Brücken schlagen in politisch schwierigen Zeiten

DEU_RUS Wissenschaftsjahr

Die gemeinsame „Deutsch-russische Roadmap für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation“ setzt seit zwei Jahren neue Maßstäbe in der bilateralen Bildungs- und Forschungszusammenarbeit. Parallel lief das Deutsch-Russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft 2018–2020, das in diesem Jahr zu Ende geht. Inwieweit das Deutsch-Russische Themenjahr auch die Ziele der Roadmap gefördert hat und wie diese im kommenden Jahr weiter vorangetrieben werden, erklärt Frithjof A. Maennel, Leiter der Unterabteilung „Internationale Zusammenarbeit in Bildung und Forschung“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Was bedeutet die gemeinsame Roadmap für die Kooperation von Deutschland und Russland in der Wissenschaft und der Forschung?
In der bilateralen Wissenschaftskooperation mit Russland blicken wir auf eine jahrhundertelange Tradition zurück. Mit der Ende 2018 von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und ihrem damaligen russischen Amtskollegen Mikhail Kotjukov unterzeichneten „Deutsch-russischen Roadmap für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation“ haben wir eine Arbeitsgrundlage für das gemeinsame Forschen in den nächsten zehn Jahren geschaffen. Diese Vereinbarung bietet uns eine Orientierung für die gemeinsamen Schwerpunkte der Zusammenarbeit. Sie ist die einzige derartige gemeinsame Kooperationsstrategie des BMBF mit einem Partnerland. Fachlich spannt die Roadmap den Bogen von der Grundlagenforschung an großen Infrastrukturen über Bioökonomie, Gesundheitsforschung, Forschung zu Umweltfragen, Klima und erneuerbaren Energien, innovative Produktionstechniken bis hin zu den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die großen Forschungsinfrastrukturen bilden die erste der insgesamt vier sogenannten Säulen der Roadmap. Wir bauen hier eine Zusammenarbeit aus, die gemeinsam mit weiteren internationalen Partnern seit langer Zeit bei der Entwicklung und dem Bau wissenschaftlicher Großgeräte besteht. Hier sind etwa der europäische Röntgen-Freie-Elektronen-Laser European XFEL bei Hamburg und der noch im Bau befindliche Teilchenbeschleuniger FAIR bei Darmstadt zu nennen. Bei diesen Projekten ist Russland nach Deutschland jeweils der zweitwichtigste Anteilseigner. 

Ein weiteres aktuelles Beispiel für die gute Forschungszusammenarbeit mit Russland ist die MOSAiC-Expedition, die größte Arktis-Expedition aller Zeiten. Unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts und des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven haben über 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 80 Instituten aus 20 Nationen ein Jahr lang die Arktis und insbesondere das arktische Klima erforscht. Bei dieser außergewöhnlichen Forschungsexpedition haben beide Länder in vielfältiger Art und Weise zusammengearbeitet. Ohne Unterstützung der russischen Seite, beispielsweise durch den mehrfachen Einsatz russischer Eisbrecher, wäre die MOSAiC-Expedition so nicht durchführbar gewesen. 

Das Deutsch-Russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft geht zu Ende. Mit welchen Aktivitäten hat das BMBF das Deutsch-Russische Themenjahr in den vergangenen zwei Jahren unterstützt?
Das Themenjahr des Auswärtigen Amtes bündelt laufende Aktivitäten der Bildungs- und Forschungskooperation, um diese sichtbarer zu machen und den beiderseitigen Nutzen hervorzuheben. Die gemeinsame Kooperation schlägt Brücken – auch in politisch schwierigen Zeiten. Die konkreten Inhalte stammen dabei von den vielen Akteuren wie Hochschulen oder den Forschungs- und Mittlerorganisationen, die dies auf deutscher Seite oft auch auf der Basis unserer Fördermittel umsetzen. Darüber hinaus haben wir uns an den Leuchtturm-Veranstaltungen des Themenjahres im Dezember 2019 und im September dieses Jahres beteiligt. Neben den von uns geförderten Kooperationen haben wir dabei auch unsere Forschungs- und Kooperationspolitik durch Beiträge oder die Teilnahme an Podiumsdiskussionen vertreten. Mit den auch unabhängig vom Themenjahr arbeitenden bilateralen Gremien zur Bildungs- und Forschungskooperation schaffen wir zudem auf verschiedenen Ebenen den Rahmen, der es uns erlaubt, die Zusammenarbeit konkret umzusetzen und damit auch das Themenjahr mit erfolgreichen Projekten anzureichern.

Brücken schlagen in politisch schwierigen Zeiten

BMBF

Frithjof A. Maennel leitet im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Unterabteilung „Internationale Zusammenarbeit in Bildung und Forschung“. 

Inwieweit hat das Themenjahr aus Ihrer Sicht die Roadmap gefördert?
Die Initiative von Außenminister Heiko Maas und seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zum Deutsch-Russischen Themenjahr hat unsere Roadmap in ihrer Anfangsphase sicherlich unterstützt. Gerade zu Beginn hat sie davon profitiert, dass durch das Themenjahr der Dialog zwischen den beiden Ländern intensiviert wurde und die Forschungs- und Hochschulkooperationen noch sichtbarer wurden. Dieser Dialog hat zusätzliche Ideen und Kooperationsansätze hervorgebracht, die die Umsetzung der Roadmap fördern und zur angestrebten fachlichen Exzellenz in der Kooperation beitragen können. Das Themenjahr hat sicher auch Grundlagen für die vierte Säule der Roadmap gelegt, die sich dem Brückenschlag zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft in beiden Ländern widmet. Mit unserer Kooperation wollen wir Innovationen insbesondere zur Lösung globaler Herausforderungen voranbringen und diese Erkenntnisse der Gesellschaft vermitteln. Die Wissenschaftskommunikation liegt uns am Herzen.

Das zweite Jahr der Roadmap nähert sich dem Ende – wie geht es weiter?
Mit der Roadmap verfolgen wir das Ziel, die Kooperation für einen längeren Zeitraum strategisch auszurichten. Zusätzlich zu den großen Forschungsinfrastrukturen haben wir uns beispielsweise in der zweiten Säule der Roadmap mit den prioritären Kooperationsthemen einen klaren fachlichen Rahmen gesetzt. Während wir dabei in einigen Bereichen wie der Meeres- und Polarforschung oder der Bioökonomie eine etablierte Zusammenarbeit weiterentwickeln, wollten wir andere Bereiche wie die Geistes- und Sozialwissenschaften oder den Bereich der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien wiederbeleben beziehungsweise neu aufbauen. Ausgebremst durch die Beschränkungen, die mit der Covid-19-Pandemie entstanden sind, bleibt da noch einiges zu tun. Das werden wir im kommenden Jahr anpacken. Doch unser Themenkanon ist keinesfalls statisch. Laut der Vereinbarung wollen wir ihn nach drei Jahren anpassen, falls dies erforderlich ist.

Was wünschen Sie sich für die zukünftige Wissenschafts- und Forschungszusammenarbeit mit Russland?
Für mich hat die dritte Säule unserer Roadmap, die Nachwuchsförderung, eine besondere Bedeutung. Wir sind uns mit unseren russischen Partnern einig, dass der Austausch von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, Studierenden und Auszubildenden eine wichtige Investition in die künftige exzellente Forschung und in eine von gegenseitigem Vertrauen und Verständnis geprägte Zusammenarbeit darstellt. Ein erstes Stipendienprogramm im Bereich der großen Forschungsinfrastrukturen – Young Talents Programme Linie A und Linie B –, das von uns gefördert und vom DAAD umgesetzt wird, ist bereits angelaufen. Wir wollen erreichen, dass möglichst viele junge Menschen die Chance bekommen, im jeweils anderen Partnerland zu forschen, das Land und seine Kultur kennenzulernen sowie langfristige Verbindungen und Freundschaften aufzubauen. Diese jungen Menschen verleihen unserer Roadmap Nachhaltigkeit. Sie sind außerdem wichtige Brückenbauer zwischen unseren Ländern. Ihnen wollen wir mit der Roadmap den Rücken stärken. Das ist eine der zentralen Botschaften, die von dieser Roadmap ausgeht.

(5. Januar 2021)

Weitere Informationen

Die „Deutsch-russische Roadmap für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation“ besteht aus vier Säulen:

  1. Kooperation bei der Entwicklung großer Forschungsinfrastrukturen (Säule „Große Forschungsinfrastrukturen") 
  2. Gemeinsame Forschungsprojekte in den von beiden Ländern priorisierten Bereichen der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit (Säule „Prioritäten") 
  3. Förderung des Wissenschaftlernachwuchses und von Talenten im Hochschul- und Berufsbildungsbereich in beiden Ländern zum beiderseitigen Nutzen (Säule „Nachwuchsförderung") 
  4. Wissenschaft und Forschung für den Brückenschlag zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft in beiden Ländern (Säule „Innovation, Wissenschaft und Gesellschaft")