Coronavirus: Alumnifachnetz DCAPP unterstützt im psychologischen Krisenmanagement

DCAPP

Solidarität unter Medizinerinnen und Medizinern aus der Psychiatrie und der Psychosomatischen Medizin: DCAPP-Projektpartner Prof. Zhao Xudong (l.) schickt drei Mitarbeiter zur Unterstützung aus Shanghai nach Wuhan. 

Aufgrund der Corona-Pandemie standen und stehen in China Millionen Menschen unter Quarantäne – da ist Expertenwissen auf dem Gebiet der Psychosomatik und der Psychotherapie gefragt. Hier unterstützt das Alumnifachnetz für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DCAPP). Die Erkenntnisse der chinesischen Praxis sind auch für das Krisenmanagement in Deutschland wertvoll. 

Was bedeutet es, wenn Millionen Menschen wegen der Corona-Pandemie unter Quarantäne stehen? Allein in der Stadt Wuhan waren elf Millionen Menschen betroffen. Die chinesische Bevölkerung und insbesondere das eingebundene medizinische Personal, müssen mit extremen Emotionen umgehen: Panik, Schock, Verwirrung, Wut, Trauer, Schuld und Hilflosigkeit. Die akute Krisensituation führt zu vielen psychosomatischen und psychologischen Beschwerden, die im Krisenmanagement adressiert werden müssen. Hierzu leistet das Alumnifachnetz für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DCAPP) einen wichtigen Beitrag. 

Das BMBF-geförderte Expertennetzwerk vereint deutsche und chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Fachkräfte und Stakeholder aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft beider Länder. DCAPP vertritt einen von sieben Fachbereichen der Deutsch-Chinesischen Alumnifachnetze (DCHAN), die seit 2017 mit Unterstützung des DAAD an aktuellen Themen forschen und arbeiten. Seit zweieinhalb Jahren fördern Expertinnen und Experten der Heidelberger und Freiburger Universitätskliniken gemeinsam mit ihren chinesischen Kooperationspartnerinnen und -partnern (am Shanghai East Hospital, Tongji University, an der West China Sichuan University in Chengdu und am Peking Union Medical College Hospital) den Aufbau der in China noch sehr vernachlässigten Disziplinen Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an chinesischen Lehrkrankenhäusern und Universitäten  – eine Pionierarbeit. 

DCAPP berät Gesundheitsbehörden in der psychologischen Krisenintervention
In der aktuellen Krise beraten sie die chinesischen Gesundheitsbehörden in der psychologischen Krisenintervention. Zudem helfen viele der von DCAPP in Psychosomatischer Medizin ausgebildeten chinesischen Medizinerinnen und Mediziner, Psychologinnen und Psychologen sowie Pflegekräfte vor Ort. Prof. Zhao Xudong, Leiter des Pudong Mental Health Centers in Shanghai, ist einer der DCAPP-Projektpartner. Gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen leitete er eine Krisensitzung zur psychischen Belastung der Bevölkerung im Zuge der Ausbreitung des Coronavirus. Aus den Ergebnissen hat das Nationale Gesundheitskomitee Chinas bereits Leitlinien zur „psychologischen Versorgung der in Not befindlichen Bevölkerung“ erarbeitet. Außerdem entsandte sein Team kürzlich drei Psychiater zur Unterstützung nach Wuhan, darunter auch einen Teilnehmer der DCAPP-Mentorengruppe, eines Weiterbildungsprogramms für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der Psychosomatischen Medizin.

Coronakrise DCAPP unterstützt China

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Deutsche und chinesische DCAPP-Projektpartnerinnen und -partnern bei einem Symposium in Deutschland.

Dr. Li Wentian, ebenfalls Teilnehmer der DCAPP-Mentorengruppe und Abteilungsleiter für klinische Psychologie am Mental Health Center in Wuhan, ist mitverantwortlich für den psychologischen Dienst in Wuhan, dem Ursprungsort des Virus. Prof. Wei Jing und Prof. Zhang Lan, Kooperationspartnerinnen von DCAPP, leiten wiederum den psychologischen Notfalldienst in Peking und Chengdu. Alle genannten Medizinerinnen und Mediziner bieten aktuell Supervisionen zum Umgang mit Menschen im Ausnahmezustand an, betreuen das unter starkem Stress stehende medizinische Personal und leisten psychologische Betreuung schwerkranker Patientinnen und Patienten, bis hin zur palliativen Arbeit. Hotlines wurden eingerichtet, die von psychologischem Fachpersonal betreut werden. Kostenlose Onlinekurse zum Thema „psychologische Gesundheit“ und „psychologische Selbsthilfe“ werden der Bevölkerung sowie dem überlasteten medizinischen Personal zur Verfügung gestellt. Koordiniert werden diese Maßnahmen vom Regierungskomitee für Gesundheit und dem Komitee für Psychologische Beratung und Psychotherapie.

Analyse erster statistischer Daten – auch für Deutschland relevant

Dr. Li Wentien, Teilnehmer der DCAPP-Mentorengruppe und Abteilungsleiter für klinische Psychologie am Mental Health Center in Wuhan, analysierte kürzlich erste statistische Daten seines psychologischen Dienstes in der Stadt Wuhan und teilte diese Informationen mit den DCAPP-Mitgliedern. Ausgewertet wurden 2.144 Hotline-Anrufe im Zeitraum vom 4. bis 20. Februar 2020. 

Unter den Anrufern hatten 

  • 47,3 % Angstzustände,
  • 19,9 % Schlafprobleme,
  • 15,3 % somatoforme Symptome,
  • 16,1 % depressive Symptome,
  • 1,4 % andere emotionale Zustände wie Einsamkeitsgefühle, Müdigkeit und Unruhe.
     
  • 39 % der Anruferinnen und Anrufer suchten Unterstützung bei der Bewältigung von Aufgaben des alltäglichen Lebens, u. a. beim Einkaufen, im Verkehr, beim Umgang mit einer medizinischen Diagnose oder bei Erwerb und Behandlung von Schutzmasken. 
  • 19,6 % berichteten von Angst, Unruhe und Schlaflosigkeit, die durch Medienberichte über die Epidemie und die Reaktion der Gesellschaft verursacht wurden. 
  • 15,7 % berichteten über Panik, ein Engegefühl in der Brust und körperliche Symptome ohne Verdacht auf eine Lungenentzündung (somatoforme Symptome). 
  • 4,3 % hatten Symptome einer Lungenentzündung vermutet und waren besorgt über eine mögliche Infektion. 
  • 21,4 % hatten andere psychosoziale Probleme, wie zwischenmenschliche Konflikte in der Familie und Probleme am Arbeitsplatz.

Körperliche Beschwerden durch emotionalen Stress
Emotionaler Stress kann sich auch in Form von körperlichen Beschwerden, wie Herzklopfen, Atemnot, Engegefühl in der Brust, Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Einschlafstörungen und Albträumen äußern. Das Ausmaß der langfristigen psychosozialen Folgen des weltweit verbreiteten Coronavirus wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Seit Ausbruch des Virus in China hat das DCAPP-Projekt mit den chinesischen Kolleginnen und Kollegen fachlich eng zusammengearbeitet. Das Alumni-Fachnetzwerk dient in diesem Rahmen als Plattform und bietet die Infrastruktur, um Kompetenz und Fachwissen rasch auszutauschen und weiterzugeben, Kontakte zu vermitteln und Kooperationen zu initiieren. Da sich das Epizentrum der Pandemie inzwischen nach Europa verlagert hat, sind diese unmittelbaren Erfahrungen nicht nur für die chinesischen Fachnetzmitglieder, sondern auch für ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen sehr relevant und können dabei helfen, die Situation in Deutschland und Europa zu verbessern.

Cécile Jeblawei (26. März 2020)

Weitere Informationen

Deutsch-Chinesische Alumnifachnetze (DCHAN)
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufene Expertennetzwerk vereint deutsche und chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Fachkräfte und Interessengruppen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft beider Länder. Mit Unterstützung des DAAD forschen und arbeiten sie an aktuellen Themen in diesen sieben Fachbereichen:

•    Entrepreneurship
•    Geistes- und Sozialwissenschaften
•    Logistik
•    Maschinenbau
•    Neurowissenschaften
•    Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
•    Urbanisierung und Stadtentwicklung