Internationalisierung für Einsteiger

DAAD/David Ausserhofer

Profitierten vom gegenseitigen Erfahrungsaustausch: Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz „Kooperationen und Karrieren – neue Perspektiven im internationalen Austausch“ Mitte September in Berlin

Das Programm „Internationale Studien- und Ausbildungspartnerschaften“ (ISAP) ist eine Keimzelle für Internationalisierung. Das seit 40 Jahren erfolgreiche Programm ermöglicht Lehrenden und Studierenden auf unkomplizierte Art, außergewöhnliche Erfahrungen zu sammeln, und verhilft Hochschulen zu einem einzigartigen Profil. Die ISAP-Verantwortlichen von vier Hochschulen erzählen, wie nachhaltig ihr Fachbereich und ihre Studierenden von dem Programm profitieren.

Eigentlich ja ganz klar: Wer Tropenökologie studiert, kann das nicht nur theoretisch tun. Der muss die Tropen erleben und vor Ort Feldstudien betreiben, zum Beispiel in Costa Rica. Daher unterhält Prof. Marco Tschapka vom Fachbereich Biologie der Universität Ulm schon seit vielen Jahren erfolgreich eine Kooperation mit der Universidad de Costa Rica in der Hauptstadt San José.

Ein Studium mit Schwerpunkt Gender Studies? Was gibt es Besseres, als die Theorien zu Geschlechterverhältnissen in anderen Ländern unmittelbar kennenzulernen, zum Beispiel in der Karibik? Prof. Encarnación Gutiérrez Rodríguez vom Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen hat dafür mit der University of the West Indies auf Trinidad und Tobago eine Partnerschaft aufgebaut.

Angehende Chemiker der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben die Gelegenheit, sich während des Masterstudiums am renommierten Institut für Polymer Science and Engineering (PSE) der University of Massachusetts Amherst in den USA auszutauschen. Die Mainzer Universität kooperiert seit einigen Jahrzehnten eng mit Amherst, zurzeit betreut Pol Besenius, Professor für Makromolekulare Chemie am Institut für Organische Chemie, die Partnerschaft.

Prof. Michael Küttner von der Fachgruppe Jazz- und Popularmusik der Staatl. Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim ermöglicht seinen Studierenden, die facettenreiche Musik Brasiliens vor Ort zu erleben. Sein Fachbereich kooperiert mit der Musikfakultät der Universidade Federal da Bahia in Salvador da Bahia.


Grundstein für eine internationale Zusammenarbeit
Hinter diesen vier Beispielen steht jeweils das Programm „Internationale Studien- und Ausbildungspartnerschaften“ (ISAP), ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziertes Programm, das deutsche Hochschulen dabei unterstützt, mit außereuropäischen Hochschulen einen beidseitigen Austausch von Studierenden und Lehrenden dauerhaft aufzubauen. Tabea Kaiser, im DAAD zuständig für das Referat „Internationalisierung in der Lehre“, in dem auch das ISAP-Programm betreut wird, sagt: „ISAP legt den Grundstein für eine Zusammenarbeit, aus der sich oft sehr viele weitere Aktivitäten entwickeln. Das Programm ist bewusst niederschwellig angelegt. Das heißt, die Hochschulen benötigen einen Kooperationsvertrag mit einer Partneruniversität, in dem sie sich einig sind über die Austauschmodalitäten – welche Leistungen erkennen wir an, wie viele Studierende nehmen am Austausch teil, wie tauschen sich die Lehrenden aus und wie sind gegebenenfalls die Studiengebühren geregelt.“ Der Aufwand sei überschaubar und deshalb auch für kleine Fachbereiche umsetzbar.

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DAAD/David Ausserhofer
Tabea Kaiser, Leiterin des Referats „Internationalisierung in der Lehre“ beim DAAD


Kennenlernen aus erster Hand
Was an dem Austauschprogramm auf Seiten der Hochschulen besonders geschätzt wird, bringt Prof. Tschapka von der Universität Ulm auf den Punkt: „ISAP gibt uns die großartige Möglichkeit, den Studierenden Inhalte komplementär anzubieten, die wir an der Heimatuniversität nicht abdecken können. Das sind vor allem praktische Erfahrungen.“ Ulm hat nun mal keinen Tropenwald. Amherst ist stark in Polymer-Ingenieurwissenschaften, die in Mainz gar nicht gelehrt werden. Die pulsierende Musikszene Brasiliens oder der interkulturelle Schmelztiegel der Karibik? In Deutschland – Fehlanzeige. Dafür muss man schon den Atlantik überqueren.

Einzigartige Hochschulprofile
Ins Ausland gehen und Erfahrungen sammeln zu können ist sicher ein Plus von ISAP. Aber auch die Außenwahrnehmung des eigenen Fachbereichs verändert sich, wenn international kooperiert wird. Prof. Besenius: „Interessierte Studierende wissen, dass sie sich in Mainz im Masterstudiengang für ISAP bewerben können. Das steigert die Attraktivität unseres Fachbereichs und natürlich die der Universität.“ Sebastian Garbe, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Encarnación Gutiérrez Rodríguez, ist gerade von einem Lehrenden-Austausch zurück aus Trinidad und Tobago. Für die Justus-Liebig-Universität Gießen stellt er  fest: „Wir haben mit der University of the West Indies eine traditionsreiche Hochschule mit einem ganz besonderen Forschungsprofil an unserer Seite. Das ist schon einzigartig im deutschsprachigen Raum.“ Und die Universität in Mannheim kann im Vergleich zu anderen Musikhochschulen mit ihrem starken Fokus auf Brasilien punkten: „Wir haben ein tolles Brasil-Ensemble, in dem die originalen Arrangements oft von Brasilianern selbst gespielt werden. Davon profitieren nicht nur die Bands, sondern auch die Studierenden, die nicht im Ausland waren“, sagt Prof. Küttner.

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Sebastian Manuel Garbe, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Encarnación Gutiérrez Rodriguez


Internationalisierung ist eine Bereicherung für alle
Damit sich ein Austauschprogramm wie ISAP nachhaltig entwickelt, müssen sich die Hochschulen international aufstellen. Das Institut für Organische Chemie in Mainz macht das konsequent: „Wir gewinnen Studierende aus den USA nur für einen Austausch, wenn wir Vorlesungen sowie Seminare auf Englisch anbieten“, sagt Prof. Besenius. Und davon hätten auch die deutschen Studierenden und Doktoranden etwas, da auf Englisch wissenschaftliche Resultate diskutiert sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen verfasst werden. Auf großen Konferenzen sei Englisch Standardsprache. An der Universität Ulm läuft mittlerweile das gesamte Masterstudium der Biologie auf Englisch. Stipendiaten aus Costa Rica, die vor knapp zwanzig Jahren noch eher bescheidene Englischkenntnisse hatten, sind heute sprachlich sehr fit und können in Ulm allen Veranstaltungen ohne Weiteres folgen. Auch im Kleinen ist die Internationalisierung durch ISAP spürbar: So kümmert sich beispielsweise ein Alumnus, zurück aus Brasilien und jetzt studentische Hilfskraft, in der Fachgruppe Jazz- und Popularmusik um drei brasilianische Studierende, die in Mannheim zu Gast sind. Und der Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften in Gießen hat eine Lehrstelle für englischsprachige Vorlesungen und Seminare eingerichtet, um dem internationalen Austausch gerecht zu werden. Aber nicht nur diese sichtbaren Veränderungen bringen die Hochschulen voran. Für Prof. Tschapka sind auch die indirekten Ergebnisse der Internationalisierung gewinnbringend: „Wer eine Auslandsphase hinter sich hat, mit dem kann ich für eine Master- oder Doktorarbeit ganz anders arbeiten. Diese Studierenden bringen einen Erfahrungsschatz und eine interkulturelle Kompetenz mit, die viel Wert ist – für ihre eigene Entwicklung und für unseren Fachbereich.“

Geduld ist gefragt, Kontinuität zahlt sich aus
Gibt es auch Schwierigkeiten beim Aufbau einer internationalen Partnerschaft? Es ist nicht immer leicht, der Anforderung des ISAP-Programms zu entsprechen, pro Jahr mindestens drei Studierende aus Deutschland für einen Austausch zu gewinnen. „Wir sind in Mannheim ein kleiner Bereich für Jazz- und Popularmusik, da muss man Geduld haben, um immer drei Studierende zu finden, die bereit sind, für ein Jahr nach Brasilien zu gehen“, sagt Prof. Küttner. Umgekehrt muss die Universität in Brasilien die Hauptkosten für die brasilianischen Studierenden übernehmen, die nach Mannheim kommen. Nicht gerade einfach in Zeiten, in denen der brasilianische Staatspräsident Bolsonaro verkündet, Bildung sei Privatsache, und plant, die Budgets um 30 Prozent zu kürzen.  

Die Netzwerke wachsen und der Austausch zieht Kreise
Aber abschrecken lassen möchte sich davon keiner der engagierten ISAP-Hochschulvertreterinnen und -vertreter, dafür sind neben den kurzfristigen vor allem auch die langfristigen Effekte von ISAP zu überzeugend. Prof. Besenius: „Vielen Stipendiatinnen und Stipendiaten wird durch diesen Austausch bewusst, welchen Standard wir in der Lehre und der Forschung in Deutschland und besonders hier in Mainz haben. Sie gehen zum Beispiel für die Masterarbeit erneut nach Nordamerika, kehren aber dann wieder gerne nach Deutschland zurück.“ Prof. Tschapka freut sich ebenfalls: „Wir haben über ISAP Forschungsprojekte in Deutschland und Costa Rica aufgebaut, für die das Netzwerk aller am Austausch Beteiligten in beiden Ländern sehr hilfreich ist.“ Auch junge Kooperationen gewinnen an Eigendynamik: Im November kommt eine Delegation aus Brasilien mit dem Direktor der dortigen Hochschule und einem zehnköpfigen Musikensemble an die Hochschule in Mannheim. Die Brasilianer haben ein großes Interesse daran, die bestehende Kooperation auf die Klassik auszuweiten, und werden erstmals Kolleginnen und Kollegen von der klassischen Musikabteilung in Mannheim kennenlernen.

Aus der Nische herauswachsen
Und was sagen die ehemaligen ISAP-Stipendiatinnen und -Stipendiaten? Dass ISAP gerade auch Studierenden ungewöhnlicher Fachrichtungen eine einmalige Weiterentwicklung ermöglicht, hat zum Beispiel Christoph Müller erfahren, der im Wintersemester 2017/2018 als ISAP-Stipendiat in Salvador da Bahia war. „Als Musiker Karriere zu machen ist nicht einfach. Da ist es wichtig, international zu agieren. In meiner Zeit in Brasilien habe ich mir ein Netzwerk von Musikern aufgebaut, mit denen ich jetzt noch in Kontakt bin und spiele. Nach meiner Rückkehr habe ich meine Band Flowin Tension gegründet, mit der ich selbstkomponierten brasilianischen Groove-Jazz spiele. Salvador da Bahia hat mich sehr geprägt; ohne den Aufenthalt gäbe es diese Band nicht.“

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Christoph Müller war als ISAP-Stipendiat in Salvador da Bahia


Maren Schweitzer hat von September 2017 bis Februar 2018 am Institut für Polymer Science and Engineering der University of Massachusetts Amherst ein ISAP-Stipendium absolviert. Neben der fachlichen Weiterentwicklung – unter anderem ein Seminar mit wöchentlich wechselnden Gastrednern, ausführliche Gespräche mit vielen Professoren und ein Forschungspraktikum – hat sie auch persönlich viel von dem Auslandsaufenthalt mitgenommen: „Ich habe gelernt, sehr selbstständig zu planen. Außerdem habe ich erfahren, dass Offenheit und gezieltes Nachfragen bei vielen Problemen enorm weiterhelfen.“

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Maren Schweitzer ging mit einem ISAP-Stipendium ans Institut für Polymer Science and Engineering der Universität Massachusetts Amherst


Erfahrungsaustausch ist wichtig
Was alle Projektleiterinnen und -leiter umtreibt – seien es ISAP oder andere Programme zur Förderung integrierter Auslandsmobilität: Wie motiviere ich Studierende für einen Auslandsaufenthalt? Wie vermarkte ich ihn, und welche Länder eignen sich für Kooperationen? Das weiß auch Tabea Kaiser. Daher lädt der DAAD Vertreterinnen und Vertreter der Projekte mittlerweile alle zwei Jahre zu einer Konferenz ein – zuletzt Mitte September unter dem Motto „Kooperationen und Karrieren – neue Perspektiven im internationalen Austausch“. Teilgenommen haben Hochschulvertreterinnen und -vertreter, die sich um ISAP kümmern oder in die Förderprogramme zum Doppelabschluss oder Bachelor Plus involviert sind. „Außerdem haben wir erstmals auch die Vertreterinnen und Vertreter des neuen Programms Lehramt.International eingeladen sowie ausgewählte Stipendiatinnen und Stipendiaten all dieser Strukturprogramme“, sagt  Tabea Kaiser. „Wir wollen Synergien nutzen. Wenn wir die Hochschulverantwortlichen mehrerer Programme zusammenbringen, profitieren alle gegenseitig vom Erfahrungsschatz der anderen, ganz besonders natürlich die Neuen. Immerhin konnten wir dieses Jahr 40 Jahre ISAP feiern.“

Astrid Hopp (17. Oktober 2019)

Weitere Informationen

40 Jahre ISAP – Historie

1979

  • Vorläuferprogramm IAS (Integriertes Auslandsstudium)
  • Startjahr: 71 Anträge von 30 deutschen Hochschulen, von denen 29 Projekte mit zunächst 130 Studierenden bewilligt wurden; Budget: 800.000 DM (Folgejahr: bereits ca. 3 Mio. DM)
  • Zielregionen: weltweit, Schwerpunktregionen USA, Kanada, West- und Südeuropa
  • 1989/1990: Projekte mit ERASMUS-Zielländern werden von der Förderung ausgeschlossen
  • Schwerpunktförderung: „Auslandsstudien“ im Rahmen der Natur- und Ingenieurwissenschaften, der Medizin, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der Hispanistik und der Italianistik
     

2000

  • Parallel zu IAS wird das Programm ISP (Internationale Studienpartnerschaften) ausgeschrieben
  • Regionale Schwerpunkte: Asien, Lateinamerika, GUS, Australien und Neuseeland
  • Neu: Entwicklung einer Gegenschiene durch die Förderung der Mobilität von deutschen und ausländischen Dozentinnen und Dozenten sowie die Bereitstellung von Sprachkurs- und Tutorenmitteln zur Betreuung der ausländischen Studierenden
  • ISP steht allen Fachrichtungen offen
     

2001

  • Die beiden bestehenden Programme werden modifiziert und zusammengeführt: Aus IAS und ISP wird ISAP