„Science Diplomacy – zwischen Anspruch und Wirklichkeit“

DAAD/Michael Jordan

Über die Internationalisierung in Zeiten der Globalisierung referierte Dr. Georg Schütte auf der DAAD-Leitertagung im vergangenen November

Dr. Georg Schütte, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, über die Entwicklung der imaginären Weltkarte der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und warum soft power für die Zukunft eben dieser Zusammenarbeit so wichtig ist.

In diesem Jahr feiern wir die Wiedervereinigung Deutschlands: Vor 30 Jahren ging die Zeit der deutschen Teilung und die des Eisernen Vorhangs in Europa zu Ende. Und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, rief im vergangenen November die europäischen Mitgliedsstaaten auf, machtbewusster zu sein. Auch in den Zeitungen war zu lesen, Europa müsse jenseits von soft power weitere Machtoptionen ausloten. 

Dieses Zusammentreffen von Gedenken und aktueller Politik macht deutlich: Die weltpolitischen Verhältnisse haben sich fundamental verändert – und damit auch die Begründungszusammenhänge und die Praxis internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Mehr als jemals zuvor ist die Welt auf wissenschaftliche Erkenntnisse angewiesen, um den großen Herausforderungen für den Planeten gerecht zu werden. Die Klimaforschung und Klimapolitik sind ein prominentes Beispiel. Zugleich aber überformt das Politische heute wissenschaftliches Arbeiten, etwa wenn für Forschungsgebiete die öffentliche Finanzierung ausgesetzt wird, weil sie politisch nicht opportun sind. Oder wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler inhaftiert werden, um sie mundtot zu machen. 

Wissenschaft ist international
Wissenschaft ist international – dies ist das Credo der Neugier getriebenen Grundlagenforschung. Aufwand und Kosten dieser Forschung übersteigen aber oft die Budgets einzelner Staaten. Die Ergebnisse der Klimaforschung zum Beispiel, die in den Berichten des Weltklimarates verdichtet und politisch relevant gemacht werden, konnten nur durch eine enge internationale Zusammenarbeit akkumuliert werden. 

Wissenschaft im Dienst von Frieden und Versöhnung
Wissenschaft kann Brücken bauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges war es der Idealismus der Kriegsgeneration, der für einen neuen Aufbruch der akademischen Zusammenarbeit sorgte. Insbesondere die akademischen Mittlerorganisationen DAAD und Alexander von Humboldt-Stiftung haben Brücken in die ganze Welt geschlagen.

Wissenschaft und Globalisierung
Dass Wissenschaft außenpolitische Rendite bringen kann, haben die Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gezeigt. Die Weltkarte der wissenschaftlichen Zusammenarbeit hat sich in diesen Jahren massiv verändert: zunächst in Osteuropa und in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zuvor Zeit in Westeuropa verbracht hatten, zum gesellschaftlichen Wandel wichtige Beiträge leisteten, wo aber auch der ökonomische Kollaps tiefe Spuren in den wissenschaftlichen Einrichtungen dieser Länder hinterlassen hat. Ein Teil einer Generation vielversprechender Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ist damals verloren gegangen, weil ihre akademischen Lehrkräfte längst im Ausland waren oder weil die Karrierechancen in anderen Bereichen attraktiver erschienen als in der unterfinanzierten Forschung und Lehre. 

Aber auch die europäische Einigung hat auf dieser imaginären Weltkarte akademischer Kooperationsbeziehungen neue Wege aufgezeigt: Spitzenforschungseinrichtungen in Europa boten und bieten für junge Menschen in der Wissenschaft Alternativen zu Karriere-Stagen etwa in den USA. Und schließlich trat und tritt mit China ein neuer Akteur mit einer strategisch ausgerichteten internationalen Wissenschaftspolitik auf den Plan.

Georg Schuette_2_gross Leitertagung

DAAD/Michael Jordan

Studierendenaustausch, Kooperationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder der Auslandsrundfunk sind beispielhafte Instrumente für eine auf soft power basierende public science diplomacy

Wissenschaftsdiplomatie als soft power erkennen
Aus einer Welt, geprägt durch bipolare Machtblöcke, entstand eine multipolare Welt, in der Wissenschaft sich aufgrund ihrer Eigendynamik befreite, in der ihr aber auch aufgrund veränderter politischer und ökonomischer Ziele eine neue politische Rolle zugeschrieben wurde. Mit welchen Instrumenten und in welcher Form können Regierungen die internationalen Beziehungen künftig gestalten, um in einer unübersichtlicheren Welt ihre politischen Interessen und Werte durchzusetzen? Der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye hat die politischen Möglichkeiten einer solchen Wissenschaftsdiplomatie als soft power bezeichnet. Und er sah darin insbesondere Chancen für sogenannte Mittelmächte, etwa Deutschland, die nicht über hinreichende Instrumente harter Machtausübung durch Militär und Wirtschaft verfügen. Studierendenaustausch, Kooperationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, der Auslandsrundfunk oder die Nutzung digitaler Informationsverbreitungsmedien sind Instrumente einer auf soft power basierenden public science diplomacy.

Wissenschaft wurde mehr als je zuvor zur Basis globaler Wettbewerbsvorteile. Und es waren politische Institutionen, die diese Vorteile systematisch zum Wohle übergreifender politischer Projekte und Prozesse nutzten. So hat die Europäische Union ihre Wissenschaftsförderung in den vergangenen Jahren massiv ausgeweitet und mit immer neuen Instrumenten der staatenübergreifenden Kooperation unterlegt. Drittstaatenabkommen haben den Zugang zu und aus weiteren Weltregionen ermöglicht.

Die Bundesregierung hat im Jahr 2008 eine erste Strategie zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung verabschiedet. Sie ist seitdem fortgeschrieben und aktualisiert worden und hat ihr Komplementär auch in Internationalisierungsstrategien von Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen gefunden. Wissenschaft in Deutschland, so kann man heute sagen, ist internationaler als jemals zuvor.

Möglich wurde dies nicht zuletzt durch eine immense Ausweitung und Professionalisierung des Personenkreises, der diese Entwicklung trug und mitgestaltete. Die Entwicklung der DAAD-Außenstellen, -Informationsbüros und -Lektorate in der Welt ist dafür ein beeindruckender empirischer Beleg. Mit der wachsenden Zahl und der Fachkenntnis ist diese Gesamtheit der Akteure zu einem weiteren, wichtigen Treiber der Internationalisierung und Globalisierung der Wissenschaft geworden. Die Ausübung von soft power ist in diesem Sinne nicht nur ein strategisches Instrument von Regierungen, Außen- und Wissenschaftsministerien. Sie ist vielmehr eine Form der Manifestation von Macht, die durch neue Akteurskonstellationen entstanden ist und weiterentwickelt wird.

Wissenschaft in einer post-globalen Welt
Wenn wir heute diese imaginäre Weltkarte wissenschaftlicher Zusammenarbeit betrachten, sehen wir vielfältige Spuren und Ausdrucksformen der historischen Entwicklungen und Trends. Wir sehen aber auch, wie außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitische Interessen die idealistische, eigenständige politische Rolle der Wissenschaft einschränken, so zum Beispiel in den USA, der Türkei, dem Iran oder in China. Hier stellt sich die Frage, ob auf Dauer noch Kooperationen möglich sein werden, die zum wechselseitigen Vorteil und auf Augenhöhe angelegt sind. 

Unser Ziel muss es daher sein, auch in Zukunft in internationaler Zusammenarbeit ein gemeinsames Wertefundament für wissenschaftliches Arbeiten zu schaffen, das weltweit Wirkung entfalten kann.

Dr. Georg Schütte (29. Januar 2020)
 

Zur Person

Dr. Georg Schütte, ehemaliger Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung und zuletzt viele Jahre Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), ist seit dem 1. Januar 2020 Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Die private Stiftung mit Sitz in Hannover fördert „Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre“ mit jährlich etwa 150 Mio. Euro und zählt mit einem Kapital von 3,2 Mrd. Euro zu den größten Stiftungen in Europa.

DAAD-Leitertagung

Einen ausführlichen Vortrag zum Thema  „Science Diplomacy – zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ hielt Dr. Georg Schütte im Rahmen der Leitertagung des DAAD am 13. November 2019. Die Jahrestagung der Leiterinnen und Leiter der Akademischen Auslandsämter und der Auslandsbeauftragten der deutschen Hochschulen ist das zentrale Forum für Fachgespräche und programmatische Diskussionen rund um das Thema „Internationalisierung der deutschen Hochschulen“. Jährlich nehmen mehr als 250 Auslandsamtsleiterinnen und -leiter aus der ganzen Bundesrepublik, Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Ministerien sowie Kolleginnen und Kollegen aus anderen Wissenschafts- und Förderorganisationen an der Leitertagung teil.