Internationale Erfahrungen machen Schule
Konopka/DAAD
Zunehmend internationale Schulklassen erfordern von Lehrkräften interkulturelle Kompetenzen.
Vor zwei Jahren hat der DAAD das BMBF-geförderte Programm Lehramt.International gestartet mit dem Ziel, die Mobilität von Lehramtsstudierenden zu steigern – insbesondere für jene Gruppen von Studierenden, für die längere Auslandsaufenthalte bislang unüblich waren. Die Zwischenbilanz zeigt, dass die ursprünglichen Erwartungen an das Programm in der Praxis sogar übertroffen wurden.
Lehrerinnen und Lehrer haben eine große Verantwortung: Sie sollen ihre Schülerinnen und Schüler auf eine (Arbeits-)Welt vorbereiten, die global vernetzt ist und in der internationale Erfahrungen zunehmend vorausgesetzt werden. Hinzukommt: Auch die Klassen selbst werden durch den gestiegenen Anteil von Kindern mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Hintergründen immer heterogener. Eigene Erfahrungen mit Fremdheit und Sprachbarrieren, aber auch mit alternativen Schul- und Unterrichtsansätzen können Lehramtsstudierenden dabei helfen, ihren Horizont zu erweitern und die interkulturelle Kompetenz zu erwerben, die sie heute für ihre berufliche Aufgabe brauchen.
Doch während in anderen Studiengängen Auslandsaufenthalte schon weit verbreitet oder fester Bestandteil des Curriculums sind, bilden sie bei bestimmten Untergruppen angehender Lehrkräfte immer noch die Ausnahme. Dies gilt vor allem für Studierende für das Grundschullehramt, Studierende mit Migrationshintergrund sowie Erstakademikerinnen und -akademiker. Hier spielen oftmals finanzielle Hürden oder ein Mangel an familiärer Vorerfahrung mit Studium und Auslandsaufenthalten eine Rolle. Auch fehlt es häufig an konkreten Vorbildern aus der eigenen Studierendenkohorte.
Lehramt.International: Ein Ansatz, der wirkt
Um die Internationalisierung in der Lehramtsausbildung zu fördern und insbesondere wenig mobile Studierendengruppen zu internationalen Erfahrungen anzuregen, hat der DAAD 2019 das Programm Lehramt.International ins Leben gerufen. In einer Kombination aus Projektförderung, Stipendienvergabe, Beratung und Stakeholder-Dialog verfolgt das Programm das Ziel, die Lehramtsausbildung auf unterschiedlichen Ebenen zu internationalisieren.
Lehramt.International – Internationalisierung auf drei Ebenen
Um ganzheitlich zu wirken, setzt Lehramt.International auf drei Ebenen der Lehramtsausbildung an:
- Deutsche Hochschulen werden mit einer bis zu vierjährigen finanziellen Förderung darin unterstützt, in Lehramtsstudiengängen Modellprojekte durchzuführen, um internationale Kooperationen zu etablieren, eine strukturelle Internationalisierung der Studiengänge aufzubauen und die „Internationalisierung zu Hause“ voranzutreiben.
- Lehramtsstudierende sowie -absolventinnen und -absolventen vor dem Referendariat erhalten Vollstipendien zur Durchführung von ein- bis zwölfmonatigen Schulpraktika im Ausland. Das deutschlandweite Angebot ermöglicht damit internationale Erfahrungen auch für Studierende von Hochschulen, die nicht über die Modellprojekte gefördert werden.
- Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Studierendenschaft und Hochschulen werden durch lehramtsspezifische Kampagnen, Studien und Dialogveranstaltungen zu Internationalisierungsbedarfen und -möglichkeiten beraten. Im Austausch werden evidenzbasierte Lösungsansätze entwickelt, die individuelle und institutionelle Mobilitätshürden reduzieren können.
2021 startet Lehramt.International in das dritte von insgesamt fünf Jahren Programmlaufzeit. Dies ist ein guter Anlass für eine Zwischenbilanz. Und die fällt äußerst positiv aus. So wurden im ersten Jahr 633 DAAD-Stipendien für Schulpraktika im Ausland bewilligt – fast doppelt so viele, wie jährlich geplant waren. Für 2020 gingen 1.071 Bewerbungen ein. Von diesen wurden 470 bewilligt, wenngleich Corona-bedingt nur 309 Stipendiatinnen und Stipendiaten ihre Auslandspraktika antreten konnten. Was Caroline Felske, Programmkoordinatorin von Lehramt.International beim DAAD, besonders freut: „Obwohl unser Programm noch verhältnismäßig neu ist, können wir schon jetzt deutlich sehen, dass wir wichtige Zielgruppen tatsächlich erreichen.“ So zeigt eine Befragung der DAAD-Stipendiatinnen und -Stipendiaten, dass ungefähr die Hälfte von ihnen erstmals länger im Ausland war. Rund 41 Prozent sind Erstakademikerinnen und -akademiker, etwa ein Fünftel hat einen Migrationshintergrund. Knapp ein Drittel der Stipendiatinnen und Stipendiaten qualifiziert sich für das Lehramt an Grundschulen.
Erfolgsfaktor Zielgruppennähe
Welche Maßnahmen machen Lehramt.International so wirksam? „Der wichtigste Erfolgsfaktor unseres Programms besteht sicherlich in seinem ganzheitlichen Ansatz“, stellt Felske fest. „Die Verbindung aus Förderung, Beratung und Begleitforschung hat es uns von Beginn an ermöglicht, nah an den Bedarfen der studentischen Zielgruppen zu agieren und gleichzeitig die Perspektiven und Handlungsspielräume der Hochschulen zu stärken.“
So wurden beispielsweise Workshops mit Studierenden durchgeführt, darunter explizit Erstakademikerinnen und -akademiker sowie Studierende mit Migrationshintergrund, um Hürden für diese Gruppen zu identifizieren und Verbesserungsvorschläge zu sammeln. Aus den Workshops wurde ersichtlich, dass Studierende dieser Gruppen sich bis dahin nicht angesprochen fühlten und Beratung weniger aus dem Familien- und Freundeskreis erhalten als vielmehr von anderen Studierenden.
In regelmäßigen Workshops mit Studierenden und Hochschulen identifiziert das Team von Lehramt.International um Caroline Felske (Foto) unterschiedliche Hürden und sammelt Verbesserungsvorschläge.
Ergebnisse wie diese macht sich Lehramt.International unmittelbar für die Entwicklung von Beratungs- und Förderangeboten zunutze: Die Beratungsangebote, die sich direkt an die Studierenden richten, zielen darauf ab, bei der Zielgruppe zunächst das Interesse an einem Praktikum im Ausland zu wecken und auf vorhandene Fördermöglichkeiten hinzuweisen. So wurde eine Informationsbroschüre aufgelegt und die Website der Kampagne „studieren weltweit – ERLEBE ES!“ um eine eigene Landingpage für Lehramtsstudierende erweitert.
Peer-Beratung von Studierenden für Studierende
Auf der Kampagnenwebsite und in den sozialen Medien lassen sogenannte Correspondents ihre Follower während des Auslandsaufenthaltes hautnah an ihren Erfahrungen vor Ort teilhaben. Nach der Rückkehr stehen sie als Botschafterinnen und Botschafter zur Verfügung, um Studierende bei Veranstaltungen an den Hochschulen zu beraten und aus erster Hand Tipps dazu zu geben, wie man den Auslandsaufenthalt am besten angeht. Einige von ihnen haben selbst einen Migrationshintergrund und/oder stammen aus einem nicht-akademischen Haushalt. Eine dieser Botschafterinnen ist Ouassima Laabich-Mansour. Sie weiß aus eigener Erfahrung, welche Hürden es zu überwinden gilt. „Ein Auslandsaufenthalt ist auch eine Geldfrage, und daran darf und sollte es nicht scheitern. Hier braucht es mehr Wissen um Stipendienangebote und alternative Finanzierungsmöglichkeiten, damit jede und jeder die Möglichkeit bekommt unabhängig von der sozialen Herkunft einen Auslandsaufenthalt realisieren zu können.“
Ihre Botschafter-Kollegin Stefanie Fritz unterstreicht die Relevanz von Unterstützungsangeboten und Vorbildern. Die 28-jährige Lehramtsstudentin für Berufliche Bildung war während ihres Studiums mehrfach im Ausland, zuletzt 2019 mit einem DAAD-Stipendium in Südafrika. „Von meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen war ich die Einzige, die auf Lehramt studierte. Viele Lehramtsstudierende haben ein Auslandspraktikum nicht auf dem Schirm, weil es in der Studienordnung nicht vorgesehen ist“, berichtet sie. „Hinzukommt, dass es schwierig ist, einen Praktikumsplatz an einer Schule zu finden, weil diese Plätze in der Regel nicht ausgeschrieben werden.“
Stefanie Fritz hat 2019 ein Praktikum an der Deutschen Internationalen Schule Johannesburg absolviert und berät nun als Botschafterin der Kampagne „studieren weltweit – ERLEBE ES!“ andere Studierende zur Planung und Durchführung von Auslandsaufenthalten.
Maßgeschneiderte studentische Förderangebote
Um die Eintrittsschwelle zu senken, hat der DAAD das Stipendienangebot für Schulpraktika im Ausland im Rahmen von Lehramt.International finanziell umfassend und organisatorisch sehr flexibel gestaltet. So sind beispielsweise Ort, Zeitpunkt und Dauer der Auslandspraktika frei wählbar. „Das schließt auch Kurzaufenthalte ab einem Monat ein“, erklärt Felske. „Dadurch wollen wir individuelle Hemmschwellen für Studierende senken, die sich für ihren erstmaligen Auslandsaufenthalt keine lange Dauer zutrauen oder sich aus anderen Gründen keine lange Abwesenheit leisten können. Zudem lassen sich kurze Auslandsaufenthalte häufig besser mit dem Curriculum in Deutschland vereinbaren.“
„Internationalisierung zu Hause“ als Türöffner
Vergleichbare Beratungs- und Fördermaßnahmen unterstützt Lehramt.International auch an deutschen Hochschulen, um die Internationalisierung des Lehramtsstudiums strukturell stärker zu verankern. Hierzu fördert das Programm 38 Modellprojekte an ausgewählten Hochschulen in Deutschland, die mit ausländischen Partnerhochschulen bei der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern kooperieren. Zusätzlich zu Stipendien für Studienaufenthalte und lehramtsspezifischen Beratungs- und Informationsangeboten liegt ein Fokus auf der „Internationalisierung zu Hause“: Hier werden an den Hochschulen in Deutschland selbst Lehrveranstaltungen mit internationaler Ausrichtung entwickelt, sei es durch die Verankerung internationaler Themen, die Etablierung von Sprachkursen oder durch die Einbindung von internationalen Studierenden und Gastdozierenden. Die Erfahrungen aus der Corona-Krise unterstreichen, dass auch hier mit virtuellen Kooperationen und Veranstaltungen viel ermöglicht werden kann. Solche Berührungspunkte „zu Hause“ können Hemmschwellen senken und Studierende zu internationalen Erfahrungen anregen. Gleichzeitig wird die Entwicklung interkultureller Kompetenzen auch für Lehramtsstudierende ermöglicht, die aus bestimmten Gründen nicht mobil sein können.
„Insgesamt sehen wir bei Lehramt.International, dass viel unternommen werden kann, um angehende Lehrkräfte auf dem Weg zur interkulturellen Kompetenzentwicklung zu unterstützen“, schließt Felske. „Dass diese Maßnahmen auch wirken, um weniger mobile Gruppen zu erreichen, unterstreichen die Ergebnisse schon jetzt.“
Peter Nederstigt (12. Januar 2021)