Engagement für geflüchtete Studierende: Das Projekt „BTU Welcome – Buddy und Mentor“
DAAD/FAZIT Communication/Matthias Lüdecke
Starkes Team an der BTU Cottbus-Senftenberg: Ahmad Albenny (l.) und der ehemalige Tutor Martin Jürgens
Von Menschen, die zusammen einen Weg finden: ein Besuch bei der preisgekrönten Initiative „Buddy und Mentor“ an der BTU Cottbus-Senftenberg. Das im DAAD-Programm „Welcome – Studierende engagieren sich für Flüchtlinge“ geförderte Projekt wurde 2018 vom Bundesbildungsministerium und dem DAAD ausgezeichnet.
„Möchte jemand nach vorne kommen und das Wort ,Erstsemester‘ an die Tafel schreiben?“, fragt Martin Jürgens. Draußen hängen Wolken am Himmel über Cottbus. Drinnen schaut der hochgewachsene, breitschultrige Student der Stadtplanung erwartungsvoll die drei Frauen und drei Männer an, die vor ihm in einer Bankreihe sitzen.
Die sechs sind hier, um in einem von Studierenden organisierten Tutorium Vokabeln zu lernen, die im Unialltag häufig verwendet werden. „Akademisches Viertel“, „Blockveranstaltung“ und „Aushang“ hat Jürgens schon selbst an die Tafel geschrieben. Und jetzt? Abdulrahman Rajab meldet sich, steht auf und schreibt „Erste Semester“ an die Tafel. Er stammt aus Syrien und hat schon eine Zulassung für die Brandenburgische Technische Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg. Ab Herbst 2019 wird der junge Mann Wirtschaftsingenieurwesen studieren. Zur Vorbereitung besucht er neben dem Tutorium den Kurs „Brücke zum Studium“, der Deutsch und Landeskunde vermittelt und in die Techniken wissenschaftlichen Arbeitens einführt.
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Erfolgreich in Cottbus angekommen: Abdulrahman Rajab im Tutorium
Martin Jürgens fragt: „Erste Semester − ist das richtig?“ „Erstsemester muss es heißen“, korrigiert jemand. „Richtig. Sie werden auch ,Erstis‘ genannt“, sagt Jürgens grinsend und macht mit der nächsten Übung weiter. Wie lautet die Mehrzahl von Hörsaal? Die sechs jungen Menschen aus dem Iran, Syrien, Afghanistan und Nepal machen sich eifrig Notizen. Vieles an der deutschen Hochschule ist ihnen fremd: Wie sucht man die richtige Lehrveranstaltung aus? Wie meldet man sich zu einer Prüfung an? Auch das werden Jürgens und seine Kommilitonin Luzie Doering ihnen erklären. Das Tutorium findet einmal pro Woche statt.
„In Cottbus finde ich mich gut zurecht“
Die BTU Cottbus-Senftenberg hat rund 7.500 Studierende. 2.000 von ihnen stammen aus dem Ausland, wobei China, Indien und Polen die wichtigsten Herkunftsländer sind. Unter den Studierenden der BTU sind auch knapp 100 Geflüchtete. Wie Abdulrahman Rajab, dem Cottbus besser gefällt als Berlin, wo er auch schon gelebt hat. „Berlin ist schön, aber groß und laut“, sagt er nach dem Tutorium. „Hier in Cottbus finde ich mich gut zurecht.“
Das Tutorium ist Teil der studentischen Initiative „BTU Welcome − Buddy und Mentor“. Sie wird vom DAAD im Rahmen des Programms „Welcome – Studierende engagieren sich für Flüchtlinge“ aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Zurzeit kümmern sich fünf Buddys, Studierende aus Deutschland und anderen Ländern, um Geflüchtete, die an der BTU studieren oder dies planen.
Damit die Geflüchteten nicht nur unter sich bleiben, sitzen in dem Tutorium auch Studierende aus anderen Ländern, etwa eine junge Frau aus Nepal. Martin Jürgens ist es eine Herzensangelegenheit, allen in Cottbus ein herzliches Willkommen zu bieten. Das Wort „betreuen“ gefällt ihm nicht. „Ich würde es Freundschaft nennen“, sagt er und erzählt, dass er mit geflüchteten Kommilitonen auch nach dem Tutorium Deutsch übt und ihnen bei der Organisation ihres Studiums hilft. Mit Ahmad Albenny hat Jürgens an dessen Bewerbung um ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung gefeilt. Es hat geklappt, der 26-jährige Student des Wirtschaftsingenieurwesens ist jetzt Stipendiat. „Martin hat mir erklärt, was ein Motivationsschreiben ist“, sagt er. „In Syrien, wo ich herkomme, gibt es so etwas nicht.“
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Engagiert: Martin Jürgens und Luzie Doering mit Tutoriumsteilnehmern
Als das BMBF und der DAAD im Sommer 2018 mit einer Online-Abstimmung die deutschlandweit besten studentischen Welcome-Initiativen für Geflüchtete ermittelten, kam die BTU auf den ersten Platz. Die Freude ist immer noch groß. Die Geflüchteten bräuchten Rückhalt, sagt Narine George vom International Relations Office der BTU; sie koordiniert das „Buddy und Mentor“-Programm. „Die Uni ist manchmal wie eine Glasglocke in der Stadt.“ Auf dem Campus herrsche eine freundliche Atmosphäre; die Geflüchteten fühlten sich dort wohl und geborgen. Das sei in der Stadt nicht immer der Fall.
„Kopftuchmädchen“ ‒ dieses Wort hat Fatyma Al-Hakim in Cottbus schon öfter gehört. Sie ist unverdrossen freundlich, lächelt jedes Mal aufmunternd, wenn ihr jemand eine Frage stellt. Die 26-jährige Studentin kam als Kleinkind aus dem Irak nach Deutschland. In Cottbus ist sie für das Fach Landnutzung und Wasserbewirtschaftung eingeschrieben. Gemeinsam mit Mehrin Nazirova aus Aserbaidschan und einigen anderen Studentinnen organisiert Al-Hakim das Frauensprechcafé, das ebenfalls Teil der „Buddy und Mentor“-Initiative ist.
Das Frauensprechcafé ist kein fester Ort. Die Studentinnen treffen sich in Cafés in der Stadt, zu Kinoabenden und im Sommer auch mal im Park. Darüber hinaus zeigen Fatyma Al-Hakim und Mehrin Nazirova den Neuankömmlingen den Campus. Oft fragen diese um Rat, was die Wahl des Studienfachs anbelangt. „Viele Menschen aus arabischen Ländern sagen: Mein Sohn soll Anwalt oder Arzt werden“, erzählt Al-Hakim. „Ich erkläre den Geflüchteten, dass auch andere Fächer interessant sind, etwa die Naturwissenschaften.“
Der zweite Standort der BTU befindet sich 38 Kilometer von Cottbus entfernt in Senftenberg, einer Stadt mit 25.000 Einwohnern. Mohammed Kheir Aljarrah und Bachir Moulayess aus Syrien loben das deutsche Studiensystem für seinen guten Ruf − und Maeen Al-Fahad für seine Unterstützung. „Er hat mir geholfen, einen Bafög-Antrag auszufüllen“, erzählt Bachir Moulayess. „Da standen so viele Wörter, die ich nicht kannte.“ Al-Fahad stammt aus dem Jemen und kam vor acht Jahren nach Deutschland, um zu studieren. Jetzt beteiligt sich der angehende Medizintechniker ebenfalls an der Welcome-Initiative. Jeden Donnerstag hält der 29-Jährige auf dem Senftenberger Campus eine Sprechstunde ab, während der ihn Geflüchtete mit Fragen bestürmen. „Auch danach können sie mich immer anrufen“, sagt Al-Fahad.
Gemeinsam geht es voran (v. l.): Mehrin Nazirova, Bachir Moulayess, Maeen Al-Fahad und Mohammed Kheir Aljarrah
Josefine Janert (21. Dezember 2018)
Update: 28. Mai 2019