Deutschland als Studienstandort trotz Corona immer beliebter
Eric Lichtenscheidt
Dr. Jan Kercher ist DAAD-Experte für externe Studien und Statistiken.
Der DAAD hat in der ersten Dezemberhälfte eine Schnellumfrage zu den Einschreibezahlen der internationalen Studierenden im Wintersemester 2020/2021 gemacht. Teilgenommen haben 161 von 270 Mitgliedshochschulen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Drei Fragen an Dr. Jan Kercher, DAAD-Experte für externe Studien und Statistiken, der die Ergebnisse erläutert.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Schnellumfrage an den deutschen Hochschulen?
Ich fange mal mit der größten und erfreulichsten Überraschung an. Anders als erwartet ist die Gesamtzahl der internationalen Studierenden in Deutschland laut unserer Hochrechnung im Vergleich zum Vorjahr nicht gesunken, sondern sogar gestiegen: von rund 319.000 auf rund 330.000, also um etwa drei Prozent. Zwar gab es bei den neu eingeschriebenen Gast- und Austauschstudierenden einen starken Einbruch von rund 22.000 auf rund 10.000 Studierende. Gleichzeitig ist aber die Zahl der neu eingeschriebenen internationalen Regelstudierenden, die einen Abschluss in Deutschland anstreben, von rund 57.000 auf rund 67.000 Studierende gestiegen, das heißt um etwa 17 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr davor lag dieser Anstieg bei gerade einmal drei Prozent. Die längerfristige Attraktivität Deutschlands als Studienstandort scheint also vor dem Hintergrund der Corona-Krise eher noch zugenommen zu haben; es wollen nun noch einmal deutlich mehr internationale Studierende als bisher ihr gesamtes Studium an deutschen Hochschulen absolvieren. Dass dieser Effekt so deutlich ausfällt, hätte ich tatsächlich nicht erwartet.
Dafür, dass die Gesamtzahl der internationalen Studierenden gestiegen ist, muss es angesichts der beschriebenen Zahlen aus unserer Hochrechnung aber noch einen weiteren Grund geben: Ganz offensichtlich haben in den letzten beiden Semestern weniger Studierende als in früheren Jahren ihr Studium in Deutschland abgeschlossen und das Hochschulsystem verlassen. Das dürfte ein weiterer Corona-Effekt sein. Zum einen gibt es sicherlich Studierende, bei denen es aufgrund der Corona-bedingten Umstellungen im Studienbetrieb zu Verzögerungen im Studienverlauf gekommen ist. Zum anderen vermute ich, dass mehr Bachelorabsolventinnen und -absolventen als sonst direkt mit einem Masterstudium begonnen haben, um nicht – wie ursprünglich vielleicht geplant – in der aktuellen Situation nach einem Job suchen zu müssen. Das halte ich für sehr plausibel und vor allem auch für sehr verständlich.
Sind die neu eingeschriebenen internationalen Studierenden denn auch tatsächlich alle nach Deutschland eingereist? Oder studieren die meisten von ihnen derzeit noch in digitaler Form von ihrem Heimatland aus?
Auch das hat uns überrascht: An hochgerechnet 85 Prozent der Hochschulen, die sich diesbezüglich zu einer Aussage oder Einschätzung in der Lage sehen, sind mindestens 50 Prozent der internationalen Studienanfängerinnen und -anfänger schon am Hochschulstandort eingetroffen. An knapp 40 Prozent der Hochschulen gilt dies hochgerechnet sogar für 90 bis 100 Prozent der neu eingeschriebenen internationalen Studierenden. Die Einreise nach Deutschland scheint für die meisten der neuen Studierenden also möglich gewesen zu sein, trotz der Reisebeschränkungen und der teilweise verzögerten Visa-Vergabe.
Dass die Studierenden vor Ort sind, heißt allerdings nicht unbedingt, dass sie derzeit auch Präsenzveranstaltungen an ihren Hochschulen besuchen können. Laut unserer Hochrechnung wird derzeit an einem knappen Viertel der Hochschulen eine rein digitale oder virtuelle Fernlehre praktiziert, die übrigen gut drei Viertel arbeiten mit einem Mischmodell aus digitaler Fernlehre und Präsenzlehre in Kleingruppen beziehungsweise Präsenzprüfungen. Viele Hochschulen haben aufgrund des aktuellen Pandemieverlaufs auch nach dem Semesterbeginn noch umgestellt vom Mischmodell auf den rein digitalen Lehrbetrieb, teilweise auch aufgrund entsprechender Weisungen aus den zuständigen Landesministerien. Der Infektionsschutz muss da trotz aller Bemühungen um einen möglichst normalen Lehrbetrieb im Vordergrund stehen, das ist klar. Immerhin können die Hochschulen dabei nun schon auf die Erfahrungen im digitalen Sommersemester zurückgreifen. Die Umstellung dürfte daher jetzt vermutlich sehr viel einfacher gewesen sein, sowohl für die Lehrenden als auch für die Studierenden.
Können Sie uns zum Schluss noch ein bisschen den Hintergrund der Umfrage erläutern? Warum war diese überhaupt nötig, und wie aussagekräftig sind die Befunde aus Ihrer Sicht für ganz Deutschland?
Wir haben uns zu der Umfrage entschlossen, da wir es angesichts der Corona-Pandemie für sehr wichtig hielten, so schnell wie möglich etwas zu den konkreten Folgen für die internationale Studierendenmobilität in Deutschland im Wintersemester sagen zu können. Dazu muss man wissen, dass die offiziellen Zahlen zu internationalen Studierenden vom Statistischen Bundesamt erst immer etwa ein knappes Jahr nach Beginn des jeweiligen Wintersemesters veröffentlicht werden, meist im September des darauffolgenden Jahres. Das liegt an der aufwendigen Erhebung und Prüfung dieser Zahlen, die von den Hochschulen zunächst an die Statistischen Landesämter und von dort dann weiter ans Statistische Bundesamt geliefert werden.
Erfreulicherweise haben sich gut 160 Hochschulen an unserer Umfrage beteiligt. Das sind rund 60 Prozent der HRK-Mitgliedshochschulen, die wir hierzu eingeladen hatten, und rund 42 Prozent aller in der Hochschulstatistik erfassten, staatlich anerkannten Hochschulen. Auf die befragten Hochschulen entfielen im Wintersemester 2019/2020 gut 60 Prozent aller internationalen Studierenden in Deutschland, das heißt, die Datenbasis unserer Umfrage ist nach meiner Einschätzung recht aussagekräftig. Allerdings muss man auch sagen: Wir machen das jetzt zum ersten Mal, deshalb können wir – anders als etwa bei Wahlprognosen – noch nicht wirklich einschätzen, ob sich die befragten Hochschulen vielleicht systematisch von den nicht befragten Hochschulen unterscheiden. Theoretisch wäre es daher möglich, dass die Entwicklung der Zahlen an den nicht befragten Hochschulen ganz anders ausgefallen ist als an den befragten Hochschulen. Das würde dazu führen, dass unsere Hochrechnung die Zahl der internationalen Studierenden stark unter- oder überschätzt. Ich halte das zwar nicht für sehr wahrscheinlich, aber genau wissen werden wir das erst, wenn das Statistische Bundesamt im Herbst 2021 die offiziellen Studierendenzahlen veröffentlicht.
(17. Dezember 2020)