In 80 Minuten um die Welt
DAAD/Martin Börner
Eine sechsköpfige Crew begleitete die Abendveranstaltung der Lokalen Erasmus+ Initiative Rostock
Von Kanada in die USA, von Indien über Syrien und Ghana bis nach Wales: Die Lokale Erasmus+ Initiative (LEI) Rostock hatte am Internationalen Tag der Universität Rostock zu einer Weltreise in 80 Minuten eingeladen. Hochschullehrer und Studierende erzählten von persönlichen Erlebnissen, die sie im Rahmen eines Erasmus-Austauschs gemacht hatten. Ziel war es, Studierende zum Auslandsstudium zu motivieren.
„Es ist die vierte Veranstaltung dieser Art, die ich über die Lokale Erasmus+ Initiative Rostock mitorganisiere“, sagt der Wirtschaftspädagogikstudent Frank Fehringer. Verkleidet als einer der Flugkapitäne, begleitet er gemeinsam mit einer sechsköpfigen Crew die Abendveranstaltung. Der Hörsaal füllt sich, einige Studierende haben ein Bier in der Hand. Es wird viel gelacht. Die Stimmen der verschiedenen Sprachen verstummen, als das Streichensemble des Freien StudentenOrchesters Rostock die ersten Takte spielt.
Viele Studierende verfolgen begeistert die Vorträge auf der „Weltreise“
Nordamerika: hohe Mieten und lockere Nobelpreisträger
Es folgt der Flugstart Richtung Winnipeg/Kanada. Dort hat Professor Dr. med. Christian Junghanß sein Praktikum im Medizinstudium absolviert. Heute ist der Onkologe Erasmus-Koordinator der Rostocker Universität, das heißt er agiert international, pflegt Beziehungen zu Hochschulen im Ausland und ist Anlaufstation für Studierende, die an Austauschprogrammen teilnehmen. „Ich erinnere mich noch gut an die Einreiseschwierigkeiten, die mir der letzte Buchstabe in meinem Nachnamen, das ‚ß‘, bereitet hat“, erzählt er. Bei der Einreise fragte die Zollbeamtin empört: „Sie sagen mir, dass ein Buchstabe zwei ,s‘ sein sollen?!“ Die Erklärung des alten deutschen Buchstabens hätte fast zur Einreiseverweigerung geführt.
Prof. Dr. med. Christian Junghanß präsentiert seine Kanada- und USA-Erfahrungen
Während seines viermonatigen Studiums in New York kam er mit zwei weiteren Studenten in einem zehn Quadratmeter großen Apartment unter. „Selbst 25 Jahre später habe ich nie eine vergleichbar teure Miete pro Quadratmeter gezahlt“, sagt er. Und als PostDoc am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle habe ihn die Nähe zu Nobelpreisträgern beeindruckt: Sie servierten ihren Studenten ganz selbstverständlich und leger auf Veranstaltungen Hamburger.
Asien: indische Autofahrer …
Nach den Sicherheitshinweisen der Crew geht‘s Richtung Indien. „Egal wohin du gehst, du wirst überall einen Inder treffen“, erzählt Haritha Borra über ihre Heimat. Sie stellt in kleinen Videos die Farbenpracht, religiöse Vielfalt und jahrtausendalte Geschichte ihres Landes vor. „Frag einen Inder, was er studiert, er wird Ingenieurwissenschaften antworten“, sagt die Electrical-Engineering-Studentin und Cricketspielerin. Sie hat den indischen Nationalsport auch in Rostock bekannter gemacht. Und warum sind indische Autofahrer die besten der Welt? „Nirgendwo anders auf der Welt schafft es ein Autofahrer, täglich unfallfrei durch ein Chaos von Autos, Rikschas, Fußgängern, Rindern, Elefanten und anderen Wildtieren zu fahren.“
Haritha Borra berichtet über ihr Heimatland Indien
… und syrische Spontanität
Weiter geht die Reise nach Syrien. Aus diesem Land kommen Ahmad Afyouni und Nadeem Tutunji. Sie sind an diesem Abend die ersten internationalen Studierenden, die auf Deutsch über ihre Heimat berichten. „So war es vor dem Krieg“, sagen sie oft – auch als sie das friedliche Miteinander der verschiedenen Religionen beschreiben. Das typisch deutsche Organisieren und Planen sei den zwei Wirtschaftsinformatikstudenten aus Aleppo anfangs schwergefallen: „Bei uns spielt Spontanität eine große Rolle.“ Heute sprechen sie sehr gut Deutsch, doch manche Ausdrücke hätten sie zunächst sehr irritiert, erzählen sie: solche wie „Hals- und Beinbruch“ oder „Der hat doch nicht alle Tassen im Schrank!“.
Afrika: ein Eimer Wasser und Saltos auf Altpapier
Erfrischungsgetränke und Snacks – gestärkt durch den Bordservice geht die Weltreise weiter nach Ghana. Dort hat Natalie Hiller sechs Wochen gelebt. Im Hörsaal wird es still, als sie Bilder von ihrer einfachen Unterkunft ohne fließendes Wasser zeigt. „Das ist schon eine Herausforderung, mit nur einem Eimer Wasser zu duschen und danach die Haare zu waschen”, sagt die Rostocker Medizinstudentin. „Mir ist es aber gelungen, von einem auf einen halben Eimer Wasser pro Duschgang zu kommen.“ Gewöhnungsbedürftig seien auch die Standards in dem kleinen Krankenhaus gewesen, in dem sie gearbeitet hat. Männer und Frauen seien zwar getrennt untergebracht, aber Patienten mit offener Tuberkulose liegen im selben Zimmer wie Patienten mit Hirninfarkten.
Natalie Hiller präsentiert Impressionen vom Praxisaufenthalt in Ghana
Auch die Dorf-Sprechstunden seien ein Abenteuer. Allein zwei Stunden mit vielen Schlaglöchern und Flussüberquerungen dauere die Fahrt ins nächste Dorf. Dort warteten dann die Eltern mit ihren Kindern und den U-Heften, wie beim deutschen Kinderarzt. „Es werden die gleichen Impfungen wie in Deutschland durchgeführt. Nur die Location – ein Klapptisch auf dem Dorfplatz – ist ungewöhnlich“, erzählt die Medizinstudentin. Die Ghanaer seien sehr lebensfroh, überall werde Musik gespielt und man liebe bunte Stoffe. „Man muss alles in Relation sehen. Die Kinder in Ghana machen am Strand Saltos auf Altpapier statt in Turnhallen auf Turnmatten und sind trotzdem glücklich dabei.”
Europa: fettes Essen und eine irritierende Sprache
Der letzte Stopp vor dem Heimatflughafen ist Chepstow in Wales. Von dort stammt Gareth Vaughan, Mitarbeiter am Institut für Anglistik/Amerikanistik der Universität Rostock und ebenfalls Erasmus-Koordinator. Die Stadt an der Ostsee ist seit vielen Jahren sein Lebensmittelpunkt. Vielleicht liege es daran, dass Mecklenburg seiner Heimat sehr ähnlich sei: Dort liebe man fettes, süßes und einfaches Essen. „Wir wollen uns richtig satt und voll fühlen“, erzählt Vaughan. „Bei euch geht das aber noch besser. Denn euer Essen ist einfach noch größer.“ Die Leinwand zeigt in diesem Moment einen typisch deutschen Schnitzelteller.
Gareth Vaughan vergleicht britische und deutsche Eigenheiten
Die deutsche Sprache habe auch ihn anfangs sehr irritiert. Besonders die denglische Marketing- und Werbesprache. Bei Wörtern wie „Handy“ oder „Babyshooting“ muss er heute noch schmunzeln. „Ein begabter Mensch kann Englisch in 30 Stunden, Französisch in 30 Tagen, aber Deutsch erst in 30 Jahren lernen“, zitiert er Mark Twain. Dennoch hat er erfolgreich den Einbürgerungstest bestanden – und mit 33 Punkten die volle Punktzahl erzielt. Ein weiteres Beispiel, das zeigt: Eine fremde Sprache muss keine Hürde sein, um erfolgreich zu studieren, Freunde zu finden und sich zu Hause zu fühlen.
Dr. Miriam Neuenfeldt (14. Juni 2019)
Lokale Erasmus+ Initiativen (LEI)
Vom 19. bis 21. Juni 2019 findet in Rostock das Jahrestreffen der Lokalen Erasmus+ Initiativen statt.
- Mit ihrem freiwilligen Engagement tragen LEI erheblich zum Erfolg des Erasmus+ Programms bei. Allein 2018 wurden 105 Standorte der Lokalen Erasmus+ Initiativen gefördert. LEI sind gleichermaßen Gesprächspartner für Erasmus-Gaststudierende an der deutschen Hochschule wie für Erasmus-Interessierte. Die Bandbreite der Aktivitäten ist groß: So unterstützen LEI Erasmus+ Studierende an ihren Standorten – auch im Hinblick auf die sprachliche und kulturelle Integration – und organisieren kulturelle Angebote (internationale Abende, Begegnungen, Exkursionen).
- Vom 19. bis 21. Juni 2019 findet in Rostock das Jahrestreffen der Lokalen Erasmus+ Initiativen statt. Während des Treffens sollen die Kenntnisse des Erasmus+ Programms vertieft, die Vernetzung unter den LEI gefördert, Beispiele guter Praxis ausgetauscht und aktuelle Themen erarbeitet werden. LEI werden aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert.
LEI Rostock
Die Abendveranstaltung der LEI Rostock am 8. Mai 2019 ergänzte den Internationalen Tag, der Studierende sowie wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Mitarbeitende der Hochschule über die verschiedenen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen eines Auslandsaufenthaltes informierte. Die Vorträge:
- Eigene Erfahrungen zum Aufenthalt in Kanada und den USA: Professor Dr. Christian Junghanß, Direktor der Klinik III ̶ Hämatologie, Onkologie, Palliativmedizin
- Heimatland Indien: Haritha Borra, Studentin M.Sc. Electrical Engineering
- Kulturelle Unterschiede Heimatland Syrien/Deutschland: Nadeem Tutunji, Ahmad Afyouni, Studenten M.Sc. Wirtschaftsinformatik
- Impressionen vom Praxisaufenthalt in Ghana: Natalie Hiller, Studentin Humanmedizin
- Britische (walisische) und deutsche Eigenheiten: Gareth Vaughan, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sprachpraxis, Institut für Anglistik/Amerikanistik