Hoffnung für den Libanon
HOPES
Dr. Carsten Walbiner ist ein Kenner des Nahen Ostens und leitete im Auftrag des DAAD das EU-finanzierte Projekt Higher and Further Education Opportunities & Perspectives for Syrians (HOPES) und nun HOPES-LEB.
Das von der EU geförderte Projekt HOPES (Higher and Further Education Opportunities and Perspectives for Syrians) geht im August zu Ende und ein ebenfalls von der EU gefördertes Nachfolgevorhaben im Libanon läuft an. HOPES-Programmdirektor Dr. Carsten Walbiner erläutert im Interview Hintergründe, Herausforderungen und Hoffnungen von HOPES-LEB.
Herr Dr. Walbiner, das Programm HOPES-LEB ist im April angelaufen. Welche neuen Möglichkeiten eröffnet es Studierenden und Hochschulen?
Der Libanon ist ein erschüttertes, schwaches Land, das überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen hat. HOPES-LEB basiert auf den Erfolgen des Vorgängerprogramms, wird allerdings nur im Libanon implementiert. Bei den Maßnahmen setzen wir auf Kontinuität, für ein verbessertes und auf den lokalen Kontext fokussiertes Angebot. Dabei führen wir Mechanismen ein, um die lokalen Akteurinnen und Akteure sowie die Entscheidungsträgerinnen und -träger stärker einzubinden, etwa bei der Frage, für welche Bereiche wir Angebote unterbreiten, wie wir die Verbindung zum Arbeitsmarkt herstellen. Wir können sehr flexibel agieren, denn seitens der EU haben wir weitgehende Freiheiten über unser Vorgehen, wenn wir dieses gut begründen.
Wo liegt in der Startphase der Schwerpunkt der Arbeit?
Seit Beginn gilt es erst einmal, das Projektbüro aufzubauen und organisatorisch-logistische Herausforderungen zu bewältigen. Wir haben uns verpflichtet, in den ersten drei Monaten den konkreten lokalen Bedarf zu ermitteln: Was brauchen die Begünstigten eigentlich? In welchem Bereich? Wie stellen sie sich selbst die Hilfe vor? Und wie kann man zu Lösungen kommen, die auch akzeptiert werden? Dazu gehen wir in den Austausch mit Stakeholdern und Zielgruppen und prüfen, welche Optionen es gibt, damit wir ein passgenaues Angebot erstellen können, das nicht nur ein frommer Wunsch bleibt.
HOPES gibt geflüchteten Studierenden neue Chancen, ihre Bildungsbiographie erfolgreich fortzuschreiben.
Mit welchen besonderen Herausforderungen haben die Akteurinnen und Akteure in der Corona-Zeit zu kämpfen?
Der Libanon war schon im letzten Jahr in einer schweren Krise und erlebte massive politische Proteste, die glücklicherweise weitgehend friedlich verliefen. Dann hat die Corona-Krise die Probleme in extremer Weise verschärft – mit Auswirkungen, die drastisch sein werden. Es gibt kaum noch Arbeit und zugleich findet keine Rückkehrbewegung nach Syrien statt. Das setzt unsere Zielgruppe und die Institutionen zusätzlich unter Druck, stellt auch Hochschulen vor existenzielle Probleme. Das wiederum verschlimmert die Lage weiter und führt zu zusätzlichem Hilfsbedarf. Die Studiengebühren selbst an der für unsere Verhältnisse nicht teuren staatlichen Universität sind für viele nicht mehr zu leisten.
Die aktuelle Situation zeigt, dass Bildung und wissenschaftlicher Austausch wichtiger sind denn je. Welchen Beitrag kann HOPES-LEB hier leisten?
Im Libanon messen die Menschen Bildung einen immensen Wert bei, sie glauben an die besseren Chancen, die daraus resultieren. Deshalb verzichten sie, investieren in ihre Kinder und verschulden sich für deren Hochschulbesuch. Aber viele kommen mittlerweile an die Grenzen des Machbaren. Früher war eher die Frage, wo die Kinder studieren, heute, ob das überhaupt zu finanzieren ist. Man erkennt deshalb auch einen deutlichen Trend zur Abwanderung an die günstigere staatliche Universität. Für viele Syrerinnen und Syrer bedeutet der Gang in die Hochschulbildung, erst mal Zeit zu gewinnen. Da sie offiziell nicht arbeiten dürfen, ist das für sie oft der einzig gangbare Weg. Es gibt im Prinzip keine Arbeit im Libanon, aber der Wunsch nach höherer Bildung ist ungebrochen – auch, weil man seine Hoffnung auf etwas fokussieren und sein eigenes Schicksal verbessern kann.
Im Rahmen des HOPES-Programms konnten bereits Hunderte von Studierenden ihre erfolgreichen Abschlüsse entgegennehmen.
Wie können Hochschulen und Studierende von dem Projekt profitieren?
Studierende können sich entweder für eins der 400 regulären Stipendien oder der 600 sogenannten Kursstipendien bewerben. Letztere ermöglichen eine zusätzliche Qualifizierung entlang des gesamten Bildungsweges, etwa durch die Vermittlung zusätzlicher Fähigkeiten. Manchmal ist der Abschluss zum Beispiel nicht reif für den Arbeitsmarkt, oder es werden zusätzliche Sprach- oder Statistikkenntnisse benötigt. Diese Kursstipendien helfen flexibel, denn letztlich geht es darum, dass die Menschen eine Arbeit bekommen und Geld verdienen. Hier übernehmen wir mit unseren Angeboten auch eine gewisse Verantwortung: Wir können nicht 500 Kunsthistorikerinnen und -historiker heranziehen, die der Arbeitsmarkt nicht braucht. Die Hochschulen sind unsere Partner bei der Implementierung der Stipendien und Projekte. Sie können sich für Kleinprojektförderung bewerben, also für Aktivitäten, die im weitesten Sinne unserem Projektziel dienen. Wir werden diese mit unseren lokalen Partnern noch genauer spezifizieren. Eine Idee ist ein Orientierungstest für Abiturientinnen und Abiturienten, der die individuellen Interessen und Neigungen mit den Studienfächern abgleicht. Denn eine Findungsphase, wie es sie bei uns gibt, ist hier allein finanziell nicht möglich.
Viele Absolventinnen und Absolventen von HOPES engagieren sich während der Corona-Krise lokal, gründen Initiativen. Wie erklären Sie sich dieses Engagement?
Auf den ersten Blick hat mich überrascht, mit welch großem Spektrum an Aktivitäten sich unsere Studierenden engagiert haben – in ihren jeweiligen Fachgebieten oder bei freiwilligen Aktionen. Einige haben beispielsweise in ihrem eigenen Dorf ein Sanitätskomitee gegründet. Ich kann mir vorstellen, dass Bedürftige Nöte viel intensiver erfahren und die Selbsthilfe zur Überlebensstrategie wird. Insofern war es vielleicht nur auf den ersten Blick überraschend. Der Gedanke, dass man als Stipendiatin oder Stipendiat zu den Privilegierten gehört, in einer schwierigen Phase Hilfe bekommen hat und nun etwas weitergeben will, spielt sicherlich auch eine Rolle. Hier erwächst aus der Chance eine Verpflichtung. Insofern sind unsere Stipendien auch symbolisch sehr wichtig: Die Menschen merken, dass es jemanden gibt, der sich kümmert und hilft – das gibt Hoffnung.
Wir blicken in die Zukunft. Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: „HOPES-LEB hat dazu geführt, dass ...“
... Menschen geholfen wurde und wir erlebt haben, wie man Bildung in Krisen möglich machen und dadurch zu deren Überwindung beitragen kann. Wir dürfen die Potenziale unserer Absolventinnen und Absolventen nicht unterschätzen: Wir bringen Multiplikatoren hervor und hoffen, dass sich daraus Netzwerke und Strukturen für die Zukunft entwickeln. Deshalb ist unsere Verantwortung auch größer, als nur den Beteiligten möglichst großen persönlichen Erfolg zu verschaffen. Man darf nicht vergessen, was ein solches Programm bedeutet, auch wenn seine Effekte erst in der Zukunft wirklich messbar werden.
Stephan Kuhn (7. Juli 2020)
Mostafa, Abschluss in Geschichte an der Libanesischen Universität (2018) und Alumnus des HOPES-Projekts:
„In dieser schwierigen Zeiten der Coronavirus-Pandemie haben wir uns zusammen mit einigen Freundinnen und Freunden freiwillig gemeldet, um Lebensmittelkörbe an Menschen in Not zu verteilen. Das geschah im Rahmen einer Initiative, die wir ‚Ich bin ein Mensch‘ nannten, weil wir einen Sinn für Menschlichkeit und die Menschheit haben. Wir haben Lebensmittelvorräte gesammelt und 25 Körbe an bedürftige Familien abgegeben. Nächste Woche werden wir 48 weitere Körbe verteilen ... und in diesem Bemühen fortfahren.“
Lesen Sie mehr über das Engagement der Alumni des HOPES-Projekts im „THE HOPES-LEB“-Newsletter.
Das ist HOPES-LEB
HOPES-LEB ist eine Anschlussunternehmung des vom EU Madad Fund von 2016 bis 2020 geförderten Projekts HOPES (Higher and Further Education Opportunities and Perspectives for Syrians), das mit seinen 620 Vollstipendien, 32 Kleinprojekten, 8.000 Englischkursen und zahlreichen Veranstaltungen dazu beigetragen hat, die Folgen der Syrienkrise im Bereich der höheren Bildung für Geflüchtete und Aufnahmegesellschaften in den Nachbarländern Syriens abzumildern und jungen Menschen in schwierigen Situationen neue Perspektiven zu eröffnen. Die erreichten Ergebnisse haben die EU veranlasst, 8,4 Millionen Euro für HOPES-LEB bereitzustellen, das vom DAAD in bewährter Partnerschaft mit Nuffic und Campus France im Libanon umgesetzt werden wird. Wie schon beim Vorgängervorhaben sollen junge Menschen – Einheimische und Geflüchtete gleichermaßen – durch einen Maßnahmenmix in die Lage versetzt werden, höhere und weiterführende Bildung zu erwerben und so ihre Zukunftsaussichten zu verbessern.