„DDR-Programme retten und integrieren“

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Cay Etzold war ab Oktober 1990 einer der Mitarbeitenden der Arbeitsstelle Berlin-Mitte

Rückblick auf ein „positives Kapitel der deutschen Wiedervereinigung“. Unter der Leitung des DAAD führte die Arbeitsstelle Berlin-Mitte Ende der 1990er-Jahre die DDR-Stipendiatenprogramme fort. Cay Etzold, ehemaliger Mitarbeiter dieser Arbeitsstelle und zurzeit als Berater für den DAAD in Tiflis, erinnert sich.

Nach dem Fall der Mauer stellte sich im Frühjahr 1990 auch die Frage, wie die DDR-Förderprogramme im Hochschul- und Wissenschaftsbereich nach der Wiedervereinigung weitergeführt werden sollten. Braucht man eine eigene, dem DAAD angepasste Organisation? Darüber diskutierten im Mai 1990 Mitarbeitende im Ostberliner Ministerium für Bildung und Wissenschaft (MfBW) und führten intensive Gespräche mit dem damaligen Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) sowie dem DAAD. Das Ergebnis: keine eigene Organisation, sondern der DAAD sollte die Programme weiterführen. Der hatte bereits erfolgreich Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ostdeutschland in seine Förderung einbezogen.

Die Arbeitsstelle Berlin-Mitte
Um die DDR-Stipendiatenprogramme fortzuführen, gründete der DAAD die „Arbeitsstelle Berlin-Mitte“ (ASBM) mit Sitz im inzwischen abgerissenen ehemaligen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten am Schinkelplatz, finanziert vom Auswärtigen Amt und dem BMBW. 32 ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfBW sowie zwei DAAD-Mitarbeiter nahmen dort am 4. Oktober 1990 ihre Arbeit in den Bereichen Auslandsstudium, Ausländerstudium, Wissenschaftleraustausch, Hochschulpartnerschaften und Deutsche Sprache auf. 

Die Rahmenbedingungen waren nicht leicht, erinnert sich Cay Etzold, einer der Mitarbeitenden der ASBM. Die technische Infrastruktur beispielsweise war eine große Herausforderung: Es gab nur eine Telefonleitung in den Westen, um Kontakt zur DAAD-Zentrale und den Ministerien in Bonn halten zu können. Auch die Büroräume waren alles anderes als komfortabel. Der „sehr guten Atmosphäre zwischen Wessis und Ossis“ tat dies jedoch keinen Abbruch; man wollte die „DDR-Programme retten oder integrieren, vor allem aber den Studierenden einen guten Abschluss ermöglichen.“

Verantwortlichkeiten
Zunächst mussten die Mitarbeitenden ermitteln, für wie viele der rund 8.000 ausländischen Studierenden und Graduierten in der DDR die Arbeitsstelle Berlin-Mitte tatsächlich verantwortlich war. Die Gesamtsituation war unklar: „Einige Länder wie Nordkorea und Kuba zogen ihre Studierenden sehr schnell ab. Hinzu kam“, so Etzold, „dass vor allem die Geförderten der SED und der ihr angeschlossenen Organisationen, wie die Freie Deutsche Jugend oder der Internationale Studentenbund, nicht berücksichtigt werden sollten.“ Einige beendeten im Sommer 1990 außerdem ihr Studium, und im Zuge des Umbaus der ostdeutschen Hochschulen wurde ein Teil der Fachbereiche oder Studiengänge geschlossen.

DAAD-ASBM

DAAD-ASBM

Quelle: nach Heinz Wegener, Förderung und Hochschulintegration in- und ausländischer Betreuungsstipendiaten der DDR im Vereinigungsprozeß Deutschlands 1986–1996. Die DAAD-Arbeitsstelle Berlin-Mitte (Bonn, 1999), S. 338–348

Wie sich herausstellte, waren es zu Beginn des Sommersemesters 1991 genau 5.695 Stipendiaten, 4.667 ausländische Studierende und 1.028 ausländische Graduierte, die die Arbeitsstelle Berlin-Mitte betreute. Sie kamen aus 76 Ländern – vorwiegend ehemaligen osteuropäischen Bruderstaaten sowie engen Verbündeten der DDR in Asien und Afrika – und waren an den 45 ostdeutschen Hochschulen in sämtlichen Studienrichtungen vertreten. 

Hohe Abschlussquote
Bis zur Auflösung der Dienststelle 1996 konnten fast 90 Prozent der Studierenden und Graduierten ihre Aus- und Fortbildung erfolgreich abschließen. Unter ihnen war der Bundestagsabgeordnete Dr. Karamba Diaby, der bereits Mitte der 1980er-Jahre aus dem Senegal in die DDR gekommen war. Dazu zählten aber beispielsweise auch 20 nicaraguanische Studierende, die Cay Etzold im Mai 1990 gemeinsam mit einem Kollegen und Nicaraguanern vor Ort ausgewählt hatte. Sie waren, wie er erzählt, erst im September des gleichen Jahres „zum Studieren in die DDR gekommen und mit der Einheit im Oktober von der ASBM übernommen worden“.

Diese hohe Quote war sicherlich den guten Rahmenbedingungen für die Stipendiaten zu verdanken, um die sich die Mitarbeitenden der ASBM, der DAAD und die betreuenden Hochschulen kümmerten, hebt Etzold hervor. Trotz der tiefgreifenden Veränderungsprozesse in den frühen 1990ern bestand zu den Hochschulen „ein sehr enger und guter Kontakt“.   

In einer Ende November 1996 veröffentlichten Pressenotiz bezeichnete der DAAD die Tätigkeit des ASBM als ein „positives Kapitel der deutschen Vereinigung“. Und auch Cay Etzold sieht rückblickend die Arbeitsstelle Berlin-Mitte als „einen vollen Erfolg“. Für ihn selbst war sie im Übrigen „ein Sprungbrett in den DAAD“: Nach Stationen unter anderem als Außenstellenleiter in Nairobi leitet Cay Etzold heute das Referat für Stipendienprogramme mit Afrika. Zurzeit ist er für den DAAD als Berater National Center for Educational Quality Enhancement in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

Marcus Klein (12. November 2019)
 

Die Arbeitsstelle Berlin-Mitte

  • Ziel: Fortführung der DDR-Stipendiatenprogramme
  • Zuständig: von 1990 bis 1996
  • Leitung: DAAD gemeinsam mit ehemaligen Mitarbeitenden des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft (MfBW)