Leibniz-Preis für DAAD-Alumna: Professorin Juliane Vogel im Porträt

DFG/David Ausserhofer

Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2020: Die Wissenschaftlerin und DAAD-Alumna Prof. Dr. Juliane Vogel gehört zu den zehn Preisträgerinnen und Preisträgern.

Aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 konnte die Verleihung der diesjährigen Leibniz-Preise noch nicht stattfinden. Dennoch stellen wir Ihnen in einer kleinen Serie schon drei DAAD-Alumni unter den Preisträgerinnen und Preisträgern vor. Lassen Sie sich von Juliane Vogel und ihren wegweisenden Analysen des „Auftritts“ und der „großen Szene“ von den Dramen des 19. Jahrhunderts bis zur heutigen Politik führen. Die Professorin für Neuere Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz erhält den Leibniz-Preis 2020 für ihre Arbeiten für eine erklärende und interpretativ ausgerichtete Theater- und Literaturwissenschaft, die Maßstäbe setzen. 

Juliane Vogel liefert eine wegweisende Analyse des „Auftritts“ und der „großen Szene“ aus der Geschichte und Systematik von Dramentext und Theateraufführung. Dabei bezieht sie ebenso Faktoren wie die jeweils zeitgenössische Bildkunst und Mode mit ein und legt auf diese Weise analog auch die heutigen Mechanismen politischer Inszenierungen und Narrative offen.

Vogel studierte in Freiburg und Wien, wo sie auch promovierte und sich 2001 habilitierte: mit dem Thema „Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der großen Szene in der Tragödie des 19. Jahrhunderts“. Darin untersuchte sie Darstellungen von Weiblichkeit, Macht und Marginalisierung. Vogels aktueller Veröffentlichung „Aus dem Grund: Auftrittsprotokolle zwischen Racine und Nietzsche“ wurde 2019 eigens eine dreitägige Konferenz an der University of Chicago gewidmet, an der sie selbst teilnahm.  

Die Gültigkeit von Auftrittsprotokollen in Drama und Politik
Vogels aus ihrer Habilitation hergeleitete Arbeit zu Formelementen im Drama überschreitet regelmäßig auch die Grenzen der disziplinären Festlegungen und macht sie gerade deshalb so wertvoll, auch als Referenz für andere Forschungsansätze. „Ich möchte verstehen, wie ästhetische Formen und insbesondere literarische Gattungen Texte und auch unsere soziale und politische Wirklichkeit strukturieren“, sagt sie. Ihr Kerninteresse gilt dabei dem Auftritt: Wie treten Figuren auf, bevor sie ihren ersten Satz gesagt haben? 

Sogenannte „Auftrittsprotokolle“ verraten viel über die Gesellschaft, sagt Vogel. Das könne man sowohl an Figuren im Drama des 19. und 20. Jahrhunderts erkennen als auch im Film oder bei heutigen Politikerauftritten. Das Auftreten als die Kunst, „in Erscheinung zu treten“ und das Bild der eigenen Person im Moment des Eintretens in einen Raum rhetorisch, theatralisch und ästhetisch zu steigern – hier setzt Vogels literaturwissenschaftlicher Ansatz an. „Wenn Vladimir Putin auf rotem Teppich durch Flügeltüren eintritt, dann konkurriert er mit der Auftrittskunst Ludwigs XIV.“, sagt Juliane Vogel. Auch Donald Trumps Auftrittsinszenierungen interessieren sie: „Das dynamische Herabschreiten von Flugzeugtreppen im Wind der Maschine, der sein Haar oder die Kleider seiner Frau aufbauscht, oder die Auswahl seiner Auftrittsmusik, etwa die Filmmusik aus „Air Force 1“ bei seinem ersten Auftritt als gewählter Präsident – das sind die politischen Protokolle des Auftretens in der Gegenwart.“

Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis

Der Wissenschaftspreis ist der wichtigste Forschungsförderpreis in Deutschland und wird jährlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) auf Vorschlag Dritter vergeben. Die Preisträgerinnen und Preisträger erhalten die Möglichkeit, ihre Forschung zu erweitern, sie zu intensivieren und besonders begabte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu beschäftigen. Der Leibniz-Preis ist mit bis zu 2,5 Millionen Euro pro Preisträgerin oder Preisträger dotiert.

Forschung an Klassikern und Werken der Gegenwart
Die Fragestellungen und Methoden, mit denen sie zeitgenössische Inszenierungen untersucht, wendet Vogel selbstverständlich auch auf ihr eigentliches Forschungsgebiet an: die deutschsprachige Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, mit besonderem Schwerpunkt auf Österreich. Da sind einerseits die Klassiker wie Goethe oder Kleist, andererseits österreichische Autoren wie Hugo von Hofmannsthal, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder der umstrittene, jüngst mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Peter Handke – es wird deutlich, zu welch aktuellen Analysen der Gegenwart die Literaturwissenschaft in der Lage ist, wenn sie ein wenig die Grenzen ihres Faches überschreitet.

Vogels Ansätze und Ergebnisse lieferten der deutschsprachigen Literaturwissenschaft seit Langem wichtige Impulse, in den Medien wird sie oft als Deutschlands bedeutendste Dramenforscherin bezeichnet. Das blieb auch international nicht unbemerkt. Während ihrer Promotion profitierte Vogel 1998 von einem zweimonatigen DAAD-geförderten Wissenschaftleraustausch mit Wien, wo sie bis 2007 blieb, bevor sie dann als ordentliche Professorin an die Universität Konstanz berufen wurde. Ein Jahr zuvor erhielt sie eine Einladung als „visiting professor“ nach Princeton, bis 2011 unterrichtete sie dort regelmäßig. „Ich bin sehr gern in den USA, wegen des hohen Niveaus der ‚Phd students‘ und der konzentrierteren Lehre“, sagt Vogel. Einen Ruf auf eine Stelle als ordentliche Professorin aus den USA lehnte sie aber ebenso ab wie solche von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und aus Wien. Dennoch baute sie intensive Forschungskontakte mit der University of Chicago auf, die ihr dort seit 2017 eine kontinuierliche Lehrtätigkeit ermöglichen.

Leibniz-Preis wichtig für die Literaturwissenschaft
Die Universität Konstanz ist für Juliane Vogels die Basis, dort findet sie sehr gute Arbeitsbedingungen vor. Den Leibniz-Preis möchte sie dazu nutzen, ihre Forschung weiter auszubauen, insbesondere zu Fragen der Form und der historischen Poetik. „Ich bin glücklich darüber, dass der Preis an die Literaturwissenschaft geht und die Anerkennung damit auch der Arbeit in unseren Fächern gilt“, sagt Vogel. So könne sie dazu beitragen, dass die Bedeutung von Texten für unsere Kultur weiterhin präsent bleibe und „wir nicht vergessen, dass wir sie uns immer wieder neu aneignen müssen“.

Torben Dietrich (14. April 2020)

Zur Person

Juliane Vogel, Universität Konstanz

  • Forschungsfeld: Formelemente und Auftrittsprotokolle im deutschsprachigen Drama des 19. und 20. Jahrhunderts
  • Leibniz-Preis für: richtungsweisende Analysen von Dramentexten und Theateraufführungen hinsichtlich der „großen Szene“ mit Bedeutung für heutige Inszenierungen in Film, Drama und Politik  
  • Stationen: Universität Wien, University of Chicago, Universität Konstanz