„Gemeinsame Werte in Europa sind das Leitmotiv unserer Arbeit“
DAAD/Marina Steinmann
Ulrich Grothus (links) und Prof. Dr. Joybrato Mukherjee liegen die europäischen Werte sehr am Herzen.
Welche Rolle spielt der europäische Wertekanon für den Europäischen Hochschulraum? Darüber diskutierten europäische Hochschulleitungen und Entscheidungsträger aus Hochschulorganisationen im September 2019 im hessischen Kloster Eberbach. Eingeladen hatte der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) gemeinsam mit der Academic Cooperation Association (ACA). Pünktlich zum Jahrestag der Bologna-Erklärung veröffentlichen die Experten nun einen gemeinsamen Appell. Welche Ziele der Eberbach-Appell verfolgt, erklären DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee und vier weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung.
Interview Prof. Dr. Joybrato Mukherjee
Weshalb hat der DAAD einen Runden Tisch zur Wertediskussion im Europäischen Hochschulraum veranstaltet?
Die Initiative ging von der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD aus, die das Thema seit Jahren intensiv begleitet. Sie hat beispielsweise im Jahr 2018 eine Studie zum Thema „Leitbild Freiheit und Demokratie“ veröffentlicht. Es gab zunächst Überlegungen für größere Veranstaltungen, wir haben uns dann aber für eine Bestandsaufnahme und Positionsbestimmung mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Hochschul- und Organisationsleitungen aus ganz Europa entschieden. Im September 2019 haben wir die Expertinnen und Experten gemeinsam mit der Academic Cooperation Association (ACA) zu einer Klausur ins hessische Kloster Eberbach eingeladen. Ziel war es, die Bedeutung des europäischen Wertekanons für den Europäischen Hochschulraum zu reflektieren.
Die Arbeit des DAAD steht seit jeher für die Vermittlung eines Wertekanons, der auf Austausch, Verständigung und Toleranz beruht. Gemeinsam mit unseren Mitgliedshochschulen können wir hier in den vergangenen Jahren auf vielfältige Erfolge blicken. Allerdings: Wir sollten uns auf dem Erreichten nicht ausruhen. In den letzten Jahren sind weltweit und auch in der Europäischen Union Entwicklungen zu beobachten, die der Unabhängigkeit der Hochschulen sowie dem partnerschaftlichen Streben nach Wahrheit, neuen Erkenntnissen und wissenschaftlicher Integrität klar entgegenstehen. Für mich sind daher gemeinsame Werte in Europa Leitmotiv unserer Arbeit, bei deren Gestaltung die europäischen Hochschulen eine zentrale Rolle spielen.
Das Kloster Eberbach war Schauplatz der Klausurtagung, zu welcher der DAAD Expertinnen und Experten sowie HS-Leitungen im September 2019 eingeladen hatte.
Wie kam es zur Veröffentlichung des Eberbach-Appells?
Bereits während der Klausur äußerten Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Wunsch, dem Thema bei der nächsten europäischen Bildungsministerkonferenz mehr Gewicht zu verleihen. In den Communiqués der Ministerkonferenzen spielt das Thema Werte seit 1999 eine Rolle, allerdings lag der Fokus bislang auf den hochschulbezogenen Werten akademische Freiheit und institutionelle Autonomie. In den letzten Jahren kam die Beteiligung von Studierenden und Personal hinzu. Wir haben uns daher entschlossen, eine Botschaft an die für das Frühjahr 2020 in Rom geplante Ministerkonferenz zu formulieren. Dies ist auch erfolgt, allerdings wurde die Konferenz wegen der Corona-Pandemie auf November verschoben. Entsprechend haben wir uns mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Klausur dazu entschieden, den Appell direkt und europaweit zu veröffentlichen. Als Anlass lag der Jahrestag der Bologna-Erklärung im Juni nahe, mit der vor 21 Jahren der Europäische Hochschulraum geschaffen wurde.
Gerade in schwierigen Zeiten müssen wir uns auf die Grundlagen dieses Europäischen Hochschulraums besinnen, denn er bietet – weltweit fast einmalig – ein gemeinsames Wertefundament, das zentrale gesellschaftliche Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit akademischen Werten wie Wissenschaftsfreiheit, Hochschulautonomie und Transparenz verbindet. Den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Appells liegt diese Verbindung akademischer und gesellschaftlicher Werte sehr am Herzen, zudem wollen sie eine Lanze für die Wissenschaftsfreiheit und die Förderung und Anerkennung des Lernens und Forschens unabhängig von Ideologien oder politischen und wirtschaftlichen Interessen brechen. Dafür müssen und wollen die Hochschulen in erster Linie selbst Verantwortung übernehmen, es müssen aber auch Rahmenbedingungen in der Bildungspolitik betrachtet und – wo erforderlich – verändert werden.
Welche Schritte sollen jetzt konkret folgen?
Wir wünschen uns, dass unser Appell einerseits bei den Ministerinnen und Ministern Gehör findet, und andererseits über die Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichner in weitere nationale, europäische und internationale Diskurse eingespeist wird. Ich selbst habe das Papier kürzlich der Allianz der Wissenschaftsorganisationen vorgestellt, die unsere Forderungen unterstützt. Der DAAD ist in zahlreichen Gremien präsent, die sich mit der Umsetzung der Ideen beschäftigen und wird sich weiterhin dafür stark machen, die Wertediskussion voran zu treiben. Darüber hinaus werden natürlich weitere Aktivitäten zum Thema folgen, beispielsweise Veranstaltungen oder Publikationen.
Wichtiger erscheint mir aber, nochmals die Intention des Appells zu unterstreichen: Alle Akteure im Europäischen Hochschulraum müssen sich bewusst machen, dass nicht die gut bestückte Instrumentenkiste, sondern der zugrundeliegende Wertekanon identitätsstiftend ist. Die Verbindung von grundlegenden gesellschaftlichen und akademischen Werten ist ein zentraler Kern des gemeinsamen Europas und die Hochschulen tragen für den Erhalt dieser Verbindung eine besondere Verantwortung.
Was bedeutet der gemeinsame Wertekanon für den Europäischen Hochschulraum? Vier Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Klausur im Kloster Eberbach beziehen Position.
Ulrich Grothus, Präsident der Academic Coorperation Association (ACA)
„Europäischer Hochschulraum bedeutet mehr als Bachelor und Master, ECTS-Punkte und Akkreditierung. Akademische Freiheit und Hochschulautonomie, Integrität und Transparenz sind für Lehre, Studium und Forschung unverzichtbar. Zugleich stehen Hochschulen für die Werte der Europäischen Union ein: Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat und Diskriminierungsverbot. Schließlich sind Hochschulen Orte für rationale Diskussion und verantwortliche Entscheidungen über streitige Wertvorstellungen.“
Dr. Margit Sutrop, Professorin für praktische Philosophie, Leiterin des Zentrums für Ethik, Universität Tartu, Estland und Kone Fellow at the Helsinki Collegium for Advanced Studies, Universität Helsinki, Finnland
„Der Eberbach-Appell kommt zu einer Zeit heraus, während der sich Europa von der Covid-19-Krise erholt. Diese Pandemie macht uns darauf aufmerksam, dass unser akademisches Leben und das europäische Hochschulsystem (Reisefreiheit, Rede- und Meinungsfreiheit, akademische Freiheit, Gerechtigkeit) alles andere als selbstverständlich sind. Nach der gesundheitlichen Krise wird wahrscheinlich die ökonomische Krise folgen, in manchen Ländern auch die Krise der schon bedrohten Demokratie. Das setzt die Hochschulen finanziell und politisch umso mehr unter Druck. Aufgrund dieser Entwicklung wird es noch wichtiger und dringlicher, dass die europäischen Hochschulen zusammenarbeiten und für die akademische Freiheit eintreten sowie die Kultur des Mutes bei den Hochschulleitungen und unter den WissenschaftlerInnen kultivieren. Dies zu tun, dazu fordert uns der Eberbach-Appell auf."
Stéphane Lauwick, Präsident der European Association of Institutions in Higher Education (EURASHE)
“EURASHE supports the vital need for all Higher Education institutions to share in a common, European set of values to determine what they stand for, and to afford each citizen-student the ability to construct their future in an iterative dialogue with science. EURASHE passionately believes that each institution, each professor and ultimately each student in Europe should be given the opportunity to contribute to an ecosystem that convenes academic, scientific, economic and ethical integrity: that is our common heritage.”
Professor Dr. Igor Papič, Rektor University of Ljubljana, Slowenien
“The values of the European higher education system advocated by the signatories of the Eberbach Statement should form the basis for the entire European higher education environment and should also be included in academic programmes. The role of each university and higher education system is to educate people who can think critically, and whose ideas, findings and products will contribute to the development of society. Therefore, we must teach them how to solve problems we may not even recognise today. We must encourage them to pursue the kind of thinking that is based on the values in this Statement.”
(17. Juni 2020)