Die Krise, die eine Chance ist

GJU

Hochschulalltag vor der Coronakrise: Inzwischen ist der Campus der German Jordanian University (GJU) verwaist, weil die GJU ihre Lehre komplett digital anbietet.

In Jordanien herrscht wegen der Corona-Pandemie ein striktes Ausgehverbot. Die German Jordanian University (GJU) hat schnell darauf reagiert und ihre Fach- und Sprachkurse komplett auf Onlinelehre umgestellt. Wie das funktioniert, erzählt Prof. Dr. Ralf Roßkopf, Vizepräsident für Internationales an der GJU. 

„Als die jordanische Regierung Mitte März das Ausgangsverbot verhängte, standen wir vor einer völlig neuen Herausforderung: Wir mussten den kompletten Veranstaltungslehrplan von einem Tag auf den anderen digital anbieten“, berichtet Prof. Dr. Ralf Roßkopf, der seit August 2019 an der GJU in Amman arbeitet. „Das war nur mit einem enormen Team- und Pioniergeist möglich. Verwaltung und Lehrende haben sich schnell mit den neuen digitalen Tools und Lernplattformen auseinandergesetzt und die suboptimalen Bedingungen in dieser Krisenzeit akzeptiert. Alles entscheidend ist eine klare Haltung auf Leitungsebene und die Bereitschaft aller Lehrenden sich auf Neues einzulassen. Die GJU hat hier Großartiges geleistet.“ 

Sprachkurse zu 100 Prozent digital
An der GJU unterrichten etwa 270 hauptamtlich Lehrende insgesamt 4.500 Studierende in Fächern wie Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Medizintechnik, Architektur, Sozialwissenschaften oder Sprachen. Die GJU ist eine der ausländischen Hochschulen, die im Rahmen der Transnationalen Bildung (TNB) aus Mitteln der Bundesregierung (Bundesministerium für Bildung und Forschung, Auswärtiges Amt sowie Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gefördert wird und mit deutschen Hochschulen kooperiert. Deutsche Hochschulen sind mit transnationalen Bildungsangeboten weltweit an 65 Standorten in 36 Ländern in Afrika, Asien, Osteuropa und Lateinamerika präsent. Im Fall der GJU ist Hauptpartner die Hochschule Magdeburg-Stendal. Roßkopf selbst kommt von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, wo er zuvor Vizepräsident für Studium, Lehre und Weiterbildung war; in Amman ist der Jurist nun Vizepräsident für Internationales. Die Universität hat mit rund 65 Lehrenden eines der größten Deutschsprachenzentren außerhalb der Bundesrepublik. Alle Bachelorstudierende der GJU lernen Deutsch und verbringen ein Semester an einer von 120 Partnerhochschulen sowie ein Praktikumssemester in einem deutschen Unternehmen. Die Lehre an der GJU ist eigentlich auf Präsenzlehre ausgelegt. Doch nun finden auch die Sprachkurse zu 100 Prozent digital statt. Wie gut das funktioniert, ist nach Roßkopf eine der erfreulichsten Überraschungen.

digitale Lehre an der GJU

GJU/Matthias Piekacz

Das Wasserrad auf dem Main Campus der German Jordanian University in der jordanischen Hauptstadt Amman ist das Wahrzeichen der Universität.

Schwierige technische Bedingungen
„Die Studierenden haben die digitalen Angebote gut angenommen. Die Teilnahmequote ist sehr hoch, obwohl die technischen Bedingungen schwierig sind“, erzählt Roßkopf. Nicht wenige Studierende besitzen nur Smartphones und keine Laptops, oder sie müssen sich diese mit anderen Familienangehörigen teilen. Die Datenleitungen sind abhängig von der Region häufig instabil, die mobilen Daten manchmal wegen der Ausgangssperre nicht ladbar, die Arbeitsbedingungen daheim selten ideal. „Viele Studierende, insbesondere mit Flüchtlingshintergrund, haben kaum Platz, um zu lernen, weil sie mit ihren Familien auf engem Raum zusammenleben. Dennoch sind die Rückmeldungen durchaus positiv.“ 

Onlinelehre macht müde
Roßkopf hat noch ein weiteres Phänomen festgestellt: Die Onlinelehre macht die Studierenden müde. Dafür gibt es Gründe: „Die Aufmerksamkeit ist höher als beim Seminarunterricht. Die Studierenden sind zwar fokussierter, aber es strengt sie mehr an, der Lehre zu folgen und die Übungen eigenständig zu erledigen. Diese Situation müssen wir verstehen lernen.“ Aufgrund der akuten Krisensituation kann die Universität darauf noch keine idealen didaktischen und methodischen Antworten geben. Fakt sei: „Die aktuelle Onlinelehre dient oftmals noch der reinen Wissensvermittlung. Die Studierenden müssen darüber hinaus aber angeleitet werden, selbstständig zu erlernen, wie sie das Wissen anwenden.“  

Digitale Lehre an der GJU

GJU

Die GJU, eine staatliche Universität nach jordanischem Recht, nahm den Lehrbetrieb 2005 auf. Sie bietet Studierenden eine Ausbildung gemäß dem deutschen Fachhochschulmodell.

Ein Schub für die Onlinelehre
Die aktuelle Krise sei aber auch eine Chance, so Roßkopf: „Wir lernen jetzt, die digitalen Tools für die Onlinelehre besser einzusetzen. Das wird ihr einen enormen Schub geben. Der digitale Unterricht wird schon bald ein Massenphänomen sein. Die GJU setzt noch in der Krise ein Zeichen und hat die Entscheidung getroffen, Onlinelehre zu einem Profil zu entwickeln. Allerdings werden wir die angewandte Lehre dafür anders entwickeln müssen. So müssen wir die Studierenden künftig besser anleiten, wie sie sich das Wissen anhand strukturierter Materialen zeit- und ortsunabhängig erarbeiten sollen sowie die Anwendung des erlernten Wissens im Rahmen digitaler Übungen einüben können. Die Online-Präsenzveranstaltungen dienen dann dem Hinterfragen, Vertiefen und dem Austausch – auch auf menschlicher Ebene, weil der zwischenmenschliche Kontakt der Seminarveranstaltungen einfach fehlt – gerade in Krisenzeiten.“

Lehre möglich machen 
Alle Beteiligten – Studierende und Lehrende der GJU – finden sich inzwischen mit der Situation zurecht. Es gibt dazu auch keine Alternative: Das Semester wird gewertet. Darin sind sich das Bildungsministerium und die Universitätsleitung einig. „Deswegen wird die Onlinelehre auch sehr ernst genommen“, sagt der deutsche Jurist. Die Semesterprüfungen werden Mitte Juni stattfinden. Falls die Noten nicht so ausfallen wie erhofft, haben die Studierenden die Möglichkeit statt der Note eine Bewertung mit „bestanden“ oder nicht „bestanden“ zu erhalten. Roßkopf findet das gut: „Denn das Beispiel der GJU zeigt, dass man auch mit suboptimalen Bedingungen Lehre möglich machen kann.“  

Michael Siedenhans (28. April 2020)