SDG-Graduiertenkolleg Kolumbien: Mit Forschung den Frieden entwickeln

DAAD/Wolfgang Thielmann

Tauschten sich während einer Summer School mit dem kolumbianischen Botschafter in Berlin, Hans-Peter Knudsen Quevedo (4. v. li.), aus: Doktorandinnen und Doktoranden des SDG-Graduiertenkollegs Kolumbien auf Berlin-Exkursion

Das SDG-Graduiertenkolleg zwischen den Hochschulen in Bonn und Bogotá trägt nicht nur zu einer nachhaltigen Entwicklung und zum Aufbau leistungsfähiger und weltoffener Hochschulen bei. Es befasst sich auch mit Schlüsselfragen Kolumbiens. Das Land leidet seit fast 60 Jahren unter einem bewaffneten Konflikt und seinen Folgen.

‚Transdisziplinär‘ – immer wieder gebraucht Eva Youkhana diesen Begriff. Er sei der Schlüssel für die Arbeit des bilateralen Graduiertenkollegs, welches das Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn und das Institut für Umweltstudien (IDEA) an der Nationalen Universität der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá (UNAL) aufbauen. Das Kolleg dient der Umsetzung der 17 Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Eva Youkhana ist Professorin und Leiterin des Graduiertenkollegs am ZEF. Jedes Jahr fördert das im Oktober 2018 gestartete Kolleg sechs Doktorandinnen und Doktoranden aus Kolumbien. Jeweils zu dritt untersuchen sie Fragen zu Umwelt, Frieden und Entwicklung und erstellen neben ihrer Promotion eine Kurzinformation über den Gegenstand ihrer Forschungen. Beteiligt sind Doktorandinnen und Doktoranden aus den Fachbereichen Ingenieurwissenschaften, Soziologie, Agrarökologie, Politologie und Geografie. „Wir reflektieren in der interdisziplinären Zusammenarbeit auch kritisch unsere Forschung und Wissensgewinnung,“ sagt Youkhana. „Das meint der Begriff transdisziplinär. Damit gehen wir über die Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen hinaus, so schwierig das Überschreiten der Grenzen des eigenen Forschungsgegenstandes schon ist, und begeben uns auf neues Terrain.“ Das Graduiertenkolleg wird aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vom DAAD gefördert.

Förderung der Internationalisierung
Im Frühsommer 2019 kamen die Doktorandinnen und Doktoranden nach Bonn zu einer Summer School im ZEF, um sich weiter zu vernetzen, geografische Informationssysteme kennenzulernen und sich in Literaturverarbeitung und Statistik weiterzuqualifizieren. Auch absolvierten sie einen Kurs in politischer Ökonomie nach dem „Degrowth“-Modell, einem Entwicklungskonzept jenseits des Wachstums. Bei den interdisziplinären Studien profitieren die Teilnehmenden von der 20-jährigen Erfahrung des ZEF-Doktorandenprogramms.

Unterschiedliche Herangehensweisen anerkennen
Dabei gelte es, auch andere Formen der Wissensproduktion zu respektieren und einzubeziehen, so Youkhana. Unterschiedliche Entwicklungsmodelle seien von politischen und wirtschaftlichen Interessen beeinflusst; diese müssten herausgearbeitet werden. Auch sollten Menschen gestärkt werden, die am stärksten von den Entwicklungsprozessen betroffen seien, etwa die indigenen Gruppen sowie Kolumbianer mit afrikanischen Vorfahren, die in früheren Jahrhunderten als Sklavenarbeiter in den Kohle- und Edelmetallbergwerken missbraucht wurden. Der Anteil ihrer Nachkommen an den rund 49 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern des Landes wird mit bis zu 20 Prozent angegeben. Gerade, berichtet Eva Youkhana, hätten unter anderem die an dem Kolleg beteiligten Universitäten in Kolumbien gemeinsam den 250. Geburtstag des Naturforschers Alexander von Humboldt im Rahmen eines DAAD-Alumni-Treffens gefeiert. Der habe schon im frühen 19. Jahrhundert die Sklaverei und die Umweltzerstörung durch den Bergbau angeprangert und einen Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen an den indigenen Gruppen hergestellt.

Graduiertenkolleg_Kolumbien_Youkhana
DAAD/Wolfgang Thielmann

Für Professorin Eva Youkhana ist es wichtig, dass die Zusammenarbeit im SDG-Graduiertenkolleg transdisziplinär erfolgt, also über Disziplin-, Sprach- und Ländergrenzen hinweg

Wissenstransfer in beide Richtungen
Die Zusammenarbeit über Disziplin-, Sprach- und Ländergrenzen hinweg beschreibt Youkhana als solidarisch und freundschaftlich. Und der Wissenstransfer funktioniere in beide Richtungen: „Wir experimentieren gemeinsam.“ So entwickele man ein partizipatives Monitoring von Umweltprozessen.

Damit arbeitet das Graduiertenkolleg an Schlüsselfragen des Landes im Nordwesten Südamerikas, das seit fast 60 Jahren unter einem bewaffneten Konflikt und seinen Folgen leidet. Kolumbien muss einen zerbrechlichen Frieden weiterentwickeln. Denn nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen schloss die Regierung 2016 einen Friedensvertrag und ein entsprechendes parlamentarisches Abkommen. Für seine Verständigungsbemühungen erhielt der damalige Präsident Juan Manuel Santos 2016 den Friedensnobelpreis. Die Zukunft hängt nach Ansicht von Beobachtern davon ab, ob es gelingen wird, soziale Ungleichheiten zu mildern und mehr Chancengleichheit in der Bildung zu erreichen.

Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit
Zugleich spielen Umweltfragen in Kolumbien traditionell eine tragende Rolle: Es ist das Land mit der weltweit zweithöchsten Diversität bei Pflanzen und Tieren; 1991 hat es sich per Verfassung zu einer nachhaltigen Entwicklung bekannt. Diese Schwerpunktsetzung muss Kolumbien mit seinem wirtschaftlichen Aufbau und dem Export so unterschiedlicher Güter wie Schnittblumen, Kaffee, Edelsteinen und Steinkohle vereinen. Wegen seines Rohstoffreichtums, vor allem Kohle und Erdöl, ist das Land nach Brasilien und Mexiko die drittgrößte Volkswirtschaft in Lateinamerika. Mit Blick auf die Einbindung der SDGs in nationale Strategien nimmt Kolumbien eine Vorreiterrolle für sich in Anspruch, sagt Dorothee Schwab, die beim DAAD für die Graduiertenkollegs zuständig ist. Das Thema des Kollegs – Doctoral Studies Support Program on Environmental peace-building and development in Colombia – fügt sich damit gut in die insgesamt sieben Graduiertenkollegs ein, die der Förderung der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung dienen. 2018 haben Deutschland und Kolumbien eine Allianz für Frieden und nachhaltige Entwicklung vereinbart.

Bei der Hochschulbildung gilt Kolumbien als Boom-Land: Die Studierendenzahlen steigen stark an und haben sich in den letzten 20 Jahren verfünffacht. Das Bildungssystem Kolumbiens wurde in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts durch die beiden Deutschen Fritz Karsen und Leopold Rother geprägt. Beide haben die Gründung der Universität von Bogotá vorangebracht, der Partnerhochschule des Graduiertenkollegs. Bis heute stehen deutsche Bildungsangebote in Kolumbien in hohem Ansehen. Das erleichtert auch die Partnerschaft der beiden Universitäten.

Wolfgang Thielmann (9. Juli 2019)