte die Bevölkerung in weitgehend unberührter Natur und nach eigenen sozialen Regeln.“
Die Touristen kommen
Dann setzte der Wandel ein: Naturschützer, Bergsteiger und Touristen entdeckten die spektakuläre Gegend, die aufgrund ihrer naturbelassenen Schönheit zur Kulisse für Bollywood-Filme wurde. Waren es im Jahr 2013 noch maximal 1.500 Touristen jährlich, die den Weg ins Spiti-Tal fanden, kamen 2017 – nach Meldungen über das Tal in den Sozialen Medien – rund 40.000 Menschen. Die sich überschneidenden geografischen und kulturellen Grenzen des Tals bieten ideale Bedingungen, sagt Abhimanyu Pandey, um einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel zu beobachten, der mit der Anbindung an Straßen- und Telekommunikationsnetze einsetze.
Abhimanyu Pandey
Neue Straßen: Das Spiti-Tal wird erschlossen
Momentan kann das Spiti-Tal nur auf zwei Routen erreicht werden: eine im Norden, die sieben Monate im Jahr von Schnee und Eis verschlossen wird, und eine im Süden, die aber immer wieder Schlammlawinen und Bergstürzen ausgesetzt ist. Die geografische Abgeschiedenheit wurde historisch noch verstärkt, als die Gegend nach den kriegerischen Grenzstreitigkeiten zwischen Indien und China und aufgrund ihrer Nähe zu Tibet zwischenzeitlich zur Sperrzone erklärt wurde.
Schnelle Veränderung
„Das alles hatte zur Folge, dass die Gemeinschaften hier in einer tibetanisch-buddhistisch geprägten Enklave lebten und ihre Traditionen sehr alt sind“, sagt Pandey. Aber vor drei Jahren brach die Moderne mit einem exponentiellen Wachstum des Tourismus nach Spiti wie durch ein Brennglas in diese Gesellschaft und verändert sie seither. Zum Beispiel passen sich Esskulturen und Moden sehr schnell den vielen Besuchern und ihren mitunter schnelllebigen Bedürfnissen an. Aber auch Zukunftsvorstellungen, Wünsche oder Befürchtungen verändern sich. „Die fortschreitende verkehrstechnische und mediale Anbindung beeinflusst die Art und Weise, wie die lokale Bevölkerung ihre Individualität und ihre Beziehung zu Gemeinschaft, zur Umwelt oder zu der sie umgebenden natürlichen Landschaft wahrnimmt“, sagt Abhimanyu Pandey, der selbst unweit vom Spiti-Tal aufgewachsen ist. „Konnektivität entscheidet darüber, wie Menschen über sich selbst denken.“
Abhimanyu Pandey
Angebote für Touristen und Einheimische: Das Leben im Spiti-Tal verändert sich
Reflektierter Blick auf Traditionen
Pandeys biografische Verbindung zu den Dörfern im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh hat ihn früh zum Beobachter der Spannung zwischen Tradition und Moderne gemacht. Viele Entwicklungen verliefen vor seinen Augen konfliktreich, manche zum Nachteil der Gemeinschaften, andere bargen eine wichtige Chance, wie zum Beispiel die auf Gleichberechtigung der Geschlechter.
Abhimanyu Pandey
Beeindruckende Weite: Blick über das Spiti-Tal
Auch um kritisch auf Traditionen blicken zu können, entschied sich Abhimanyu Pandey für ein Studium der Englischen Literatur in Delhi und machte anschließend seinen Master in Soziologie. Mit einem Stipendium ging er für ein Masterstudium in Development Studies ins britische Cambridge. Dann kehrte er in den Himalaya zurück, um dort einen praktischen Beitrag zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Transformation von Dorfgesellschaften zu leisten. Knapp vier Jahre arbeitete er für das International Centre for Integrated Mountain Development in Nepal. „Dann wollte ich meine anthropologischen Studien theoretisch fundieren“, erzählt er. Erfolgreich bewarb er sich um ein Doktorandenstipendium des DAAD und ging an die Universität Heidelberg. Begeistert sagt er: „Heidelberg ist ein Zentrum für hervorragende Gelehrte, die über den Himalaya arbeiten.“
Wenn er seine wissenschaftlichen Beobachtungen im Spiti-Tal und seine Promotion an der Universität abgeschlossen hat, will Abhimanyu Pandey wieder praktisch in der Region arbeiten. Denn er möchte, dass gewachsene Traditionen nicht am Kontakt mit modernen Lebensweisen scheitern, sondern dazu beitragen, dass die Menschen eine für sie fruchtbare Verbindung zur Moderne schaffen.
Bettina Mittelstraß (28. August 2018)