„Erasmus+ hat positive Effekte“
privat
Dr. Julia Zimmermann untersuchte die Wirkung von Erasmus+ auf die Persönlichkeitsentwicklung Studierender
In der Pariser Deklaration formulierten die Bildungsminister der Europäischen Union (EU) 2015 ein klares Bekenntnis zu den grundlegenden Werten der EU. Erasmus+ leistet hier einen wesentlichen Beitrag. Dies belegte Dr. Julia Zimmermann, Bildungspsychologin an der FernUniversität in Hagen, mit einer Studie.
Frau Dr. Zimmermann, Sie haben in Kooperation mit dem DAAD eine Studie zur Wirkung des Erasmus+ Programms durchgeführt. Was war der Anlass?
In der Pariser Deklaration vom März 2015 betonen die europäischen Bildungsminister die Bedeutung gemeinsamer europäischer Werte in der Bildung, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Dafür formulierten sie notwendige Bildungsziele wie die Förderung interkultureller Kompetenzen und des interkulturellen Dialogs sowie die Prävention von Diskriminierung. Mit Hilfe der Studie wollten wir in Kooperation mit dem DAAD analysieren, wie Erasmus+ zur Förderung dieser Ziele beiträgt.
Sie haben untersucht, welche Effekte Auslandsaufenthalte durch Erasmus+ auf die Persönlichkeitsentwicklung Studierender haben. Was waren die zentralen Ergebnisse?
Wir haben uns in der Studie mit spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen beschäftigt, die im interkulturellen Kontext wichtig sind und ein bestimmtes Bildungsziel reflektieren. Wie erwähnt, war die Förderung von interkultureller Kompetenz eines dieser Bildungsziele – ein weit gefasster Begriff. Daher haben wir ihn auf multikulturelle Selbstwirksamkeit, also die Einschätzung der Teilnehmenden hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, interkulturelle Begegnungen erfolgreich zu bewältigen, heruntergebrochen. Zudem haben wir unter anderem die interkulturelle Empathie sowie das Merkmal Fremdenangst untersucht. Hervorzuheben ist, dass es hierbei die interessantesten Ergebnisse gab: Wir konnten durch unsere Untersuchungen belegen, dass die Auslandserfahrung einen wesentlichen Effekt auf die Entwicklung dieser drei Merkmale hat. So haben auslandsmobile Studierende in nur einem Semester eine stärkere Zunahme an multikultureller Selbstwirksamkeit und interkultureller Empathie erlebt als Studierende, die in diesem Zeitraum keinen Auslandsaufenthalt absolvierten. Zudem wurde eine stärkere Abnahme ihrer Fremdenangst deutlich. Auch haben wir die Themen Diversitätsüberzeugung und Rassismus untersucht, allerdings waren hier keine signifikanten Effekte der Auslandserfahrung messbar.
Wie unterscheiden sich die Erfahrungen der Studierenden vor und nach einem Auslandsaufenthalt?
Sie trauen sich nach einem Auslandsaufenthalt eher zu, interkulturelle Begegnungen erfolgreich zu bewältigen. Sie können sich in Angehörige anderer kultureller Gruppen besser hineinversetzen und fühlen sich in einem multikulturellen Umfeld wohler und unbefangener. Die Effekte sind übrigens durchaus mit denen von spezifischen interkulturellen Trainings vergleichbar – was ich angesichts der eher zufälligen und offenen Lerngelegenheiten im Umfeld einer Erasmus+ Teilnahme sehr erstaunlich finde und positiv bewerte.
Studierende, die einen Erasmus+ Aufenthalt absolviert haben, verfügen demnach über interkulturelle Kompetenz, sind toleranter und auch weltoffener. Aber was bedeuten diese Begriffe eigentlich konkret?
Genau das festzustellen, war eine zentrale Herausforderung der Studie. Das alles sind Begriffe, die einerseits alltagssprachlich, andererseits fachsprachlich und in unterschiedlichen Disziplinen genutzt werden. So gibt es allein in der Psychologie Hunderte Definitionen für interkulturelle Kompetenz. Wir haben uns daher auf eine konkrete Eigenschaft, die multikulturelle Selbstwirksamkeit, die auch per Fragebogen gut erfasst werden kann, konzentriert − sprich die persönlichen Einschätzungen der Teilnehmer der Studie sowie die eigenen Kompetenzerwartungen untersucht und Fragen gestellt wie: „Wie erfolgreich kann ich interkulturelle Interaktionen bewältigen? Inwieweit traue ich mir das überhaupt selber zu?“ Bei interkultureller Empathie spielten dagegen beispielsweise diese Fragestellungen eine Rolle: „Wie kann ich mich in Menschen, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben, hineinversetzen? Wie stark identifiziere ich mich mit deren Perspektiven oder deren emotionaler Situation?“
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse für den Hochschulstandort Deutschland?
Sie liefern ein weiteres Argument dafür, die Auslandsmobilität von Studierenden in jedem Fall zu fördern. Denn mit der Studie können wir belegen, dass sich ein Auslandsaufenthalt mit Erasmus+ auf die persönliche Entwicklung der Studierenden auswirkt. Durch die positiven Effekte auf multikulturelle Selbstwirksamkeit, interkulturelle Empathie und Fremdenangst kann man zudem davon ausgehen, dass Erasmus+ Studierende interkulturelle Situationen, beispielsweise im späteren Arbeitsleben, gut bewältigen werden.
Menschen, die ein Erasmus-Programm durchlaufen haben, sind also wichtig für die Zukunft von Europa?
Europa ist darauf ausgelegt, ein kooperatives und eng verflochtenes Miteinander innerhalb des europäischen Raums zu leben – sowohl in politischen als auch in bildungspolitischen Dimensionen. In Anbetracht der kulturellen Vielfalt, die der europäische Raum mit sich bringt, versteht es sich fast von selbst, dass die Menschen dazu aufgefordert sind, sich vor diesem interkulturellen Hintergrund gut und zufrieden bewegen zu können. Die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass Erasmus+ dazu beiträgt, Eigenschaften, die in einem multikulturellen Umfeld wichtig sind, zu fördern.
Dann müsste ja eigentlich jeder Europäer ein Erasmus+ Programm absolvieren.
Also, wenn ich die Europäische Kommission wäre, würde ich sagen: „Ja, natürlich!“ Aber wir betrachten Erasmus+ eher als eine Lerngelegenheit, bei der es auch darum geht, multikulturelle Fähigkeiten und Eigenschaften zu erwerben. Sie funktioniert gut, wie wir festgestellt haben. Es gibt aber sicher auch ganz viele andere Gelegenheiten, denn interkulturelle Kontakte haben Menschen ja nicht nur, wenn sie einen Erasmus+ Aufenthalt absolviert haben oder ins Ausland gegangen sind. Theoretisch kann man diese beispielsweise auch haben, wenn Sie ausländische Studierende an der Heimathochschule betreuen oder in einer Nachbarschaft leben, die interkulturell sehr geprägt ist.
Erasmus+ steht für Austausch. Was können Hochschulen tun, um ihre Studierenden noch mehr zu motivieren, ins Ausland zu gehen?
Eine breitere Kommunikation der positiven Effekte von Auslandsaufenthalten durch die Hochschulen wäre eine Möglichkeit. Aus meiner subjektiven Erfahrung habe ich das Gefühl, dass bei Erasmus+ der Fokus immer noch sehr stark auf das Erlernen einer Sprache gelegt wird. Zu kurz kommt die Erkenntnis, dass es auch eine persönlich bereichernde Erfahrung ist, da die Studierenden neben dem Fremdsprachenlernen auch weitere Entwicklungen durchlaufen. Ich erinnere mich da ein Zitat aus meiner Studienzeit. Als ich die Studienberatung aufsuchte und sagte, dass ich gerne ins Ausland gehen würde, hieß es: „Was wollen Sie denn da? Sie sind doch Psychologin.“ Das ist ein schönes Beispiel für die Einstellung: „Sie müssen ja keine Fremdsprachen lernen, also brauchen Sie auch nicht ins Ausland zu gehen.“
Ab 2021 gibt es ein neues Erasmus-Programm. Fließen dort Ansätze aus der Studie ein?
Ich denke, dass der DAAD bereits dabei ist, die Ergebnisse der Studie in den entsprechenden strategischen Gremien zu platzieren. Es geht ja in erster Linie darum, die Effektivität des Programms zu zeigen und einen entsprechenden Wirkungsnachweis zu erbringen. Die Aufmerksamkeit dafür, wie die Hochschulen noch mehr unterstützen können, ist schon da.
Interview: Barbara Westfeld (23. Mai 2019)