Universitäten tragen Verantwortung
DAAD/privat
Den Elfenbeinturm verlassen und der Gesellschaft dienen: Laut Bildungsexperte Dr. Jamil Salmi ist das eine Pflicht der Universitäten
Globalisierung und technologischer Fortschritt, Klimawandel und Armut: Im 21. Jahrhundert steht die Welt vor gewaltigen Herausforderungen. Universitäten und Lehrkräfte haben die Chance, den Wandel zu gestalten – sofern sie bereit sind, sich zu verändern, sagt Dr. Jamil Salmi, Bildungsexperte und Redner beim diesjährigen DAAD-Lektorensommertreffen in Bonn.
Dr. Salmi, was charakterisiert das Umfeld, in dem sich Universitäten im 21. Jahrhundert bewegen?
Das Schlüsselwort lautet Umbruch. Auch der Bildungssektor ist geprägt durch die Globalisierung, zu erkennen an einer zunehmenden Zahl ausländischer Studierender und Lehrender sowie Englisch als Unterrichtssprache. Eine weitere Veränderung ist der technologische Fortschritt. Begriffe wie Industrie 4.0, Bildung 4.0, Automatisierung und Robotik beherrschen die Debatte, selbst wenn wir ihre Auswirkungen noch gar nicht abschätzen können. Dies erfordert auch von Studierenden andere Einstellungen und Fähigkeiten wie lebenslanges Lernen und Selbststudium. Gleichzeitig eröffnen diese Trends neue Möglichkeiten, Lehre und Lernen zu verbessern, etwa durch die internationale Zusammenarbeit via Internet. Die Finanzierung bleibt überall in der Welt eine große Herausforderung. Eine weitere Veränderung, die ich beobachte, ist die Diskussion rund um Post-Truth und Fake-News. Damit einher geht ein nachlassender Respekt gegenüber Professorinnen und Professoren, Expertinnen und Experten sowie der Wissenschaft im Allgemeinen. Aber die Universitäten haben schon viele Jahrhunderte der Veränderung überdauert, auch wenn diese nicht so drastisch waren wie aktuell. Ich bin daher optimistisch, dass sie einige dieser Entwicklungen positiv beeinflussen können.
Weitere Problemstellungen sind Themen wie Klimawandel und Armut. Wie können Universitäten dazu beitragen, dass wir die Ziele für nachhaltige Entwicklung – die Sustainable Development Goals (SDGs) – erreichen?
Genau das habe ich in meinem Buch „The Tertiary Education Imperative“ beschrieben. Darin nenne ich vier fundamentale Funktionen von Universitäten: Lehre und Lernen, also die Ausbildung von Arbeitskräften, Forschung, die Entwicklung künftiger Führungskräfte und Mitarbeitender in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und dem Gesundheitssektor sowie – last but not least – die Vermittlung von Werten. Diese vier Funktionen haben eine Menge Überschneidungen mit den SDGs. Das heißt, Universitäten können zu fast allen 17 Zielen beitragen. Sie stehen deshalb in der Verantwortung, den Elfenbeinturm zu verlassen und der Gesellschaft zu dienen. Einige Universitäten richten inzwischen ihre Curricula und ihre Struktur darauf aus, bei der Bewältigung dieser Probleme zu unterstützen. Ein gutes Beispiel sind auch die Hochschulprogramme für Flüchtlinge.
Wie müssen sich Hochschulen verändern?
Ich glaube, die beschriebenen Herausforderungen erfordern vor allem einen Sinneswandel bei den Professorinnen und Professoren. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die traditionelle Wissensvermittlung. Stattdessen übernehmen sie eher die Rolle von Mentorinnen und Mentoren für ihre Studierenden. Darüber hinaus verlangen globale Veränderungen wie der Klimawandel nach einer Disziplinen übergreifenden Zusammenarbeit, und das über Ländergrenzen hinweg. Leider stehen die Strukturen dem oft im Weg. Daher sehe ich die deutsche und die französische Exzellenzinitiative durchaus kritisch. Aus meiner Sicht liegt der Fokus zu sehr auf den finanziellen Ressourcen. Für eine World-Class-Universität braucht es entsprechende Steuerungsmodelle: inspirierende Lehrende, akademische Freiheit und Flexibilität.
Interview: Peter Nederstigt (11. Juli 2019)
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Zur Person
Dr. Jamil Salmi hat in den vergangenen 25 Jahren Regierungsvertreterinnen und -vertreter sowie Universitätsrektoren in mehr als 100 Ländern beraten. Bis 2012 arbeitete er als Koordinator für den tertiären Bildungssektor bei der Weltbank. Beim Lektorensommertreffen 2019 des DAAD in Bonn spricht er Mitte Juli über „Neue Herausforderungen für Universitäten im 21. Jahrhundert“.
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Lektorensommertreffen
DAAD-Lektoren aus der ganzen Welt treffen sich Mitte Juli in Bonn. Das jährliche Treffen dient dem Erfahrungsaustausch und der fachlichen Weiterbildung. Darüber hinaus berichten Gäste wie der Bildungsexperte Dr. Jamil Salmi über aktuelle Entwicklungen in der weltweiten Universitätslandschaft und vermitteln Hintergrundwissen. Die DAAD-Lektoren fungieren als deutsche Lehrkräfte an ausländischen Hochschulen.
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