Was ändert sich für deutsche Forschende und Studierende in Großbritannien?

iStock

Am 31. Dezember 2020 ist das Vereinigte Königreich endgültig aus der EU ausgetreten. Für ausländische Studierende in Großbritannien hat der Brexit Konsequenzen.

Horizon Europe bleibt, Erasmus endet, aber nicht sofort, neue Aufenthaltsbedingungen, das Studium wird teurer – ein aktueller Überblick zu den Änderungen durch den Brexit.

„Wir haben im Forschungsbereich erreicht, was wir erhofft hatten, bei Erasmus+ leider nicht“, konstatiert Nina Salden, Leiterin der DAAD-Außenstelle in Brüssel, mit Blick auf den Vertrag zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien, der auch die Hochschulzusammenarbeit mit Großbritannien nach dem Brexit beeinflussen wird.

„Horizon Europe“: Dank Assoziierungsstatus bleibt das Programm erhalten
Die gute Botschaft gilt dem EU-Förderprogramm Horizon Europe für Forschung und Innovation. Der Vertrag vom 24. Dezember 2020 schafft die Grundlage dafür, dass London als assoziierter Partner weiter an dem 95 Milliarden Euro umfassenden Programm teilnehmen kann, berichtet Salden. Diese Möglichkeit haben in der vorangegangenen Programmgeneration auch weitere Nicht-EU-Länder, wie etwa Israel oder Norwegen, in Anspruch genommen. 

Was ändert sich für deutsche Forschende und Studierende in Großbritannien?

DAAD/Dani Oshi

Die Leiterin der DAAD-Außenstelle Brüssel, Nina Salden, freut sich, dass Großbritannien als assoziierter EU-Partner weiterhin am Förderprogramm Horizon Europe beteiligt ist.

Horizon Europe wird 2021 starten und bis 2027 laufen. Von den Fördermöglichkeiten sollen viele Forschende – Einzelne wie Teams – profitieren können, heißt es beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Auch soll das Programm länderübergreifende Zusammenarbeit erleichtern – in Europa und weltweit. Institutionen aus Großbritannien können mit dem Assoziierungsstatus wie die anderen Beteiligten an offenen Ausschreibungen teilnehmen. Die Details der Regelungen müssen zwischen London und Brüssel noch ausgehandelt werden. Schon im vergangenen Jahr hatte die britische Regierung ihr Interesse an der Weiterarbeit in fünf EU-Programmen bekundet, darunter vor allem Horizon Europe.

Erasmus+: Enttäuschung über das Ausscheiden Großbritanniens aus dem Programm
„Das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus dem Erasmus+ Programm ist ein schwerer und schmerzlicher Verlust für die Studierenden und Hochschulen auf der Insel und auf dem Kontinent“, sagt Dr. Stephan Geifes, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD. Daran ändert auch nichts, dass im Rahmen der laufenden Förderung Studienaufenthalte und Praktika bis März 2023 möglich sind. Die Hochschulen können also aus den Erasmus-Mitteln, die sie in diesem Rahmen erhalten, weiter Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten nominieren und fördern. An der neuen Erasmus+ Generation 2021–2027 nimmt Großbritannien hingegen nicht mehr teil. 

Das 1987 ins Leben gerufene Erasmus-Programm, das seit 2014 als Erasmus+ mehrere Einzelprogramme zusammenfasst, hat bisher fünf Millionen Studierende beim Auslandsaufenthalt unterstützt. Es gilt als eins der erfolgreichsten Programme der EU. Im vergangenen Jahr beteiligten sich 18.305 Britinnen und Briten am europaweiten Austausch. Die Attraktivität der englischen Sprache sowie das hohe Ansehen britischer Universitäten führen dazu, dass die Zahl der Studierenden vom Kontinent in den vergangenen Jahren meist etwa doppelt so hoch war wie jene der britischen Studierenden im Ausland. Im Jahr 2018 wurden im Rahmen von Erasmus+ 3.300 Studierende sowie 1.500 Praktikantinnen und Praktikanten aus Deutschland in Großbritannien gefördert.

Was ändert sich für deutsche Forschende und Studierende in Großbritannien?

DAAD

Dr. Stephan Geifes, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, sieht im Ausscheiden Großbritanniens aus dem Erasmus+ Programm einen schweren Verlust für Studierende und Hochschulen.

Großbritannien plant Programm für britische Studierende
Die finanziell unter Druck stehenden Hochschulen auf der Insel wird die Entscheidung eine dreistellige Millionensumme kosten, hat ein Expertenteam des Dachverbands „Universities UK International“ errechnet. Der Kalkulation zufolge zieht die britische Volkswirtschaft aus den Erasmus-Studierenden einen jährlichen Nutzen von umgerechnet 466 Millionen Euro. Die britische Teilnahmegebühr betrug zuletzt 196 Millionen Euro. Die Entscheidung der Londoner Regierung zum Ausstieg, die mit den Kosten begründet wurde, stieß weithin auf Verwunderung. Lange hatte Großbritannien Interesse an der Fortführung des Programms signalisiert. Jetzt will das Land ein Programm für britische Studierende auflegen, das nach dem Mathematiker Alan Turing benannt werden soll.

Neue Visabestimmungen
Veränderungen stehen im Laufe des Jahres auch bei Reisebestimmungen und Studiengebühren an: Nach einer Übergangsfrist, in der man wie bisher mit dem Personalausweis einreisen kann, brauchen Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten ab dem 1. Oktober 2021 einen Reisepass für einen Aufenthalt bis zu einem halben Jahr. Wer länger bleiben will, muss ein Visum beantragen. Für den Erasmus-Austausch gelten ab Januar 2021 neue Visabestimmungen. Finanzieren sich Forschende über ein Stipendium oder Drittmittelprojekt, können sie unter bestimmten Umständen durch ein vereinfachtes Visa-Verfahren, die „Global Talent Visa Route“, einreisen. 

Höhere Studiengebühren 
EU-Bürgerinnen und -Bürger, die ab dem akademischen Jahr 2021/2022 in England, Schottland, Wales oder Nordirland studieren, haben aber keinen Zugang mehr zur britischen Studienfinanzierung („tuition fee loans”) oder Anspruch auf den „home fee status” (gleiche Studiengebühren wie britische Studierende). Sie müssen stattdessen die höheren Overseas-Gebühren zahlen. „Damit wird ein Studium in Großbritannien leider in der Regel um einiges teurer werden“, bedauert Geifes.

Der DAAD überprüft, wie er sein Förderportfolio an die neue Situation anpassen kann. Er appelliert an deutsche Hochschulen, mit britischen Partneruniversitäten über Gebührenerlasse oder -ermäßigungen zu verhandeln. Die Leiterin der DAAD-Außenstelle London, Ruth Krahe, bezeichnete die Entscheidung der britischen Regierung als „überaus bedauerlich“. Im Sinne der Stärkung des europäischen Hochschulraums könne das angekündigte britische Turing-Programm allenfalls eine Ergänzung zu Erasmus+ bedeuten.

Aus der EU kommen derzeit 5.300 der rund 21.000 ausländischen Studierenden in Großbritannien. Ihre Zahl ist seit dem Brexit-Referendum um 400 gestiegen – eine Zahl, die hoffen lässt, dass das Land für Studierende seine Attraktivität nicht verliert.

Wolfgang Thielmann (14. Januar 2021)