„Für Forschungsfreiheit einstehen“

Eric Lichtenscheidt/DAAD

Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, Präsident des DAAD: „Hochschulen müssen frei und kritisch forschen können.“

DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee über die „Bonner Erklärung zur Forschungsfreiheit“, die Verantwortung der Hochschulen und den Umgang mit problematischen Partnern.

Herr Professor Mukherjee, am 20. Oktober hat die Konferenz der EU-Forschungsministerinnen und -minister die „Bonner Erklärung zur Forschungsfreiheit“ verabschiedet. Warum ist ein solches Signal aktuell notwendig?
Die Freiheit der Forschung gerät in verschiedenen Ländern zunehmend unter Druck: Weltweit beobachten wir eine autoritäre Welle, selbst in Kernländern des Westens. Außerhalb Europas stehen kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in manchen Ländern regelrecht im Fadenkreuz, aber auch in der EU ist nicht alles zum Besten bestellt. In Ungarn wird eine missliebige Universität kurzerhand geschlossen, in Polen erlegen sich kritische Forschende aus Angst vor Konsequenzen inzwischen eine Selbstzensur auf. Dabei ist Forschungsfreiheit unerlässlich und es lohnt sich, für sie einzustehen. Ohne sie wird es uns nicht gelingen, Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit zu finden – weder auf den Klimawandel noch auf die vielfältigen Herausforderungen der Corona-Pandemie oder den massiven Verlust an biologischer Vielfalt. Die Erklärung der EU-Forschungsministerinnen und -minister ist ebenso begrüßenswert wie konsequent: Auf weltweit einzigartige Weise steht die Europäische Union für die grenzüberschreitende Verbindung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten mit akademischen Werten wie Wissenschaftsfreiheit, Hochschulautonomie und Transparenz.

Welche Rolle fällt den Hochschulen im Kampf um die Freiheit zu?
Die Hochschulen sind entscheidend für die Weitergabe der genannten europäischen Werte. Wissen und Verständnis können sie aber nur adäquat vermitteln, wenn ihre akademische Freiheit und ihre institutionelle Autonomie geschützt sind. Dazu zählt, Ethik und Transparenz in Forschung, Lehre und Transfer zu wahren sowie Hochschulpersonal und Studierende an der Gestaltung und Leitung der Hochschulen zu beteiligen. Der Europäische Hochschulraum bietet dazu ein kostbares, verbindendes Wertefundament, das aber immer wieder aufs Neue lebendigen Austausch hervorbringen muss. Dazu fordert auch der bereits 2019 vom DAAD und der Academic Cooperation Association initiierte und von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen unterstützte Eberbach-Appell auf.

„Für Forschungsfreiheit einstehen“

BMBF/Hans-Joachim Rickel

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek unterschreibt bei der hybriden Ministerkonferenz am 20. Oktober 2020 die Bonner Erklärung zur Forschungsfreiheit.

Unterzeichnet wurde der Eberbach-Appell von Verantwortlichen aus Hochschulleitungen und Hochschulorganisationen. Was ist Ihr gemeinsames Ziel?
Die Stärkung der akademischen und gesellschaftlichen Werte Europas. Dies umfasst, dass wir für Lernen und Forschen unabhängig von ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Interessen streiten. Dafür müssen und wollen die Hochschulen in erster Linie selbst Verantwortung übernehmen, aber auch die politischen Rahmenbedingungen müssen entsprechend gestaltet werden. Hochschulen müssen frei und kritisch forschen können.

Was tut der DAAD für die akademische Freiheit?
Mit unserem Kerngeschäft, der Förderung von akademischem Austausch, Mobilität und internationalen Projekten, stärken wir Werte wie Offenheit, Toleranz und interkulturelles Verständnis. Zahlreiche Studien belegen, wie ein Auslandsstudium die eigene Persönlichkeit festigt und zugleich die Fähigkeit zur kritischen Reflexion fördert. Die akademische Freiheit ist aber nicht nur auf der individuellen Ebene facettenreich. Wir begleiten mit unserer Projektförderung vielfältigen grenzüberschreitenden Austausch. So sind zum Beispiel die von uns geförderten Europäischen Hochschulallianzen auch in ihrem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit der europäischen Idee verpflichtet. Der DAAD ist nicht zuletzt ein Thinktank: Mit unserem weltweiten Netzwerk beobachten und analysieren wir sehr aufmerksam, wie es um die Wissenschaftsfreiheit bestellt ist, und setzen uns global für sie ein. Auch das Benennen von Missständen und Forderungen zur Verbesserung der Lage in diesem Bereich ist ein Einsatz für die Forschungsfreiheit.

Wann werden die Bedingungen zu problematisch für akademischen Austausch?
Wenn die Sicherheitslage Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie auch unsere Beschäftigten gefährdet. Ansonsten gilt: Gerade wenn es problematisch wird, sollten wir im Austausch bleiben! Wie können wir sonst dazu beitragen, dass sich die Bedingungen für die Studierenden, Forschenden und Hochschulen in den jeweiligen Ländern verbessern? Diese Offenheit im Austausch darf aber nie dazu führen, dass ein totalitäres Regime stabilisiert wird.

(6. November 2020)