Wissenschaft kennt keine Grenzen

DAAD/Jörg Sänger

Professor Riza Öztürk von der FH Bielefeld, die ein Doppelabschlussprogramm mit der TDU anbieten wird, und TDU-Studentin Bilge Coşkun

Der DAAD unterstützt die Internationalisierung der Hochschulen und fördert dadurch den wissenschaftlichen und interkulturellen Austausch Studierender und Lehrender. Mit mehreren Projekten der Transnationalen Bildung wird der Austausch noch intensiviert. Ein erfolgreiches Beispiel dafür ist die Türkisch-Deutsche Universität (TDU) in Istanbul. Zusammen mit den deutschen Partnerhochschulen werden seit dem Wintersemester 2018/2019 an der TDU integrierte Doppelabschlussprogramme aufgebaut. Der DAAD hat gemeinsam mit dem türkischen Hochschulrat YÖK ein Stipendienprogramm etabliert, um den besten Studierenden einen Deutschlandaufenthalt zu ermöglichen.
Die Ersten sind auf diesem Wege seit einem halben Jahr an den beiden Hochschulen, die an diesem Programm aktuell partizipieren: an der FH Bielefeld und der TU Berlin. 

Bilge Coşkun pendelt zwischen den Welten. Die 22-jährige Türkin studiert BWL an der Türk-Alman Üniversitesi, der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul. Dass sie dort studieren wollte, war für die junge Frau, deren Mutter in Berlin aufgewachsen ist, schon immer klar: „Ich wollte nach der Ausbildung in Deutschland leben und arbeiten. Und die TDU ist eine sehr gute Uni mit den besten Möglichkeiten, im Ausland zu studieren – ganz ohne Studiengebühren.“ Im Herbst 2018 kam Bilge Coşkun mit neun anderen Studierenden der TDU für zwei Semester an die FH Bielefeld. Auch wenn der Erwerb des Doppelabschlusses erst ab dem Wintersemester 2020/2021 möglich ist, wird dieser Aufenthalt schon jetzt im Rahmen einer zweijährigen Übergangsphase mit einem vom DAAD und dem türkischen Hochschulrat YÖK aufgelegten Stipendienprogramm für Doppelabschlussprogramme gefördert. Für die FH Bielefeld und die TU Berlin sind die Erfahrungen mit den ersten Stipendiatinnen und Stipendiaten auch ein wichtiger Testlauf für die zukünftigen integrierten Doppelabschlussprogramme. Die Stipendien, die jedes Jahr an zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Studiengang vergeben werden sollen, werden jeweils zur Hälfte vom DAAD und dem YÖK finanziert. Von der 20-Millionen-Metropole Istanbul ging es für Coşkun also in die ostwestfälische Stadt mit 340.000 Einwohnern: „In Bielefeld war es für mich anfangs nicht leicht, mich einzuleben“, erzählt die Studentin. „Aber jetzt liebe ich die Stadt, vor allem die Menschen. Kein Stress, kein Stau – hier ist das Leben einfach.“

Leuchtturmprojekt: Türkisch-Deutsche Hochschule

Die TDU ist in der türkischen Hochschullandschaft eine Besonderheit. An der Grenze zwischen Europa und Asien ist sie ein Ort der interkulturellen Begegnung, der Lernende und Lehrende vor allem aus Deutschland und der Türkei zusammenbringt. Gegründet wurde sie anlässlich eines deutsch-türkischen Regierungsabkommens aus dem Jahr 2008, ihren Lehrbetrieb nahm sie im September 2013 auf. Als staatliche Einrichtung unterliegt sie der türkischen Hochschulgesetzgebung. Die türkische Seite trägt die Kosten für die Infrastruktur und den laufenden Betrieb, während die deutsche Seite – unterstützt durch das BMBF, den DAAD und die deutschen Partnerhochschulen – wesentliche Beiträge zum akademischen Betrieb sowie zur Lehre und Vermittlung der deutschen Sprache leistet. Die TDU befindet sich noch im Aufbau: Der Grundlehrbetrieb in den fünf Fakultäten läuft, auch wenn noch nicht alle Studiengänge implementiert sind. Derzeit studieren dort knapp 2.000 Studierende – mittelfristig sollen es 5.000 sein. Alle Lehrveranstaltungen der Bachelorstudiengänge finden größtenteils auf Deutsch statt, die der Masterstudiengänge teilweise auch auf Englisch. Bevor sie das fachliche Studium beginnen, absolvieren die Studierenden zunächst einen einjährigen Deutsch-Vorbereitungskurs.

Wissenschaft kennt keine Grenzen

TDU

Erfolgreiches Beispiel für Transnationale Bildung: die Türkisch-Deutsche Universität (TDU) in Istanbul
 

Förderung von Doppelabschlussprogrammen
Die FH Bielefeld gehört mit 37 anderen Mitgliedshochschulen und dem DAAD einem Konsortium unter der Leitung von Professorin Rita Süssmuth an, das an der TDU für die Verpflichtungen der deutschen Seite verantwortlich ist. Als deutsche Partnerhochschule hat die FH Bielefeld für den Studiengang der Betriebswirtschaftslehre an der TDU die Koordination übernommen. „An unserer Hochschule bauen wir die Internationalisierung grundsätzlich weiter aus, um unsere Studierenden noch besser auf den internationalen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Dadurch steigern wir natürlich auch die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Fachbereichs und der Hochschule“, berichtet Riza Öztürk, Professor for Mathematics and Statistics in Economics an der FH Bielefeld. Die Mitarbeit an einem so bedeutenden Projekt wie der TDU hat für die Hochschule einen hohen Stellenwert, da es als wichtiges Prestigeprojekt gesehen wird. TDU und DAAD setzen künftig verstärkt auf Doppelabschlüsse. „Wir unterstützen Doppelabschlussprogramme, die an der TDU in Kooperation mit den deutschen Partneruniversitäten angeboten werden“, sagt Dr. Wiebke Bachmann, Leiterin der Geschäftsstelle des Konsortiums beim DAAD. „Damit bringen wir Studierende im In- und Ausland zusammen und stärken die Beziehungen zwischen den beiden Ländern.“ 

Erster Vertrag unter Dach und Fach
Die FH Bielefeld und die TU Berlin machen nun mit BWL und Ingenieurwissenschaften den Anfang. Ein integrierter Doppelabschluss, bei dem zwei Partnerhochschulen jeweils einen Abschluss verleihen, setzt voraus, dass beide Seiten die Studiengänge anerkennen und ähnlich aufbauen. Mit Deutschland und der Türkei treffen zwei Länder mit unterschiedlichen Hochschulsystemen aufeinander. Dies machte für den Lehrbetrieb an der TDU einige Abstimmungen erforderlich. „Wir haben das Curriculum in der Türkei etwas überarbeitet und zum Beispiel eine Schwerpunktbildung eingeführt, die es dort vorher noch nicht gab“, erklärt Professor Öztürk. Während die Hochschulen in Deutschland relativ autonom agieren, erfolgt die Abstimmung bei der Implementierung des Doppelabschlussprogramms in der Türkei immer mit zwei Partnern: der TDU und dem türkischen Hochschulrat YÖK. Dennoch hat es nur ein knappes Jahr gedauert, bis alles unter Dach und Fach war. Der Vertrag zum Doppelabschlussprogramm zwischen der TDU und der FH Bielefeld wurde Ende Februar 2019 vom Rektor der TDU, Professor Halil Akkanat, und der Präsidentin der FH Bielefeld, Professorin Ingeborg Schramm-Wölk, unterschrieben.
 

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Jörg Sänger

Ihm liegt der wissenschaftliche Austausch am Herzen: Professor Riza Öztürk von der FH Bielefeld

Brücken bauen 
Professor Öztürk, der an der FH Bielefeld als Leiter des Studiengangs „International Studies in Management“ bereits einige Doppelabschlussprogramme mit europäischen Hochschulen aufgesetzt hat, liegt der wissenschaftliche Austausch mit der Türkei am Herzen: „Unabhängig von allen politischen Entwicklungen, die immer einem Wandel unterliegen, ist mir die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den Kollegen sehr wichtig, weil wir dadurch eine Brücke zwischen den verschiedenen Kulturen bilden.“ Schon jetzt gewährleistet unter anderem das sogenannte Flying-Faculty-Modell des DAAD, dass an der TDU 30 Prozent der Lehre durch deutsche Kollegen erfolgt. Dafür reisen Dozentinnen und Dozenten der Konsortialhochschulen regelmäßig in die Türkei, um an der TDU zu unterrichten. Umgekehrt kommen die türkischen Dozentinnen und Dozenten beispielsweise im Rahmen von Fortbildungs- und Forschungsaufenthalten an die deutschen Partnerhochschulen. Riza Öztürk: „Wir treffen uns, um gemeinsam Wissenschaft zu betreiben, aber ein ganz wichtiges Nebenprodukt ist der interkulturelle Austausch – das Kennenlernen und Verstehen der anderen Kultur. Dabei entstehen auch Freundschaften, und das ist genau das, was wir wollen.“ 

Eine signifikant andere Kultur kennenlernen
Aber nicht nur für die Lehrenden, auch für Studierende beider Länder sei der Doppelabschluss äußerst gewinnbringend, meint der Wirtschaftswissenschaftler. „Die Studierenden haben hier die Chance, eine signifikant andere Kultur kennenzulernen und damit umzugehen – darin sehe ich einen großen Vorteil.“ In der Türkei auf Deutsch zu studieren – diese Besonderheit sei nicht zuletzt auch für Studierende mit türkischem Migrationshintergrund aus Deutschland interessant, weil deren Türkisch oft nicht gut genug für das Studium an einer dortigen Hochschule sei. „Manche können so in der Türkei eine Kultur wiederentdecken oder neu erfahren, denn auch wenn sie Verwandte dort haben, ist es schon etwas ganz anderes, in der Türkei zu leben.“

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Jörg Sänger

Vorteil Auslandsstudium: Die 22-jährige Türkin Bilge Coşkun profitiert vom Stipendienprogramm, das der DAAD zusammen mit YÖK initiiert hat

Türkische Studierende besser abholen
Der Testlauf mit den türkischen Studierenden, die aktuell mit dem Stipendienprogramm in Bielefeld und Berlin sind, brachte bereits wertvolle Erkenntnisse für den Programmstart im Wintersemester. Bilge Coşkun: „In Bielefeld studieren hauptsächlich Deutsche, und die Professoren behandeln uns alle gleich. Das finde ich sehr gut. Aber sprachlich ist das schon eine Herausforderung.“ Professor Öztürk meint: „Hier müssen wir für die türkischen Studierenden noch mehr Angebote schaffen, um an der deutschen Sprache zu arbeiten.“ Auch möchte er die künftigen Teilnehmer des Doppelabschlussprogramms besser auf den Aufenthalt in Deutschland vorbereiten. Ein Tagesseminar könnte die Kultur, Politik und Geschichte des Landes komprimiert näherbringen. „Viele wissen zwar schon einiges über Deutschland, aber manche waren eben noch nie hier.“

Gute Karrierechancen
Bilge Coşkun hingegen kannte Deutschland schon sehr gut, bevor sie nach Bielefeld kam. Als Kind hatte sie die Ferien meist bei Verwandten in Berlin verbracht. Und mit Erasmus studierte sie bereits ein Semester BWL in Münster. Auch ohne Doppelabschluss profitiere sie von ihrem Stipendium in Bielefeld jetzt schon enorm, meint die 22-Jährige: „Mein Deutsch ist viel besser geworden. Ich bin selbstbewusster als früher und weiß, dass ich ganz alleine etwas schaffen kann – auch in einem anderen Land. Eineinhalb Jahre Auslandsstudium macht nun mal nicht jeder. Das ist auf jeden Fall gut für meine Karrierechancen.“ In Deutschland zu leben und zu arbeiten – davon träumt die junge Frau nicht mehr. „Obwohl ich Deutschland immer noch schön finde, will ich die Türkei nicht ganz verlassen und für meine Heimat etwas Gutes tun.“

Britta Hecker (26. April 2019)