Bachelor in Aleppo, Master in Hildesheim
DAAD/S. Rau/BTU
Der DAAD hat mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) für die Jahre 2016 bis 2019 die deutschen Hochschulen mit 100 Millionen Euro gefördert und damit Sprachkurse, Beratungen und studentische Initiativen im Rahmen der Programme Integra und Welcome unterstützt. Sie sind wichtige Bausteine, um Geflüchteten ein Studium in Deutschland zu ermöglichen und ihnen die Integration zu erleichtern. Warum das so ist, erzählen eine junge Frau und acht junge Männer aus Syrien.
Das Interesse von Geflüchteten für studienvorbereitende Kurse ist seit dem Start der Programme 2016 ungebrochen. 2017 wurden 45.000 Geflüchtete an deutschen Hochschulen beraten – das waren nochmals mehr als im Jahr zuvor. 50 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber für die studienvorbereitenden Kurse mussten sogar abgelehnt werden – entweder wegen nicht ausreichender fachlicher Qualifikation oder wegen fehlender räumlicher und personeller Kapazitäten der Hochschulen. Insgesamt wurden in den ersten beiden Jahren rund 14.000 Frauen und Männer im Rahmen von Integra auf dem Weg zur Aufnahme eines Studiums unterstützt. Aber wie sehr haben die studienvorbereitenden Kurse den Geflüchteten dabei geholfen, in Deutschland zu leben und ein Studium zu beginnen? Was sind die Erfahrungen der Teilnehmenden nach ihren ersten Fachsemestern? Acht Männer und eine Frau erzählen, wie sie profitieren konnten:
- Hasan Alashkar (30, Damaskus) // promoviert in Tübingen
- Jawdat Khzai (27, Damaskus) // studiert in Tübingen
- Moataz Alali (24, Deir ez-Zor) // studiert in Karlsruhe
- Akram Hejjo (28, Aleppo) // studierte in Hildesheim, jetzt auf Stellensuche
- Joudi Alfandi (21, Aleppo) // studiert in Cottbus
- Nasser Awad (26, Damaskus) // studiert in Ulm
- Amer Alabdallah (29, Deir ez-Zor) // studiert in Ulm
- Achmed Sharif (25, Latakia) // studiert in Heidelberg
- Mohammad Mohei Aldeen (26, Aleppo) // studiert in Koblenz
„Ein perfekter Start in ein neues Leben“
Der 30-jährige Hasan Alashkar hat es endlich geschafft: Er hat einen Doktorvater an der Universität Tübingen gefunden. Der Literaturwissenschaftler Professor Russel West-Pavlov wird seine Promotion mit dem Thema „Die sozialen und psychologischen Auswirkungen von Krieg auf Biografien“ betreuen. Alashkar gehört zu jenen Integra-Teilnehmern, die bereits einen ersten Studienabschluss aus ihrem Heimatland vorweisen konnten. In seinem Fall sind es sogar zwei: Der ehemalige Dozent an der Universität Damaskus stand nach seinem Bachelor- und Masterabschluss in englischer Literaturwissenschaft vor einer aussichtsreichen akademischen Karriere, als er den Einberufungsbefehl in die syrische Armee erhielt. „Doch ich will lehren und nicht töten“, sagt Alashkar. Deswegen ging er nicht zum Militär, sondern flüchtete im Spätsommer 2015 nach Deutschland. Nach einer Odyssee über Passau, Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg und Esslingen kam er im kleinen Ort Hochdorf im Landkreis Biberach an. Kurz darauf lernte er Dr. Christine Rubas kennen, die die Stabsstelle Flüchtlingskoordination an der Universität Tübingen leitet. „Zu diesem Zeitpunkt sprach ich schon gut Deutsch und hatte gerade das B1-Level absolviert, aber Dr. Rubas machte es möglich, dass ich am Integra-Programm teilnehmen durfte“, erzählt Alashkar. „Das Programm war für mich ein perfekter Start in ein neues Leben. Ich lernte nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die deutsche Kultur und ihre vielen Aspekte besser zu verstehen. Endlich konnte ich mich mit den Menschen unterhalten und am Leben in Deutschland teilnehmen.“ Ein weiterer Lerneffekt: „Ich wurde gut auf das akademische Sprachniveau vorbereitet. Das war für mich eine zusätzliche Motivation.“ Nach seiner Promotion möchte Alashkar gern an einer deutschen Universität lehren, weil „ich dem Land sehr dankbar für das bin, was es mir nach meiner Flucht ermöglicht hat“.
Deutsch lernen – für den Alltag und für die Wissenschaft
Kann in Deutschland seinen Traum verwirklichen: Moataz Alali studiert Bauingenieurwesen
Einen Kindheitstraum möchte Moataz Alali (24 Jahre) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) verwirklichen: Er will Bauingenieur werden. Bereits als kleiner Junge besuchte er mit seinem Vater, einem Bauingenieur, diverse Baustellen in seiner syrischen Heimatstadt Deir ez-Zor. Nach dem Abitur studierte er Bauingenieurwesen an der dortigen Aljazeera-Universität und gehörte zu den Jahrgangsbesten. Nach drei Jahren brach er sein Studium ab − seine Heimat lag in Schutt und Asche und war vom IS besetzt. Er flüchtete und kam im November 2015 in Deutschland an. Im Sommersemester 2018 besuchte er dann einen DSH-Kurs am KIT. „Das war sehr wichtig für mich“, erzählt Alali. „Ich lernte die schwierige deutsche Sprache und traf viele nette Studenten, die mir dabei halfen.“ Vier Monate pendelte er täglich von Heidelberg nach Karlsruhe, um Deutsch für den Alltag und für die Wissenschaft zu lernen und zusätzlich Mathe zu pauken, weil „ich fast drei Jahre lang keinen Matheunterricht hatte, was aber wichtig für mein Studium ist“. Seit dem Wintersemester 2018/2019 studiert er wieder – im 3. Fachsemester; mehrere Kurse wurden ihm anerkannt. Nach dem Abschluss möchte er als Dozent arbeiten und zunächst in Deutschland bleiben, über Skype und WhatsApp ist er nach wie vor in Kontakt zu seiner Verwandtschaft in Syrien: „Ich bin da Realist, eine Rückkehr in meine Heimat ist momentan fast ausgeschlossen.“
Neue Freunde und eine neue Heimat
Der 28-jährige Akram Hejjo hat bereits sein Bauingenieurstudium an der HAWK in Hildesheim abgeschlossen und ist nun auf Jobsuche. Er will im Bereich Straßenplanung entweder als Bauleiter oder als Statiker arbeiten und in der Region von Hildesheim bleiben, weil er dort viele neue Freunde gefunden hat – während des Studiums und während des Integra-Programms, das er von September 2016 bis April 2017 besucht hat. „Es war für mich der perfekte Kurs, um mich aufs Studium vorzubereiten. Das Sprachprogramm war intensiv, ich habe in der Zeit viel gelesen und mich mithilfe von YouTube weitergebildet. Außerdem habe ich sehr viel über das Studium in Deutschland gelernt, das ganz anders ist als in Syrien.“ Hejjo hatte bereits an der Universität von Aleppo ein Bachelorstudium in Bauingenieurwesen absolviert, weil er sich für Mathematik und Physik interessiert, sprach aber kein Wort Deutsch, als er im August 2015 nach Deutschland kam. „In Deutschland studiert man selbstständiger und man kann seinem Professor Fragen stellen. In Syrien unterstützen einen die Dozenten nicht.“ Ein enormer Effekt des Integra-Programms sei, Menschen zu treffen, mit denen man über alles sprechen und diskutieren könne. So wurde Hildesheim für Akram zur zweiten Heimat. „Denn man ist dort zu Hause, wo man seine Freunde hat.“ Doch dem Ingenieur fehlt seine Familie in Syrien, er hat sie seit 2015 nicht mehr gesehen.
Erst studieren, dann wiederaufbauen
Neuorientierung in Deutschland: Nach einem Bachelor in Chemical Engineering will Amer Alabdallah nun Biochemie studieren
Mit der Mundart seiner neuen Heimat hat Amer Alabdallah kaum Probleme. Der 29-Jährige schwäbelt leicht, wenn er über die Vorbereitungskurse der Universität Ulm erzählt, die er besucht und dabei einen DSH-Kurs C1 absolviert hat. „Es war sehr wichtig, Deutsch als Fachsprache für das Studium zu erlernen. Ebenso wertvoll waren die freien Angebote wie Chemie, Biologie oder Mathematik“, erzählt Alabdallah, der 2013 an der Al-Furat-Universität in Deir ez-Zor seinen Bachelor in Chemical Engineering gemacht hat. Eigentlich wollte er im Wintersemester 2018 in diesem Fach ein Masterstudium an der Universität Ulm anschließen. Das war aus verschiedenen Gründen aber nicht möglich. Inzwischen hat sich Alabdallah, nachdem er bei einem bekannten Werkzeughersteller den Bereich Kunststofftechnik näher kennengelernt hat, anders orientiert: Er will ab dem Wintersemester 2019 Biochemie studieren. „Damit sind meine Chancen größer, später bei den pharmazeutischen Firmen in der Region einen Job zu finden.“ Momentan ist er deswegen Gasthörer an der Uni Ulm und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Molekular-Chemie. Ebenso engagiert er sich im Verein Menschlichkeit-ulm und leitet das Lern-Café, in dem unter anderem Berufsschülerinnen und -schülern mit Migrationshintergrund Nachhilfeunterricht gegeben wird. Das machen deutsche Tutorinnen und Tutoren, deren Stellen mithilfe des Förderprogramms Welcome geschaffen wurden. „Deutschland ist meine zweite Heimat geworden. Es gefällt mir hier, weil einem geholfen wird und man selbst helfen kann."
Die Eltern stolz gemacht
Auch Achmed Sharif (25) will später einmal Menschen helfen, „besonders denen in Deutschland, weil sie mir ein neues Leben gegeben haben“. Er will Arzt werden und studiert mittlerweile im zweiten Semester Medizin an der Universität Heidelberg. Zuvor hat er im Rahmen von Integra im Sommer 2018 ein propädeutisches Vorsemester besucht. „Das war sehr wichtig für mich, weil ich vor meiner Flucht kein Wort Deutsch konnte. Außerdem habe ich noch die für das Medizinstudium wichtigen Fächer Biologie, Chemie und Physik belegt. Sehr wertvoll war auch, dass man uns zeigte, wie man seine Arbeiten richtig präsentiert.“ Die Aufnahme in das Integra-Programm hat er quasi auf den letzten Drücker geschafft: Er reichte seine Bewerbung am letzten Fristtag ein. „Frau Herting, die die studierenden Flüchtlinge an der Universität Heidelberg betreut, hat mir sehr dabei geholfen, das Formular auszufüllen. Und dann hatte ich eben viel Glück“, erzählt Sharif, der in Latakia, einem der Schauplätze des syrischen Bürgerkriegs nahe der türkischen Grenze, aufgewachsen ist und dort sein Abitur gemacht hat. Nach einer abenteuerlichen Flucht mit dem Schlauchboot, einem Schiff und mit dem Bus kam er im September 2015 in Deutschland an. „Zunächst wohnte ich hier bei einer deutschen Familie in Niedernhall. Sie hat mich sehr nett aufgenommen und mir geholfen, Deutsch zu lernen.“ Inzwischen lebt er in Heidelberg und hat dort neue Freunde gewonnen – auch dank des Integra-Programms. „Ich habe mein Herz an Heidelberg verloren. Es ist die perfekte Stadt für mich und fast wie eine Heimat.“ In seiner syrischen Heimat leben noch seine Eltern, die während der seltenen Telefonate immer wieder sagen, wie stolz sie auf ihren Sohn sind, der nun in Deutschland Medizin studieren kann.
Den Weg in die deutsche Gesellschaft geöffnet
Neue Hoffnung mit dem Integra-Programm: Mohammad Mohei Aldeen, Student der Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule in Koblenz
Wie wichtig, die Teilnahme am Integra-Progamm für den weiteren Verlauf des Studiums ist, bringt Mohammad Mohei Aldeen (21) nochmals auf den Punkt. Er studiert inzwischen im 3. Semester Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Koblenz: „Als ich im Wintersemester 2017/2018 am Integra-Programm der Hochschule Koblenz teilgenommen habe, war mein Ziel, so schnell wie möglich die Sprache zu beherrschen und mit einem Studium zu beginnen. Das Sprachlernsystem war viel besser als in einer Sprachschule, weil ich dabei unterstützt wurde, wissenschaftliche Aufgaben mit vielen Fachwörtern zu lösen. Das hat mir in den Vorgängerkursen gefehlt.“ In dieser Zeit habe er noch weitere Tutorien besucht. „Vorträge zur Finanzierung des Studiums oder zur Versicherung durch die Krankenkasse haben mir den Weg ins Studium einfacher gemacht.“ Zusätzlich besuchte er als Gasthörer Vorlesungen, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern und ins Studium hineinzuschnuppern. „Dadurch hatte ich die Möglichkeit, Kontakte mit deutschen Studenten zu knüpfen. Ich habe dabei so viel gelernt, dass ich jetzt in meinem Studium mit der Sprache klarkomme. Mein Niveau hat sich merkbar verbessert.“ Nach seiner Flucht aus Aleppo vor drei Jahren hat Aldeen zwölf Monate auf seine Aufenthaltserlaubnis warten müssen. „In dieser Zeit konnte ich weder arbeiten noch einen Sprachkurs besuchen. Ich habe nur Fußball gespielt oder Deutsch mithilfe von YouTube gelernt. Erst das Integra-Programm hat mir neue Hoffnung gegeben. Dafür bin ich sehr dankbar, denn es hat mir den Weg in die deutsche Gesellschaft geöffnet. Da möchte ich hin.“
Michael Siedenhans (21. Mai 2019)
Die Programme
Integra:
Mit dem Programm „Integra“ erhalten studierfähige Geflüchtete an deutschen Universitäten, Hochschulen und Studienkollegs die Möglichkeit, sich auf ein Studium vorzubereiten. Damit sollen sie möglichst schnell im Hochschulsektor Fuß fassen. Der Schwerpunkt der Maßnahmen liegt auf der Förderung der fachlichen und sprachlichen Vorbereitung an Studienkollegs und Hochschulen. Nur wer die deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang oder den Test Deutsch als Fremdsprache besteht, kann ein reguläres Studium in Deutschland beginnen.
Welcome:
Der DAAD hat das aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Programm „Welcome – Studierende engagieren sich für Flüchtlinge“ ausgeschrieben. Damit soll der Einsatz von studentischen Hilfskräften gefördert werden, die sich entweder in selbstorganisierten Initiativen von Studierendengruppen oder im Rahmen der von der Hochschule organisierten Betreuung und Integration von studierfähigen Flüchtlingen engagieren (etwa durch Tutorien, die Erstellung von Infomaterialien, Mentoring, Übersetzungen, Beratung oder Sprachkurse).
Wie viele Flüchtlinge wurden bereits durch Integra gefördert?
2016: 6.800 Frauen und Männer
2017: 10.400 Frauen und Männer
2018: 10.000 Frauen und Männer (geschätzt)
Woher kommen die Geförderten?
Syrien: 78 Prozent
Afghanistan: 6 Prozent
Iran: 5 Prozent
Irak: 3 Prozent
Wie hoch ist der Anteil an Frauen beziehungsweise an Männern?
80 Prozent sind Männer, 20 Prozent Frauen. Das Durchschnittsalter beträgt 28 Jahre.
Seit wann leben die Geförderten in Deutschland?
70 Prozent leben seit 2015 in Deutschland. Mehr als die Hälfte hat bereits eine Aufenthaltserlaubnis (56 Prozent).
Haben die Geförderten schon Studienerfahrungen in ihrer Heimat gemacht?
73 Prozent: mit Studienerfahrung
43 Prozent: mit Studienabschluss
Welche Studienfächer haben die Geförderten in ihrer Heimat studiert?
33 Prozent: Ingenieurwissenschaften
24 Prozent: Wirtschafts- und Rechtswissenschaften
14 Prozent: Medizin und Gesundheitswissenschaften