Deutschland braucht internationale Studierende

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„Erfahrungen in anderen Länderen zu sammeln, gibt jungen Leuten Chancen auf dem Arbeitsmarkt", sagt Ursula Egyptien

Internationale Studierende sind wichtig für den deutschen Arbeitsmarkt. Denn Deutschland braucht Fachkräfte, die allein im Inland nicht zu finden sind. Der DAAD spielt eine Schlüsselrolle bei ihrer Gewinnung. 

„Wir haben ausgefeilte Instrumente, um internationale Studierende zu gewinnen“, sagt Dr. Ursula Egyptien. „Vor allem möchten wir Studierende erreichen, die hier gute Chancen haben – damit deren Erwartungen erfüllt werden und damit die deutschen Hochschulen gute Leute finden, die ihr Studienziel erreichen.“ Egyptien leitet das Marketing des DAAD. Sie macht auf eine Frage aufmerksam, die in den Debatten um Fachkräfte, Demografie und Globalisierung schon bald eine Schlüsselrolle einnehmen wird.

Denn Deutschland braucht Fachkräfte. Im Inland allein sind sie nicht zu finden. Daher müssen mehr Menschen aus anderen Ländern zum Studium und zur Arbeit in Deutschland gewonnen werden. Auf den ersten Blick sieht die Lage zwar gut aus: Derzeit studieren in Deutschland rund 2,9 Millionen Menschen, mehr als je zuvor. Doch in den nächsten 15 Jahren wird die Bevölkerung im Schnitt um 15 Prozent zurückgehen, in einigen Gebieten in Westdeutschland um 25 Prozent. Das wird auch Studierende betreffen. Schon jetzt verbuchen 41 der 263 staatlichen Hochschulstandorte, also ein Sechstel, sinkende Zahlen auch bei Studierenden. Zwei Drittel dieser Standorte liegen in Ostdeutschland. Da hat der demografische Wandel schon früher eingesetzt. Es wird also Zeit, jungen Menschen, auch aus anderen Ländern, Wege zum Studium weiter zu ebnen. Hinzu kommt, dass sich der Wettbewerb globalisiert. Dadurch werden Fachleute unentbehrlich, die die Situation in anderen Ländern kennen. „Wir haben gar keine andere Wahl,“ sagt Egyptien, „als durch Austausch, Offenheit und Toleranz gegenüber Menschen aus anderen Ländern nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch Impulse zu gewinnen für unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Denn die ganze Gesellschaft muss sich öffnen und lebenslang lernen. Da hilft Offenheit für Menschen, die aus anderen Kulturen stammen, zumal für Studierende, die ihre Chance in Deutschland suchen.“ Das gilt umgekehrt auch für Deutsche, fügt sie hinzu: „Erfahrungen in anderen Ländern zu machen, gibt jungen Leuten Orientierung für ihr Leben und Chancen auf dem Arbeitsmarkt, und es bereichert die Gesellschaft.“

Die Zahlen stammen aus einer neuen Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Deutschland mehr internationale Studierende gewinnen muss – und auch kann. Es zeigt sich, dass der DAAD gute Instrumente entwickelt hat, um Interessenten an einem Studium in Deutschland Informationen zu vermitteln und ihnen Wege in eine für sie fremde Hochschul- und Gesellschaftskultur zu ebnen.

Zu den Angeboten des DAAD gehört etwa die deutsch- und englischsprachige Internetseite study-in.de. Sie informiert internationale Studieninteressierte zu allen das Studium und Leben in Deutschland betreffenden Themen. Internationale Studierende berichten unter anderem in Blogs und Vlogs, also Video-Blogs, über ihre Zeit und ihre Erfahrungen in Deutschland. „Authentische Zielgruppenansprache“ nennen Fachleute diesen Zuschnitt. „Er kommt ganz anders an als das Standard-Informationsangebot einer Organisation“, sagt Egyptien. Hugo aus Brasilien zum Beispiel wirbt in einem Blog dafür, Deutsch zu lernen, selbst in einem englischsprachigen Studiengang: „Deutsch hilft Dir, Dich schneller einzufinden, intensiver am deutschen Leben teilzunehmen und Freunde zu gewinnen.“

Zudem berät der DAAD Interessentinnen und Interessenten auf Facebook individuell. So können sie die Schritte bis zur Zulassung leichter nehmen und in Erfahrung bringen, welches Studienangebot zu ihnen passt, sei es das Fach, sei es der Standort. Zudem pflegt der DAAD umfangreiche Datenbanken und verwendet viel Energie darauf, dass sie aktuell bleiben. Es kommt Egyptien beim Marketing entgegen, dass sie die Situation aus eigenem Erleben kennt: Sie hat unter anderem in Genf studiert und war als Lektorin für den DAAD in Frankreich und in Indien tätig.

Gerade die 41 Hochschulen mit sinkenden Zahlen zeigen, dass die Gewinnung von internationalen Studierenden hilft: Seit 2012 sind dort die Studierendenzahlen zwar um durchschnittlich elf Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Studierenden aus anderen Ländern aber stieg um 42 Prozent. Ihr Anteil ist mit 12 Prozent noch überschaubar, aber er liegt jetzt im Schnitt aller Standorte. Die Studie sagt: Internationale Studierende „können den Schwund einheimischer Studierender zum Teil ausgleichen und auf lange Sicht auch die internationale Sichtbarkeit der betreffenden Standorte erhöhen“.

Weltweit sind 4,9 Millionen Studierende international mobil. Bald werden es 7 Millionen sein, so die OECD. Dazu passt, dass die Mobilität eines der Reformziele des sogenannten Bologna-Prozesses ist. Auch die Strategie „Europa 2020“, beschlossen von den europäischen Bildungsministern, will Mobilität für Studierende fördern. Und Deutschland ist ein attraktives internationales Studienland: Es liegt hinter den USA, Großbritannien und Australien auf Platz vier − damit noch vor Frankreich. Damit ist es das meistgewählte nicht englischsprachige Zielland für Studierende. „Wir verfügen über ein breites Angebot“, sagt auch Egyptien. „Wir haben eine ansehnliche und noch wachsende Zahl von englischsprachigen Angeboten, sodass auch diejenigen, die nicht so gut Deutsch können, eine Top-Chance haben auf eine sehr gute Ausbildung. Das ist schon eine Auszeichnung für den Studienstandort Deutschland.“ Zudem sind die Herkunftsländer der Interessentinnen und Interessenten gerade in Deutschland breit gestreut: Nach China und Indien folgen so unterschiedliche Länder wie Russland, Osterreich, Italien, Kamerun und Frankreich.

Ein Alleinstellungsmerkmal deutscher Studienangebote liegt in der Verbindung von Praxis und Theorie. „Das nehmen Studierende in anderen Ländern sehr aufmerksam wahr“, hat Egyptien festgestellt. „Wir bekommen viele Anfragen gerade mit Blick auf die dualen Studiengänge.“ Auch sei das deutsche Studiensystem weniger verschult als Systeme in anderen Ländern. Das übrigens zählt mitunter zu den kulturellen Unterschieden, die Studierenden etwa aus Asien zuerst fremd sind. Viele müssten lernen, dass es darauf ankomme, Inhalte miteinander zu verknüpfen, statt sie nur wiedergeben zu können, und dass Nachfragen gewünscht sind, ja erwartet werden, und nicht als Unhöflichkeit gelten. Positiv vermerken die Studierenden wiederum, dass Studiengebühren in Deutschland moderat ausfallen, wenn sie überhaupt erhoben werden. Oft informiert der DAAD Bewerber auch über Stabilität und Sicherheit, berichtet Egyptien. „Für viele Studierende sind das wichtige Orientierungspunkte.“ Auch damit kann Deutschland trumpfen.

Eine Sicht, die auch die Wirtschaft teilt. „Die Gewinnung internationaler Studierender ist einer der wichtigsten Beiträge im Blick auf den Mangel an Fachkräften“, sagt Dirk Werner, Leiter des Kompetenzfelds Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Der DAAD ist als Schaltstelle ein gewichtiger Player.“ Nach Informationen seines Instituts bleibt etwa die Hälfte der internationalen Studierenden im Anschluss an ihre Förderung/nach Studienabschluss zunächst in Deutschland. Aber auch diejenigen, die zurückkehren, bilden eine wirtschaftliche und kulturelle Brücke zwischen Deutschland und ihrem Heimatland. „Viele Länder, wie etwa Indien, fördern den Austausch, weil sie ihren jungen Leuten damit eine weitere Perspektive bieten können.“ Werner findet, dass das deutsche Migrationsrecht für Studierende sehr modern ist. Die Wirtschaft, sagt er, teilt die Forderung des DAAD, dass sich die Akteure noch enger vernetzen und gemeinsam Wege zum Studium bahnen, sodass Interessenten früh wissen, was sie erwartet. 

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Dirk Werner, Leiter des Kompetenzfelds Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln

Es gelte, „systemische Hürden“ beim Zugang zum Studium abzuflachen, sagt auch die Studie der Stiftungen. Noch sei der Hochschulzugang in Deutschland kompliziert. Die Studie schlägt Zugangsprüfungen vor, statt wie bisher aufwändig die Vergleichbarkeit von Studiengängen zu prüfen. In manchen Fällen würden auch Visa erst nach langer Wartezeit erteilt. Iraner hätten ihr Visum mitunter erst nach einem Jahr erhalten, Studierende aus asiatischen Ländern zum Teil nach sechs und mehr Monaten. Dadurch hätten sie erst nach Studienbeginn nach Deutschland einreisen können und Studieneinstieg und Wohnungssuche parallel bewältigen müssen. Die Untersuchung zeigt, „dass es schrumpfenden Hochschulstandorten zunehmend gelingt, diese ‚Stolpersteine‘ zu umgehen. Sie sprechen internationale Studieninteressierte gezielt dort an, wo diese ihren Weg nach Deutschland beginnen, z. B. beim Deutschlernen und in ihren ausländischen Partner(hoch)schulen, aber zunehmend auch im Internet und in den sozialen Medien.“ Das trifft sich mit der „passgenauen Abholung“ durch die Angebote des DAAD. „Hier wollen auch wir deshalb weiter voranschreiten“, sagt Egyptien.
 

Camilla Weiss Franco klein

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Mit der passgenauen Abholung hatte es Camila Weiss Franco (s. Foto) aus Rio de Janeiro leichter. Sie ist DAAD-Stipendiatin und studiert seit 2016 Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie Soziologie an der Universität Hamburg. „Ich habe Deutsch schon im Kindergarten kennengelernt und die deutsche Schule besucht“, erzählt sie. „Dort konnte ich einen doppelten Schulabschluss machen und hatte ein deutsches Abitur.“ Und schon die Schule hat Messen mit deutschen Universitäten veranstaltet. „Ich wusste also, was mich erwartet“, sagt Camila Weiss Franco. „Das kam mir entgegen beim Studienbeginn, der für alle schwer ist, bis sie sich an die Studienanforderungen gewöhnt haben.“ Sie hat sich rasch in Hamburg eingelebt. Ihr hilft, dass sie sich auch ehrenamtlich betätigt: Bei der Initiative „moinworld.de“ beteiligt sie sich daran, Frauen beim Programmieren zu unterstützen und ihren Anteil an den Entwicklern zu steigern. Im Herbst beginnt sie ihren Masterstudiengang und hofft wieder auf ein DAAD-Stipendium. „Nach dem Abschluss würde ich gern erst einmal in Deutschland arbeiten; ich habe mich gut hier eingelebt“, sagt sie.

Eine besondere Herausforderung stellt die gewachsene Zahl von Studieninteressenten unter den nach Deutschland Geflüchteten dar. Im Schnitt, so die Studie, dauert es zwei Jahre, bis geflüchtete Menschen die sprachlichen und fachlichen Voraussetzungen für ein Studium erreicht haben. Dazu komme die Finanzierung, auch wenn das Studium selber gebührenfrei ist, und am Anfang die Rechtsunsicherheit. Hier seien die Betroffenen angewiesen auf Hilfe und Begleitung, auch aus der Gesellschaft: etwa durch Kirchen und andere sozial engagierte Gruppen. Das übrigens betrifft auch die Integration internationaler Studierender. Auch ihnen tut Hilfe gut, um sich in Deutschland einleben und Freunde finden zu können.

Am anderen Ende, beim Übergang in den Beruf, schlägt die Studie ein stärkeres Übergangsmanagement vor, etwa mit der Entwicklung gemeinsamer Ziele zwischen Hochschulen, Unternehmen, Arbeitsagenturen und Kommunen. Dafür sollten die Kommunen die Initiative ergreifen, denn sie könnten unterschiedliche Interessen etwa von Hochschulen und Betrieben am besten zusammenbringen.

Deutschland hat also gute Voraussetzungen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Dazu muss sich die Gesellschaft weiter öffnen, denn darin liegt ihre Zukunft. Der DAAD leistet dazu an der Universität wichtige Beiträge. „An den Hochschulen herrscht ein offenes, freundliches Klima“ sagt Egyptien. „Da werden internationale Studierende aufgenommen. Die Hochschulen sind zunehmend international ausgerichtet. Gesellschaftlich sind wir alle gefragt. Wir werben für Toleranz und Offenheit, denn unsere Gesellschaft hat etwas davon.“

Wolfgang Thielmann (2. April 2019)