Religion: Gut, dass wir verschieden glauben
Uni Potsdam
Religionswissenschaftler Professor Johann Ev. Hafner leitet das Projekt „Religiöse Vielfalt im Irak“ vom Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft an der Uni Potsdam
Wie der DAAD jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hilft, religiöse Vielfalt als Reichtum wahrzunehmen.
„Ich habe einen neuen Blick auf die Religion gewonnen“, sagt Paul Schulenburg. „Die Reise in den Irak war eine super Gelegenheit, eine ganz andere Gesellschaft kennenzulernen und doch zu sehen, dass in allen Religionen ähnliche Grundwerte gelten.“ Er studiert im dritten Semester in Berlin Sport und Lebensgestaltung−Ethik−Religionskunde und hat vor, Lehrer zu werden. Er beteiligt sich am Projekt „Religiöse Vielfalt im Irak“ des Instituts für Jüdische Studien und Religionswissenschaft an der Universität Potsdam. Der DAAD fördert den Austausch mit drei Universitäten im kurdischen Erbil. Im vergangenen Frühjahr ist Paul Schulenburg mit elf anderen Studentinnen und Studenten in die Kurdenregion um Erbil in den Irak gereist, in eine mehr als tausend Jahre lang vom Islam geprägte Kultur. Eine Kultur, die sich rasch verändert, denn Globalisierung und Digitalisierung brechen auch dort Traditionen und gewachsene Denkmuster auf: Glaubensüberzeugungen werden in Frage gestellt, Autoritäten hinterfragt. In diesem Jahr besuchen kurdische Studierende ihre Kommilitonen in Potsdam.
Die Beteiligten sollen lernen, die starken Seiten religiöser Vielfalt zu sehen. Das hat in Potsdam Geschichte: Schon im 17. Jahrhundert siedelte Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der „Große Kurfürst“, 20.000 reformierte Protestanten, genannt „Hugenotten“, in Potsdam an, die in ihrer französischen Heimat verfolgt wurden – ein revolutionärer Schritt. Potsdam war bis dahin lutherisch. Doch die Hugenotten integrierten sich und sorgten für einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region.
Paul Schulenburg über seine Erfahrungen im Irak
Mit der Zusammenarbeit der Universitäten in Deutschland und dem Irak, sagt der Projektleiter, der Potsdamer Religionswissenschaftler Professor Johann Ev. Hafner, wolle die Uni Potsdam ein friedliches und positives Zusammenleben verschiedener Überzeugungen unterstützen, aber auch bei Muslimen Verständnis für Menschen wecken, die überhaupt nichts mit Gläubigkeit anfangen könnten.
Deutschland und Irak: Vier Universitäten kooperieren
Zum Programm der Partnerschaft zwischen den Universitäten zählt das Vorhaben „mapping religious Erbil“, bei dem die Unterschiedlichkeit der Religionslandschaft abgebildet werden soll. Zudem wird die komparatistische – also religionsvergleichende – Analyse aus dem Selbstverständnis des anderen heraus und die faire Darstellung anderer Überzeugungen geübt. Hafner sagt dazu: „Während der Kooperation mit den drei Universitäten in Erbil lernen wir bei Mapping-Projekten voneinander, wie man die religiöse Vielfalt in der eigenen Großstadt auffindet, beschreibt und analysiert. Wo sind welche Moscheen oder Kirchen? Welche Angebote machen sie? Welche Menschen treffen sich dort? Gibt es politische und soziale Profile?”
Die Situation könnte verschiedener nicht sein: In Potsdam leben rund 80 Religionsgemeinschaften wie vereinzelte Inseln auf dem Ozean des säkularen Umfelds. Dagegen ist Erbil von einem Netz von etwa 500 Moscheen und zehn Kirchen durchzogen. Bei der Arbeit wurden grundsätzliche Unterschiede in der Zugangsweise deutlich: „Die Erbiler Kollegen betonen die Ähnlichkeit und Einheit der Moscheegemeinden, die Potsdamer Religionswissenschaftler interessieren sich für die Unterschiede”, erklärt Hafner. Der Austausch, fügt er hinzu, fand nicht nur über Fachgespräche statt. „Wir sind auch in die ‚hardware‘ gegangen: wie sich die Universitäten organisieren, wie wir Lehrveranstaltungen evaluieren, wie wir Studiengänge planen und die Übergänge zum Arbeitsmarkt gestalten. Daher waren auch Mitglieder der Verwaltung beteiligt.“
Neue Sicht auf den Islam
Paul Schulenburg berichtet von kontroversen Diskussionen und Erlebnissen, sowohl im Gespräch mit Vertretern der Universitäten als auch innerhalb der deutschen Gruppe, etwa als eine muslimische Teilnehmerin frühmorgens beten wollte und sich andere zunächst gestört fühlten. Er hat auch erfahren, dass Gesprächspartner im Irak umso mehr Freundlichkeit zeigten, je religiöser sie waren. Ihm hat das Projekt eine andere Sicht auf den Islam gebracht, auch wenn er dessen Traditionsverbundenheit sowohl als Stärke als auch als Schwäche empfindet. Beeindruckt hat ihn, wie er sagt, etwa der „familiäre Zusammenhalt und die soziale Unterstützung in der Gesellschaft, wo der Staat darin schwach ist“. Gemeinsam lernten die Studierenden die in der kurdischen Region herrschende Toleranz zwischen Muslimen, Jesiden und Christen kennen und den Kampf der Hochschulen gegen radikale Tendenzen, die sich nach Darstellung der Lehrenden vor Ort vereinzelt unter Studierenden zeigten.
Auch in anderen Projekten fördert der DAAD den Austausch zwischen den Religionen. Hierzu gehört eine trilaterale Kooperation zwischen der Hebräischen Universität Jerusalem, der palästinensischen Al-Quds-Universität und der Freien Universität Berlin beim einjährigen Masterstudiengang „Intellectual Encounters of the Islamicate World".
Jerusalem: „Wir sprechen über genau dieselben Fragen“
In Jerusalem nehmen Vanessa Walker, Jessica Spalek, Valentin Frisch und Marius Retka an den muslimisch-christlichen Werkwochen im Rahmen des Theologischen Studienjahrs Jerusalem an der Dormitio-Abtei südlich der Jerusalemer Altstadt teil. Auch sie kommen mit Menschen verschiedener Religionen in deren Alltag zusammen und nehmen Erfahrungen mit für das Leben in ihrem eigenen Glauben. Auch hier ermöglicht der DAAD durch Förderung und Stipendien Reisen sowie Forschungsprojekte.
Vanessa Walker und Mario Retka über die muslimisch-christlichen Werkwochen
„Ich konnte den Islam kennenlernen“, sagt Jessica, die in Bochum Katholische Theologie und Germanistik studiert. Zum ersten Mal ist sie Muslimen und deren Glaubensüberzeugungen persönlich begegnet, hat gemeinsam mit ihnen Vorlesungen angehört und eine Moschee sowie den Tempelberg besucht. Zu den Lehrenden der Werkwochen gehören die Berliner Arabistin Angelika Neuwirth, die Göttinger Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, der Theologe Ömer Özsoy aus Frankfurt am Main und der in Hamburg lehrende Theologe Serdar Kurnaz. Neben den Vorlesungen steht der Besuch religiöser Stätten auf dem Programm.
Persönlicher Austausch unter gläubigen Menschen
Vanessa studiert in Osnabrück Islamische Theologie sowie Soziologie. Sie ist in Jerusalem gründlicher „auf die Gegensätze innerhalb des Christentums gestoßen“. Zu Hause sei es schwieriger, die anderen Theologien kennenzulernen. Valentin schätzt den wissenschaftlich qualifizierten und zugleich persönlichen Austausch unter gläubigen Menschen: „Ich habe es als bereichernd erlebt, dass hier Theologen zusammensitzen. Und als Gläubige verschiedener Religionen entdecken wir, dass wir über genau dieselben Fragen sprechen. Damit wird nicht nur die wissenschaftliche Ebene, sondern auch die existenzielle Erfahrung unserer Theologie sichtbar.“ Valentin – er studiert in Freiburg Katholische Theologie und Geschichte – sagt, er habe gelernt, gesellschaftliche Debatten fundierter einschätzen zu können. Vanessa, die mit Kopftuch als Muslima erkennbar ist, berichtet, dass sie von Muslimen davor gewarnt worden sei, ins jüdische Viertel der Jerusalemer Altstadt zu gehen. Dort hätten sie manche kritisch begutachtet oder das Gespräch mit ihr verweigert. „Die Gegensätze sind schon extrem hart“, sagt sie. Ist die Gruppe gemeinsam unterwegs, stößt sie eher auf Interesse, denn das ist in Jerusalem ungewöhnlich. „Es ist gut, mit Personen hinter der Religion zusammenzukommen“, sagt Marius, der in Frankfurt am Main und im schwedischen Uppsala Katholische Theologie studiert. „Das öffentliche Bild neigt zu Stereotypen: der Islam, das Christentum. Das wird den Menschen nicht gerecht.“
Professor Ulrich Winkler ist Dekan des Theologischen Studienjahrs Jerusalem
Die Werkwochen finden seit 2012 statt, berichtet Studiendekan Professor Ulrich Winkler. Im Anschluss an ein Konzept von komparativer Theologie werde versucht, eine andere Religion möglichst von innen, unter Berücksichtigung ihres eigenen Selbstverständnisses, wahrzunehmen und ein theologisches Gespräch zu führen. Das Studienjahr, in dessen Rahmen dieses einmonatige gemeinsame unreligiöse Lernen stattfindet, wurde ökumenisch angelegt. Das Projekt und die Diskurse, die es in Gang setzt, geben Impulse für Integration und die Zusammenarbeit über Religionsgrenzen hinweg. Und es genießt große Aufmerksamkeit. Im März machte sich eine Delegation von 20 Repräsentantinnen und Repräsentanten deutscher Universitäten auf den Weg in die Region. Die Werkwochen gehörten zu ihrem Besuchsprogramm.
Wolfgang Thielmann (4. April 2019)