„Hochschulen gezielt bei der Krisenbewältigung unterstützen“

Eric Lichtenscheidt

Dr. Jan Kercher, DAAD-Experte für Externe Studien und Statistiken, hat die Folgen der Corona-Krise für die internationale Hochschulwelt im Blick.

Wie gehen die deutschen Hochschulen mit der Corona-Krise um? Wie bereiten sie sich auf das kommende Semester vor? Und was sagen internationale Studierende, die Auslandspläne haben, zur Corona-Krise? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt die Studie „Corona-Folgen für die Hochschulen“, die der DAAD jetzt veröffentlicht hat. Wir haben mit Dr. Jan Kercher, Experte für Externe Studien und Statistiken beim DAAD, gesprochen. 

Warum wurde die Studie „Corona-Folgen für die Hochschulen“ durchgeführt?
Bislang gab es noch keine Bestandsaufnahme dazu, wie die deutschen Hochschulen mit der Corona-Krise umgegangen sind und wie sie sich aktuell auf das kommende Semester vorbereiten, nur anekdotische Hinweise einzelner Hochschulen. Solch eine Bestandsaufnahme ist aber nötig, um die Hochschulen gezielt und bedarfsgerecht bei der Bewältigung der Krise unterstützen zu können. Zudem wissen wir, dass an den Hochschulen derzeit eine große Verunsicherung herrscht und gerade Informationen, wie andere Hochschulen sich verhalten haben, dabei helfen können, mit dieser Unsicherheit besser umzugehen. Auch der Blick auf andere Länder und die Hochschulen dort, kann hier sehr hilfreich sein. Ein weiterer Ansporn für uns war, dass unsere Schwesterorganisation in den USA, das International Institute of Education, bereits eine ähnliche Befragung unter US-Hochschulen durchgeführt hat. Wir haben diese Befragung dann weitgehend übernommen, um auch Vergleiche zur Situation in den USA ziehen zu können.

Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen?
Die Corona-Krise hat die Studierendenmobilität in Deutschland stark beeinträchtigt. So konnten an drei Vierteln der Hochschulen internationale Studierende im Sommersemester aufgrund der Reisebeschränkungen nicht wie geplant ihr Studium in Deutschland beginnen oder fortsetzen. Gut 40 Prozent der Hochschulen gaben an, dass internationale Studierende Deutschland verlassen haben, nachdem an ihrer Hochschule oder auf Bundesebene Einschränkungen, etwa der Reisefreiheit, aufgrund der COVID-19-Pandemie in Kraft traten. Hochgerechnet ergibt sich für alle Hochschulen in Deutschland eine Zahl von rund 80.000 Studierenden, die Deutschland aufgrund der Corona-Krise verlassen haben. Zudem wurden an 80 Prozent der Hochschulen Welcome-Veranstaltungen für internationale Studierende abgesagt, auch internationale Dienstreisen zu Marketingzwecken konnten an zwei Dritteln der Hochschulen nicht stattfinden. Ein knappes Drittel der Hochschulen hat im Sommersemester bestimmte Auslands- und Austauschprogramme eingestellt, fast ein Viertel sogar sämtliche Programme. Das sind natürlich heftige Einschnitte für die Studierendenmobilität in Deutschland.

Es gibt aber auch einige erfreuliche und optimistisch stimmende Erkenntnisse. Circa ein Drittel der Hochschulen gibt an, dass im Sommersemester kaum Studierende ihre geplanten Auslandsaufenthalte abgesagt haben. Ein weiteres Viertel geht davon aus, dass der Anteil der Studierenden, die ihre geplanten Auslandsaufenthalte abgesagt haben, weniger als die Hälfte beträgt. Mehr als ein Drittel der Hochschulen geht von einem unveränderten Interesse der Studierenden an Auslandsaufenthalten im kommenden Wintersemester aus. Ein weiteres knappes Drittel geht nur von einem leichten Rückgang des Interesses aus. Diese optimistischen Einschätzungen decken sich auch mit internationalen Studierendenbefragungen. So hat eine aktuelle Umfrage unter internationalen Studierenden mit Auslandsplänen gerade ergeben, dass nur sieben Prozent ihre Auslandspläne aufgrund der Corona-Krise aufgegeben haben. Und: Deutschland zählt unter diesen Studierenden neben Neuseeland und China zu den drei Ländern, deren Umgang mit der Krise am besten beurteilt wird. Das lässt darauf hoffen, dass es in Deutschland keinen allzu starken Rückgang bei der Zahl der internationalen Studierenden im Wintersemester geben wird.

Wie haben die Hochschulen auf die Krise reagiert? 
Die deutschen Hochschulen haben aus unserer Sicht sehr besonnen und gleichzeitig sehr engagiert auf die Krise und die damit verbundenen Einschränkungen des Hochschulbetriebs reagiert. Etwa die Hälfte der Hochschulen hat im Sommersemester auf ein Mischmodell aus Präsenzlehre und virtueller Lehre umgestellt, die andere Hälfte hat ausschließlich auf virtuelle Lehre umgestellt. Über 90 Prozent der Hochschulen haben die eigenen Studierenden im Ausland bei der Rückreise unterstützt, zum Beispiel durch organisatorische oder auch finanzielle Hilfen. Hochgerechnet auf alle Hochschulen in Deutschland kann von etwa 8.500 Fällen auf diese Weise unterstützter Rückreisen ausgegangen werden. Sieben von zehn Hochschulen haben Welcome-Veranstaltungen virtuell durchgeführt, etwa die Hälfte setzt auf verstärktes Onlinemarketing. Über 80 Prozent der Hochschulen haben auf die Corona-Krise mit Modifikationen bei den Bewerbungs- und Auswahlverfahren für internationale Studierende reagiert. An etwa zwei Dritteln der Hochschulen wurden Bewerbungsfristen verlängert, an jeder zweiten Hochschule ist es nun möglich, Bewerbungsunterlagen auch online einzureichen. Was uns auch sehr gefreut hat: Nur zwei Prozent der Hochschulen berichten von Schließungen von Studierendenwohnheimen. Zum Vergleich: In den USA war das bei über der Hälfte der befragten Hochschulen der Fall. Gerade für internationale Studierende führen solche Schließungen aber zu massiven Problemen und im Extremfall zu Obdachlosigkeit, da sie oft keine Möglichkeit haben, zumindest vorübergehend bei Freunden oder Verwandten unterzukommen. Es ist also sehr erfreulich, dass diese Problematik in Deutschland weitestgehend ausblieb.

Was hat es mit der Website „Corona-Folgen für die internationale Hochschulwelt: Studien & Prognosen“ auf sich?
Hiermit wollen wir die Hochschulen und die Hochschulpolitik dabei unterstützen, sich möglichst schnell und einfach einen Überblick über die Folgen der Corona-Krise für die internationale Hochschulwelt verschaffen zu können. Denn es gibt bereits eine so erstaunliche Vielzahl an Analysen und Prognosen zu diesem Thema, dass man leicht den Überblick verliert. Wir haben deshalb auch schon vor zwei Monaten ein wöchentliches „Corona-Update“ gestartet, das Hochschulen sich per Mail zuschicken lassen können. Hier sammeln wir internationale Pressemeldungen dazu, wie die Hochschulen und die Hochschulpolitik in anderen Ländern mit der Corona-Krise umgehen. Wir hoffen, dass wir den Hochschulen auf diese Weise helfen können, etwas besser mit der schwierigen und vor allem auch sehr dynamischen Situation derzeit umzugehen. 

Dr. Jan Kercher/Barbara Westfeld (1. Juli 2020)