„Diesen Traum habe ich nicht zu träumen gewagt“

Axel Nixdorf

Ein Lebensweg wie ein Wunder: Ipeleng Kgatle am Klavier

Die Südafrikanerin Ipeleng Kgatle ist angehende Opernsängerin und Geförderte einer Stipendien-Patenschaft der DAAD-Stiftung. Dass sie es aus dem Township Tembisa zum Studium bis nach Mannheim bringen würde, übertrifft ihre kühnsten Phantasien.

Es ist eine verbindende Eigenschaft aller Musikhochschulen dieser Welt: Sie klingen wie nicht enden wollende Sound-Collagen, die sich aus den verschiedensten Klangfetzen unaufhörlich neu bilden. Zuerst ist es meist nur ein fernes Sirren und Klirren, je mehr man sich nähert, desto mehr Kontur gewinnen die Klänge: Auf den Gängen dringen aus jeder einzelnen der vielen schallgedämpften Doppeltüren Klangschnipsel, die sich im Ohr des Besuchers wie an einem Mischpult zu einer Landschaft aus Klängen zusammensetzen: Perlender Chopin mischt sich auf nur wenigen Metern mit dem Näseln einer Oboe, ein Waldhorn sucht kieksend Halt in einer Tonleiter, wieder und wieder attackiert ein Streichquartett den Auftakt, verschämt huscht eine Belcanto-Linie über den Flur und man fragt sich nur halb im Scherz: Tenor oder Knödel?

Die Sopranistin Ipeleng Kgatle trägt ihren Teil zu dieser Klanglandschaft bei. Mannheim, Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, zweiter Stock. Hinter einer der Türen: ein Übungsraum. Kahl und kühl, nüchtern, zwei Stühle, am Fenster ein Flügel, ein Klavier an der Wand, ein riesiger Spiegel an der Stirnseite, zwei Notenpulte. Und mittendrin: Ipeleng Queen Malefsane Kgatle, 25 Jahre jung, aus Südafrika. Gerade geht sie für ein Konzert der Hochschule am nächsten Abend noch einmal zwei Lieder durch, deshalb „markiert“ sie nur, singt nur mit halber Kraft, um ihre Stimme so kurz vor dem Auftritt nicht zu verausgaben. Und doch steckt in diesem skizzierten Durchlauf schon so viel Kraft und Dynamik, so viel Ausdruck in der Stimme, dass man die Anwesenheit dieses Talents an einer Musikhochschule für das Normalste überhaupt halten könnte. Das ist es keineswegs. Streng genommen ist es eine Art Wunder. Denn dort, wo Ipeleng geboren wurde und aufgewachsen ist, sind Karrieren mit ausgebildeter Opernstimme noch nicht einmal Gegenstand kühnster Träume, geschweige denn, dass man sich an einen - zumindest im Winter - aus südafrikanischer Sicht so unwirtlich kalten Ort wie Mannheim in Deutschland wünscht. Das heißt, die meisten der gut 460.000 Bewohner des Townships Tembisa nördlich von Johannesburg, des Herkunftsorts von Ipeleng, wünschen sich wohl von dort weg. Nur tun das eben die wenigsten, um in Deutschland zu studieren und eine Karriere auf den Opernbühnen dieser Welt anzupeilen.

DAAD-Stiftung: Stipendiatin und Sängerin Ipeleng Kgatle

Axel Nixdorf

Ipeleng Kgatle: Im Township den Traum vom Singen bewahrt

„In Tembisa bedeutet es Karriere, wenn man eine Ausbildung zur Krankenschwester ergattert oder zum Polizisten. Wobei nicht gesagt ist, dass man nach der Ausbildung auch eine Anstellung bekommt“, erklärt Ipeleng die Perspektiven von jungen Township-Bewohnern, wie sie eine war, „viele gehen putzen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, manche versuchen, mit dem Verkauf von selbst angebautem Gemüse, ihr Auskommen zu sichern, und andere werden kriminell.“ Townships sind die Orte, die in den Reisekatalogen für Südafrika keine Rolle spielen, weil sie unfassbar arm sind, chaotisch, unorganisiert und, ja, wegen ihrer hohen Kriminalitätsrate, gefährlich. In den späten fünfziger Jahren von der National Party als Instrument der Apartheid eingerichtet, wuchsen diese Gebiete in rasanter Geschwindigkeit durch unentwegte Zuzüge der verschiedensten farbigen Bevölkerungsgruppen des südlichen Afrikas. In Tembisa leben 11.000 Menschen pro Quadratkilometer; in Mannheim sind es nur gut 2.000 Einwohner auf einer solchen Fläche. 460.000 Menschen leben im Township Tembisa, die sich von der Nähe zu Johannesburg eine bessere Zukunft versprechen. Für die meisten von ihnen aber ist das Township Geburtsort und Endstation.

Als Kind im Township, als Träume noch keine Grenzen kannten, phantasierte Ipeleng davon, wie Celine Dion zu singen, erfolgreich zu sein, im Glitzerkleid auf der Bühne ein Riesenpublikum zu begeistern. Also sang sie. Zunächst in der Schule, dann im Chor der Lutheran Church. Musik im Allgemeinen und Singen im Besonderen wurden zu Ipelengs Leidenschaft. Eine ihrer Lehrerinnen liebte es, den Kindern aus einem Radio Musik vorzuspielen, und lud Sänger eines Konzerthauses in ihre Schule ein. Da horchte Ipeleng auf. Diese Musik war anders, berührte sie, regte ihre Phantasie an. Sie erinnert sich an die Melodie und summt sie leise. Das war Oper. So wollte sie in Zukunft auch singen. Dafür, dass sie eine großartige Stimme voller Potenzial hatte, bewunderten sie viele. Ipeleng hatte Eifer und Ehrgeiz, diese Stimme zu entwickeln. Doch hatte sie auch eine Chance? Realistisch gesehen: Nein.

Ihr Vater war seit Generationen der Erste in der Familie mit einer Berufsausbildung. Wie von einer Welle des Temperaments erfasst, fließen Ipelengs Erinnerungen an ihre Kindheit im Township nur so: von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, von tollkühnen Zukunftsträumen und Verzweiflung ist da die Rede. Ihr Englisch hebt und senkt sich in rhythmischen Wellen, bricht aus ihr heraus, dramatisch, aufwühlend und auch ein wenig theatralisch, aber gut dosiert, niemals bloße Pose. Selbst die hoffnungsloseste Kindheitserinnerung ist nie bis zur Unkenntlichkeit dunkel und das Strahlen über sie inspirierende Momente blendet den Zuhörer nicht.

Einer dieser strahlenden Momente war die erste Opernaufführung, die sie mit etwa 13 Jahren in einem richtigen Opernhaus erlebte: „Ziyankomo und die verbotene Frucht“ von Phelelani Mnomiya. Ipelengs Augen glänzen, wenn sie sich an diese erste leibhaftige Begegnung mit einer Oper erinnert. Jetzt wusste sie: „La Scala, Met, Wiener Staatsoper: Ich komme!“

DAAD-Stiftung: Stipendiatin und Sängerin Ipeleng Kgatle

Axel Nixdorf

Ipeleng Kgatle: "Ich möchte so viel lernen, möchte mehr Kontrolle über meine Stimme gewinnen, musikalisch und menschlich reifen"

Ipeleng Queen Malefsane Kgatle verfügt über zwei wesentliche Eigenschaften, die diesen mutigen Vorsatz nicht unmöglich machen: eine gesunde Portion künstlerischen Selbstbewusstseins und die Einsicht, dass es ohne harte Arbeit nichts werden wird mit einer Zukunft auf der Bühne. Ihr ganzes Leben hatte sie auf eine Gesangskarriere ausgerichtet, immer darauf bedacht, die Realität vor lauter Oper im Kopf nicht aus dem Blick zu verlieren. Hoffnung hier, Zweifel und Widerstände da. Ihr Vater ermutigte sie, die Mutter fragte: „Kind, wie willst Du als Sängerin Essen auf den Tisch bekommen?“ Zwischen diesen beiden widerständigen Polen nahm Ipeleng Etappe um Etappe. Nach dem Singen im Schulchor, später in der Kirche, Musikunterricht an der Highschool in einem benachbarten Township, einem Abschluss in Gesangskunst an einer Technologischen Hochschule folgte ein erstes Engagement im Opernchor für „Cosi fan tutte“, danach die Margarete in Gounods „Faust“ mit 20 Jahren, wo sie noch einmal völlig neu das Lernen lernte, um diese Partie einzustudieren, 2016 mit 23 Jahren dann die La Musica in Monteverdis „Orfeo“ in Kapstadt.

Ein Studium an der Musikhochschule in Mannheim scheint da nicht so weit hergeholt. Und ist es doch ganz und gar. „Man kann nicht sagen, dass ein Traum wahr geworden ist, denn diesen Traum habe ich nicht zu träumen gewagt“, lässt Ipeleng die Annahme eines von ihr abonnierten Glücks zerplatzen. In Tembisa existieren solche Träume einfach nicht, weil der Ballast des Townships alles am Boden zurückhält, das gerne hoch- und auf und davon fliegen möchte.

Und doch hat sie mit Talent und  zielstrebigem Fleiß erreicht, dass die DAAD-Stiftung sie nun – als deren erste eigene Patenschafts-Stipendiatin − fördert. Im Mai 2018 nahm Ipeleng ihr für zwei Jahre durch eine Stipendien-Patenschaft der DAAD-Stiftung gefördertes Gesangsstudium an der Mannheimer Musikhochschule auf. „Ich möchte hier so viel lernen, möchte mehr Kontrolle über meine Stimme gewinnen, musikalisch und menschlich reifen.“ Ipeleng hat die nächsten Etappen genau im Blick. Die italienischen Opern des 19. Jahrhunderts begeistern sie, da will sie hin. Freunde von ihr haben es vorgemacht: Sie singen in Wien, an der Deutschen Oper in Berlin, in Dortmund. Es schwingt immer ein bisschen Selbstironie über so viel vorlautes Hoffen mit, wenn Ipeleng die Scala oder die Met ins Visier nimmt. Jedoch: Mit ihrer Stimme, ihrem Talent und ihrem Willen ist eine große Karriere, angeschoben von der DAAD-Stiftung, keineswegs undenkbar. In Bayreuth hat Ipeleng vergangene Woche schon vorgesungen. Für ein Engagement im Chor.

Axel Nixdorf (19. Dezember 2018)

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