Internationalisierung vordenken
DAAD/Albrecht Fuchs
Immer eine Botschafterin des DAAD: Präsidentin Prof. Margret Wintermantel
DAAD-Präsidentin Prof. Margret Wintermantel beendet ihre Amtszeit. Sie hat die Arbeit der Austauschorganisation seit 2012 geprägt. Im Gespräch blickt sie zurück auf acht erfolgreiche Jahre.
Frau Professor Wintermantel, als frisch gewählte DAAD-Präsidentin sagten Sie, dass Sie der Geist, der im DAAD herrscht, beeindrucke: die Leidenschaft für Internationalisierung. Nach acht Jahren an der Spitze der größten akademischen Austauschorganisation – gilt dies nach wie vor?
Ich würde das heute wieder so sagen, aber jetzt mit noch mehr Überzeugung. Dazu kommt, dass ich auch die Leidenschaft kennengelernt habe, mit der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesen Geist Tag für Tag umsetzen und so internationale Begegnungen und interkulturellen Austausch möglich machen.
Dabei hat sich das Verständnis von Internationalisierung durchaus gewandelt. Welche großen Linien sehen Sie hier?
Die Internationalisierung in den Universitäten und anderen Hochschulen ist heute sehr viel strategischer ausgerichtet als dies früher der Fall war. Internationalisierung bedeutet nicht mehr nur die individuelle Mobilität von Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Blick zu haben und zu unterstützen. Es wird zunehmend gezielt danach gefragt, mit welchen Fachbereichen und welchen Institutionen man international kooperieren möchte, um in Forschung und Lehre voranzukommen. Hier bietet der DAAD mit seinem weltweiten Netzwerk, seinen Außenstellen, seinen Lektoren und Lektorinnen und auch seinen Alumni ein einzigartiges Wissen und umfassende Erfahrung über die Wissenschaft in anderen Ländern. Er unterstützt die Akteure dabei, die richtigen Kooperationspartner zu finden und produktive Kontakte zu ermöglichen. Dazu kommen die zahlreichen gezielten Programme, die in Zukunft noch wichtiger werden, ebenso wie die Arbeit an und mit den großen transnationalen Projekten, die es gilt zu stärken und weiter zu entwickeln. Natürlich bleibt die Unterstützung des grenzüberschreitenden Studiums und der Forschung talentierter junger Leute eine Hauptaufgabe des DAAD. Vor dem Hintergrund der weltweiten dynamischen Entwicklung der Strukturen der „Higher Education“ werden hierbei Beratung und Begutachtung zunehmend anspruchsvoll, damit der akademische Austausch seine positiven Wirkungen entfalten kann. Eine weitere große Herausforderung ist klarerweise die Digitalisierung, die alle unsere Handlungsfelder beeinflusst. Hier gilt es, die Möglichkeiten so zu nutzen, dass Internationalisierung noch konstruktiver und zielführender gelebt werden kann.
Viele betrachten die Internationalisierung als hohen Wert. Gleichzeitig lassen sich aber auch Trends zur Abschottung und Fokussierung auf das Nationale beobachten. Angesichts dieser Tendenzen: Welche gesellschaftliche Aufgabe kommt der Internationalisierung der Hochschulen zu?
Für Studierende ist es eine wichtige Erfahrung, nach draußen zu gehen und festzustellen, dass man die Dinge andernorts anders macht – und nicht unbedingt schlechter. Diese Öffnung der Wahrnehmungsperspektiven halte ich für gesellschaftlich absolut wichtig und wertvoll. Das Nationalistische, das wir vielerorts beobachten, hat auch mit Ängsten zu tun, in der Weltgesellschaft abgehängt zu werden. Mit diesen Ängsten müssen wir umgehen. Dabei sollten wir stärker wieder in Diskurse über Werte eintreten. Vielleicht sind diese Dinge in den vergangenen Jahren etwas zu stark in den Hintergrund getreten. Die internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigt, dass man an der Lösung von Problemen gemeinsam arbeiten kann.
Blickt zurück auf acht erfolgreiche Jahre: Prof. Margret Wintermantel im Interview
Dabei teilen nicht alle Länder, mit denen der DAAD kooperiert, dieselben Werte – Stichwort Wissenschaftsfreiheit, Menschenrechte. Ist eine Zusammenarbeit trotzdem sinnvoll?
Selbstverständlich ist sie das. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wäre eine Diskursverweigerung schlicht unvernünftig. Der DAAD hat in seiner nun über 90 Jahre alten Geschichte immer wieder erfahren, wie wichtig es ist, auch in Ländern, die unser Wertesystem nicht oder nur in geringem Maß teilen, Studierenden die Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen in unserem Land und auch mit unseren Werten zu machen. Alumni fühlen sich, und das begegnet uns immer wieder, Deutschland zugehörig und vertraut mit unseren Überzeugungen der Rechtsstaatlichkeit und der Toleranz. Ein Beispiel: vor wenigen Wochen habe ich an einer Konferenz in Seoul teilgenommen, bei der ostasiatische DAAD-Alumni sich über die deutsche Verfassung, rechtsstaatliche Normen und die Bedingungen und Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft austauschten. Es hat mich sehr beeindruckt wie kenntnisreich, klug, ja und auch konsensorientiert verhandelt wurde. Diese Möglichkeiten des rationalen und transnationalen Diskurses über wissenschaftliche Erkenntnisse zu allen Themenbereichen halte ich für wertvoll und notwendig, die Zukunftsfragen werden nur gemeinsam gelöst werden können.
Der DAAD hat während Ihrer Amtszeit auch vielfach den Austausch mit Krisenländern gesucht. Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?
Wenn Sie von Krisenländern sprechen, dann möchte ich doch zunächst erwähnen, dass der DAAD große Flüchtlingsprogramme für junge Menschen aufgelegt hat, die aus Krisenländern wie vor allem Syrien zu uns gekommen und zuhause nicht mehr studieren konnten. Der DAAD hat sie bei der Aufnahme des Studiums und der Integration in die deutschen Hochschulen unterstützt. Auch bei den Programmen mit Ländern, in denen es gewalttätige Konflikte und/oder Naturkatastrophen gibt, versuchen wir im Sinne einer Science Diplomacy die bestehenden Verbindungen aufrecht zu erhalten und neue zu knüpfen, aber auch Capacity Building zu betreiben wie z.B. mit unseren Fachzentren in Afrika und alle Möglichkeiten zu nutzen, für beide Seiten produktive Kooperationen anzubahnen und zu pflegen.
Während Ihrer Amtszeit hat sich der DAAD mit der „Strategie 2020“ neu ausgerichtet. Warum war das nötig?
Es war nötig, die zukünftigen Handlungsfelder des DAAD noch klarer zu definieren und die Schlagkraft durch eine grundlegende große Organisationsreform zu erhöhen. Das ist dank der Leidenschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Einsatz für die Ziele der Organisation gelungen, auch wenn es ganz sicher Verstimmungen und Konflikte gegeben hat. Aber nochmal: der Spirit des DAAD setzt sich durch und macht ihn, lassen Sie mich das als Psychologin sagen, wirklich resilient gegenüber besonderen Anforderungen. Und nochmal zur Strategie 2020. Da sind drei Punkte zu nennen: das Strategische hat einen weit hören Stellenwert bekommen, dass also Kooperationen gezielt angebahnt, vertieft und gepflegt werden über die Disziplinen und über die verschiedenen Statusgruppen der Studierenden, Promovierenden, Lehrenden und Forschenden hinweg. Die transnationalen Projekte mussten auf ihre Ergebnisse hin stärker unter die Lupe genommen werden. Und das Dritte ist, dass der DAAD seine Arbeit als Thinktank für die Anbahnung und Pflege grenzüberschreitender Kooperationen mit anderen Wissenschaftsnationen noch stärker konzentriert und systematisiert. Das neue Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperation wird die Wissenskomponenten bündeln müssen.
Damit haben Sie die Arbeit des DAAD gut auf die Zukunft ausgerichtet. Welche Herausforderungen sehen Sie?
Der DAAD wird noch stärker als bisher die deutschen Studierenden und Promovierenden davon zu überzeugen müssen, dass ein Studien- und Forschungsaufenthalt im Ausland ihre beruflichen Erfolge in einer globalisierten Welt befördern und ihre Persönlichkeit bereichern wird. Und er wird noch mehr dafür tun müssen, dass die Attraktivität unserer Hochschulen in ihrer Differenziertheit und Leistungsfähigkeit weltweit erkannt wird, sodass talentierte junge Leute gerne zu uns kommen, ihr Studium mit Erfolg abschließen und einige von ihnen dann auch ihre berufliche Tätigkeit hier aufnehmen werden. Eine besondere Herausforderung für die Zukunft ist der kluge Einsatz digitalisierter Techniken und Instrumente. Von der individualisierten Studienvorbereitung durch virtuelle Angebote, vom gezielten Sprachunterricht über die Informationssuche kann die Digitalisierung bei einer weltweit tätigen Organisation wie unserer einen wirklichen Unterschied machen. Schließlich bringt der gelungene Neustart der fünf Deutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser (DWIH) unter dem Management des DAAD die Verpflichtung mit sich, sicherzustellen, dass die richtigen Kontakte geknüpft und neue internationale Netzwerke zur Stärkung unseres Innovationssystems und zum produktiven Dialog mit anderen Wissenschaftsnationen geschaffen werden.
Sie sind viel gereist als DAAD-Präsidentin, haben viele Menschen getroffen, die der DAAD gefördert hat. Gibt es Begegnungen, die Sie besonders bewegt haben?
Es gab wirklich sehr viele persönliche Begegnungen. Ich habe mit so vielen beeindruckenden Menschen gesprochen. Es fällt mir schwer, hier etwas hervorzuheben.
Wenn Sie sich zum Ende des Jahres vom DAAD verabschieden – werden Sie seiner Arbeit in irgendeiner Form weiter verbunden bleiben?
Ich werde immer eine Botschafterin des DAAD sein. Das steht fest.
Interview: Janet Schayan
Der Beitrag ist zuerst erschienen im „LETTER“ – Das Magazin für DAAD-Alumni 03/2019